Zusammenfassung
Gleichgültigkeit erlaubt wie kaum ein anderes Sujet, das Verhältnis zwischen Mensch und Welt im 20. Jahrhundert abzubilden. Bereits die Tatsache, dass sie sich einer eindeutigen Definition sperrt,1 umreißt die Spannweite eines Untersuchungsgegenstandes, der zur Klammer epochaler Befindlichkeiten, Strömungen und Verhaltensmerkmale wird und eine große Anzahl von Spielarten aufweist, wobei mit Apathie, Indolenz, Teilnahmslosigkeit, Desinteresse, Resignation und Äquilibrismus nur einige genannt sind — die Vielzahl der Begriffe verweist auf eine Problemvielfalt, die, anders gewendet, Etikett eines Zeitgeistes ist. Gleichgültigkeit zielt als lebensweltliches Implikat auf die Totale, ohne sie je zu erreichen. Geschähe dies, würde die Menschheit wie Buridans Esel zwischen zwei Heuhaufen verhungern. Gleichgültigkeit ist indes auch kein Phänomen im Sinne einer unerklärlichen Präsenz bei gleichzeitiger Formlosigkeit, sondern Gegenstand der Anthropologie, Ontologie, Psychologie, Ethik,2 Theologie,3 Pädagogik, Hermeneutik, Philosophie und Logik, Metaphysik, Physik, Chemie, Biologie, Mathematik und Ökonomie.4 Ein definitionssperriges Sujet5 mit großer Prägkraft, aus vielen Perspektiven betrachtet: Pierre Lenain setzt diese “notion floue, incertaine, indéterminée, flexible”6 in L’Indifférence politique (1986) als Fokus, um das Wahlverhalten der Franzosen zu analysieren, Michael Herzfeld interpretiert sie in seiner anthropologischen Studie The social production of indifference (1992) als Machtmittel der Bürokratie, Fremde und Andersdenkende auszugrenzen,7 Kathleen M. Kirby betitelt ihre im Kontext von feministischer Literaturwissenschaft und Psychoanalyse situierte, literaturtheoretische Arbeit über den Raum Indifferent boundaries (1996),8 und in der modernen Kunst ist der Auslöser einer Ausstellung zum Thema Indifferenz ein Gedicht Rilkes über Watteaus L’Indifférent.9
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Glosch, K. (2001). Einleitung. In: »Cela m’était égal«. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02776-4_1
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