Zusammenfassung
Von der europäischen Musik als einer Raumkunst und der chinesischen Malerei als einer Zeitkunst zu sprechen erlaubt uns die Festumrissenheit der Begriffe Raum und Zeit. Deren Wirksamkeit zeigt sich gerade darin, daß diese Zuordnungen dem gewöhnlichen Verständnis zu widersprechen scheinen. Chinesische Malerei und europäische Musik stellen eine äußerste Möglichkeit des Zusammenspiels von Sinnen und Intellekt dar; die im Walten des Intellekts liegende Negativität bewirkt dabei eine nahezu vollständige Verkehrung der Sinnesfähigkeiten. Für die Kunst ist diese Verkehrung aber der Stachel, der sie dazu treibt, ihre höchsten Möglichkeiten zu entfalten. Chinesische Malerei und europäische Musik können als unübertreffliche Ausprägungen von Malerei und Musik überhaupt gelten; keine andere Kultur hat ihnen Vergleichbares an die Seite zu setzen. Immer noch sind es diese beiden Künste, die am deutlichsten von Metaphysischem zeugen. Dennoch traf auch die chinesische Malerei und die europäische Musik das Ende, und sowohl in der Malerei als auch in der Musik sind neue Formen nur zu erwarten, wenn sich die Auffassung des Wesens und des Verhältnisses von Raum und Zeit grundlegend ändert.
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Notizen
Pavel Florenski, Brief an seinen Sohn Kirill, 4. April 1936; in: Leben und Denken 11, a.a.O., S. 286ff. — In unserem Sinne läßt sich die Kategorie der Unumkehrbarkeit ebenso auf die chinesische Malerei (als Zeitkunst) anwenden wie die der Asymmetrie auf die europäische Musik (als Raumkunst). Allerdings findet sich die Unumkehrbarkeit in der chinesischen Malerei stärker betont als die Asymmetrie in der europäischen Musik, die ja oft Symmetrien planvoll anstrebt.
Erwin Reisner, Vom Ursinn der Geschlechter, Ulm 1986, S. 66f.
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Breier, A. (2002). Über Raum-Zeit und Schönheit. In: Die Zeit des Sehens und der Raum des Hörens. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02777-1_56
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Online ISBN: 978-3-476-02777-1
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