Zusammenfassung
In der Interpretation Christoph Menkes bestimmt Hegel (vor allem in der Phänomenologie des Geistes) die poetische Erfahrung der Tragödie folgendermaßen:
In dieser poetischen Erfahrung löst sich das Schöne nicht in seiner Integrationskraft, sondern seinem Objektivitätsschein auf. Denn die poetische Erfahrung im Drama ist eine reflexive Erfahrung: Das Drama artikuliert nicht nur eine Erfahrung des Schönen und seiner Tragik, sondern lenkt den Blick auf die Möglichkeitsbedingungen dieser Erfahrung und ihrer Darstellung. In der Tragödie wird die Erfahrung des Schönen und seiner Tragik selbstreflexiv: zu einer Erfahrung des in dieser Erfahrung und seiner Darstellung Vorausgesetzten.252
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Notizen
Christoph Menke, Tragödie im Sittlichen. Gerechtigkeit und Freiheit nach Hegel, Suhrkamp: Frankfurt a.M. 1996, S. 57. Menke stellt im folgenden einen Bezug zu Friedrich Schlegel her, der diese poetische Erfahrung schon vor Hegel zum Ausdruck gebracht hat.
Vgl. ebd.; Friedrich Schlegel, Kritische Ausgabe, Zweiter Band: Charakteristiken und Kritiken I (1796–1801), hrsg. v. Hans Eichner, Schöningh: Paderborn 1967, S. 204 (Athenäums-Fragment 238).
A.a.O., S. 58. Menke zitiert Hegel nach der Ausgabe: Georg W.F. Hegel, Werke in zwanzig Bänden, Redaktion: Eva Moldenhauer u. Klaus Markus Michel, Suhrkamp: Frankfurt a.M. 1969 ff.
Vgl. Georg W.F. Hegel, Werke in 20 Bänden, Bd. 15: Vorlesungen über Ästhetik III, Suhrkamp (stw 615): Frankfurt a.M. 1986, S. 481–495, bes. 488–490. Es ist demnach kein Zufall, daß die strukturalistischen Tragödienanalysen z.B. eines Vernant oder Vidal-Naquet problemlos an Hegel anschließen, da sie ebenfalls die sogenannte diachrone Ebene vernachlässigen. Ein Beispiel für den gelungenen Anschluß ist die kurze Interpretation der Antigone durch Vernant
Vgl. Jean-Pierre Vernant, „Tensions et ambiguïtés dans la tragédie grecque“, in: Jean-Pierre Vernant, Pierre Vidal-Naquet, Mythe et tragédie en Grèce ancienne. I. (Erstveröffentlichung: Maspero: Paris 1979), La Découverte: Paris 1989, S. 19–40, bes. S. 34–36.
Detlev Baur, „Chor und Theater. Zur Rolle des Chores in der griechischen Tragödie unter besonderer Berücksichtigung von Euripides’ Elektra“, in: Poetica, (1997)1–2, S. 26–27, Zitat: S. 44 f. Dort auch weitere Angaben zur für diesen Zusammenhang relevanten Literatur.
Albert Henrichs hat dieses Zitat zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen zum griechischen Tragödienchor gemacht: Albert Henrichs, «Warum soll ich tanzen?». Dionysisches im Chor der griechischen Tragödie, Teubner (Lectio Teubneriana IV): Stuttgart/Leipzig 1996.
Ulrike Haß, „Im Körper des Chores. Bodybuilding. Einar Schleef inszeniert »Ein Sportstück« von Elfriede Jelinek am Wiener Burgtheater“, in: Freitag, 30.1.1998, S. 13 f., Zitat: S. 14.
Vgl. Helmar Schramm, „Theatralität und Öffentlichkeit. Studien zur Begriffsgeschichte von »Theater«“, in: Weimarer Beiträge, 36(1990)2, S. 223–239, hier: S. 225.
Rudolf Münz, „»Gegenüber dieser Geschichte, die mehr zu machen als gemacht ist, steht weiterhin die traditionelle […] Geschichte — ein Kadaver, den es noch zu töten gilt.« Das Leipziger Theatralitätskonzept als methodisches Prinzip der Historiographie älteren Theaters“, in: Arbeitsfelder der Theaterwissenschaft, hrsg. v. Erika Fischer-lichte, Wolfgang Greisenegger u. Hans-Thies Lehmann, Narr (Forum Modernes Theater, Schriftenreihe, Bd. 15): Tübingen 1994, S. 25–42, Zitat: S. 26.
Zu dieser Problematik s. Rudolf Münz, a.a.O., S. 28 ff; Erika Fischer-Lichte, „Introduction: Theatricality: A Key Concept in Theatre and Cultural Studies“, in: Theatre Research International, 20(1995)2, S. 85–89; dies., „Thoughts on the ‚Interdisciplinary‘ Nature of Theatre Studies“, in: Assaph, 12(1996), S. 111–124
Helmar Schramm, Karneval des Denkens. Theatralität im Spiegel philosophischer Texte des 16. und 17. Jahrhunderts, Akademie: Berlin 1996, Kap. 1, S. 3–48.
In der deutschsprachigen Theaterwissenschaft hat sich eine Tendenz durchgesetzt, die unter 1. anvisierten kulturellen Praktiken adjektivisch als theatrale zu bezeichnen und nur die unter 2. gefaßten Handlungen als theatralische. Ich werde mich im folgenden an diese Unterscheidung halten, sofern ich nicht eine andere Verwendungsweise besonders kennzeichne. Andreas Kotte dagegen schlägt vor, daß „[…] für alle handlungsstrukturell dem Theater im engeren Sinne ähnlichen Phänomene [also in unserem (Duden-)Kontext die sowohl unter 1. und 2. gefaßten Phänomene, U.H.] der Begriff Theatralität/theatral benutzt werden [könnte]. Der Sprachgebrauch der Theaterwissenschaft ließe sich damit dem allgemeinen verlustlos annähern, denn innerhalb eines umfassenderen Theatralitätsbegriffs bedeutete Theater dann institutionalisiertes Theater, Stadt- und Staatstheater, einschließlich Amateur- und Straßentheater. Theatralik und theatralisch bezeichneten als Sonderform von Theatralität eine aufdringliche, überzogene Spielweise im Theater oder ähnliche Auftritte im Alltag, zum Beispiel die Theatralik im Auftreten Hitlers.“ Andreas Kotte, „Die Welt ist kein Theater. Zur Spezifik des Festes und des theatralen Handelns“, in: Weimarer Beiträge, 34(1988)5, S. 781–795, Zitat: S. 781. Vgl. auch die theaterbegriffliche Unterscheidung von Rudolf Münz hinsichtlich verschiedener kultureller Phänomene zwischen Nicht-Theater, „Theater“, Theater, ‚Theater‘ „[…] deren Verhältnisse als Theatralität bzw. Theatralitätsgefüge begriffen werden.“ Rudolf Münz, Das Leipziger Theatralitätskonzept, a.a.O., S. 38 f.; ders., „Theatralität und Theater. Konzeptionelle Erwägungen zum Forschungsprojekt »Theatergeschichte«“, in: Wissenschaftliche Beiträge der Theaterhochschule „Hans Otto“ (Theaterwissenschaftlicher Informationsdienst Nr. 61, Leipzig), (1989)1, S. 5–20, bes. S. 8 f. Theo Girshausen bestimmt Theater als „institutionell überformte Theatralität“. Die Institutionalisierung des Theaters zeichnet sich aus durch „gesellschaftlich wirkliche und wirksame Ausgrenzung bestimmter Formen des Theatralischen (des Theatralen, der Theatralität) aus dem, was alles sonst noch unter die Kategorien des Theatralischen (des Theatralen, der Theatralität) zu fassen wäre.“ Theo Girshausen, Ursprungszeiten des Theaters, a.a.O., S. 365.
Vgl. Elizabeth Burns, Theatricality. A study of convention in the theatre and in social life. Harper & Row: New York 1972, S. 13. Vgl. zu Burns auch Helmar Schramm, Karneval des Denkens, a.a.O., S. 29–31.
Erika Fischer-Lichte, Kurze Geschichte des deutschen Theaters, Francke (UTB 1667): Tübingen/Basel 1993, S. 147.
Johann Wolfgang v. Goethe, Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe, Bd. 6.2: Weimarer Klassik 1798–1806, hrsg. v. Victor Lange u.a., Hanser: München 1988, S. 735.
Copyright information
© 2001 Springer-Verlag GmbH Deutschland
About this chapter
Cite this chapter
Heuner, U. (2001). Selbstreflexion, Theatralität, Schauspieler und Chor. In: Tragisches Handeln in Raum und Zeit. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02775-7_8
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-02775-7_8
Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
Print ISBN: 978-3-476-45268-9
Online ISBN: 978-3-476-02775-7
eBook Packages: J.B. Metzler Humanities (German Language)