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Einfall — Material — Geschichte Zur Bedeutung dieser Kategorien im Musikdenken Pfitzners und Schönbergs um 1910

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Autorschaft als historische Konstruktion
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Zusammenfassung

In seinem wohl um 1930 niedergeschriebenen Aufsatzfragment »Neue Musik-Meine Musik« antwortete Schönberg auf den Vorwurf, seine Melodien und Themen seien unverständlich oder zumindest unnötig schwierig, mit dem Hinweis: »Darauf muß ich sagen: ich kann es nicht anders und es geht nicht anders. Ich habe mir diese Schreibweise nicht gewählt, ich reiße mich gar nicht darum, so zu schreiben, ich wäre froh, wenn ich anders dürfte.«1 Und dann fügte er die berühmte Anekdote an, wonach er im Ersten Weltkrieg beim Militär der vorwurfsvollen Frage eines Vorgesetzten, ob er »dieser bewußte Schönberg« sei, die unbedingte Notwendigkeit seines künstlerischen Tuns entgegengehalten hatte.2 Die hier vorgetragene Erfahrung, daß Komponieren kein Willensakt sei, sondern sich gewißermaßen unerbittlich im kompositorischen Subjekt vollziehe, ist auch von Hans Pfitzner empfunden worden. In einem Brief vom 12.2.1909 an den Mäzen Willy Levin schrieb er:

»Auch ist nicht zu verwundern, daß meine Freunde meine Werke beßer verstehen als deren Entstehen — was ich ja auch in gewißem Sinne nicht verstehe. Aber das könnten sie begreifen, […] daß es ein tieferliegender Grund sein muß, der mich zwingt, so und nicht anders zu verfahren […].

Diesen tieferliegenden Grund zu verstehen, heißt eigentlich erst mich verstehen. Ich verlange das von Niemandem, auch nicht, daß mir irgend Jemand hülfe; denen aber, denen meine Existenz nicht gleichgültig ist […] muß zur endgültigen Klärung der Frage gesagt werden, daß das, was in mir componiert, anderen Gesetzen unterworfen ist, als mir von außen vorgeschrieben werden können; daß es hieße, mich selbst verlieren, wenn ich mich im geringsten irre machen ließe und einen Schritt von meinem Wege abginge […].«3

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Notizen

  1. Hans Pfitzner, Briefe, hrsg. von Bernhard Adamy, Tutzing 1991, S. 151.

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  2. Ferruccio Busoni, Entwurf einer neuen Aesthetik der Tonkunst, Triest 1907 (1. Auflage);

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  3. Ferruccio Busoni, Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst. Zweite, erweiterte Ausgabe, Leipzig o.J. [1916]); zitiert wird im folgenden nach der von Hans Heinz Stuckenschmidt besorgten Ausgabe der 2. Auflage (Frankfurt a.M. 1974), die im Anhang auch Schönbergs Gloßen enthält (allerdings mit falschen Seitenverweisen).

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  4. Hans Pfitzner, Futuristengefahr. Bei Gelegenheit von Busoni’s Ästhetik, Leipzig/München 1917; zitiert wird im folgenden nach dem Wiederabdruck in: Hans Pfitzner, Gesammelte Schriften I, Augsburg 1926, S. 185–223.

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  5. Vgl. zuletzt: Martina Weindel, Ferruccio Busonis Ästhetik in seinen Briefen und Schriften, Wilhelmshaven 1996; dort auch Hinweise auf weitere Literatur.

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  6. Ferruccio Busoni, »Über die Harmonik«, in: ders., Wesen und Einheit der Musik, hrsg. von Joachim Herrmann, Berlin/Wunsiedel 1956, S. 41; siehe auch in demselben Band Busonis Aufsatz »Zum Zeitgeschehen« (S. 64–69).

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  7. In dem Eßay »Vom Wesen der Musik« (1924) ist dann diese Ablehnung der Beschäftigung mit der Überlieferung einem ausgesprochenen Bildungsideal gewichen; vgl. Busoni, Wesen und Einheit (wie Anm. 20), S. 1–10; siehe auch ähnliche Stellen, zit. bei Weindel, Busonis Ästhetik (wie Anm. 11), S. 77 ff., S. 89, S. 141, sowie Tamara Levitz, Teaching New Claßicality. Ferruccio Busoni’s Master Claß in Composition, Frankfurt a.M. u.a. 1996, insbes. S. 122 ff., S. 198 ff., S. 244 ff.

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  8. Die 1. Auflage erschien 1920 in München; schon im selben Jahr wurde eine 2. Auflage notwendig. Die 3. Auflage, die 1926 in den Gesammelten Schriften II (Augsburg 1926, S. 99–281) veröffentlicht wurde, ist im Tonfall deutlich abgemildert; nach ihr wird im folgenden zitiert. Zu einigen Konnotationen des Titels vgl. Eckhard John, Musikbolschewismus. Die Politisierung der Musik in Deutschland 1918–1938, Stuttgart/Weimar 1994, S. 71 ff.

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  9. Paul Bekker, Beethoven, Berlin 1911 (zahlreiche Folgeauflagen).

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  10. Pfitzner, »Inspiration« (wie Anm. 14) S. 301. Vgl. hierzu Peter Horst Neumann, »Mythen der Inspiration aus den Gründerjahren der Neuen Musik. Hans Pfitzner, Arnold Schönberg und Thomas Mann«, in: Josef Kuckertz u.a. (Hrsg.), Neue Musik und Tradition. Festschrift Rudolf Stephan zum 65. Geburtstag, Laaber 1990, S. 441–457.

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  11. Hans Pfitzner, »Die Oper«, in: ders., Schriften IV (wie Anm. 14), S. 108. Zum Verhältnis Pfitzner-Wagner vgl. insbes. John Williamson, The Music of Hans Pfitzner, Oxford 1992, S. 83–125.

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  12. Vgl. Pierre Boulez, »Schönberg ist tot«, in: ders., Anhaltspunkte. Eßays, deutsch von Josef Häusler, Kaßel u.a. 1979, S. 288–296, hier S. 292.

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  13. Arnold Schönberg, Harmonielehre, Wien 71966 [Wiederabdruck der Auflage Wien 31922], S. 473. Schönberg bezieht sich hier laut einer Fußnote auf Melodien, die Georg Capellen 1910 in der Zeitschrift Die Musik veröffentlicht hatte (vgl. Georg Capellen, »Die Akkordzither und die Exotik«, in: Die Musik 9 [1909/10], H. 22, S. 228–232, sowie die Notenbeilage, die vier »Exotische Lieder mit Accordzither-, Harfen- oder Klavierbegleitung« enthält). In den Gloßen zu Busonis Entwurf führt Schönberg als Beispiel einer »freien Melodie« die Flötenstimme des 7. Melodrams (»Der kranke Mond«) aus Pierrot lunaire op. 21 an: »Hier ist kein Verfahren als der Einfall (sollte jemand eines finden, so setze ich meinen Eid dagegen); ich habe weder einen Grundton, noch sonst einen Ton herausarbeiten müßen; ich durfte jeden der 12 Töne benutzen, mußte mich nicht in das Prokrustesbett einer motivischen Phrasierung zwingen, brauchte keine Abschlüße, Abschnitte und Phrasenanfänge und -enden zu berücksichtigen« (Busoni, Entwurf [wie Anm. 6], S. 73, S. 75).

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  14. Zit. nach Beat Föllmi, Tradition als hermeneutische Kategorie bei Arnold Schönberg, Bern u.a. 1996, S. 179.

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  15. Vgl. hierzu auch Christian Martin Schmidt, »Über Schönbergs Geschichtsbewußtsein«, in: Rudolf Stephan (Hrsg.), Zwischen Tradition und Fortschritt. Über das musikalische Geschichtsbewußtsein (Veröffentlichungen des Instituts für neue Musik und Musikerziehung Darmstadt 13), Mainz 1973, S. 85–95.

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  16. Vgl. hierzu auch die Analysen in: Michael Mäckelmann, Schönberg. Fünf Orchesterstücke op. 16 (Meisterwerke der Musik 45), München 1987.

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  17. Vgl. allerdings die gegensätzliche Auffaßung Adornos, der das konstruktive Moment der »Themen« betont und die Fünf Orchesterstücke aus der Sicht der dodekaphonen Werke interpretiert: »Sie [die Themen] sind ›Grundgestalten‹ bereits in einem ähnlichen Sinn wie das Material in der Composition mit zwölf Tönen‹, nur daß diese Gestalten nicht aus Zwölftonreihen, sondern frei gebildet sind«; vgl. **Theodor W. Adorno, »Schönberg: Fünf Orchesterstücke, op. 16« [1927], in: ders., Musikalische Schriften V (Gesammelte Schriften 18), Frankfurt a.M. 1984, S. 335–344, hier S. 337.

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Scheideler, U. (2001). Einfall — Material — Geschichte Zur Bedeutung dieser Kategorien im Musikdenken Pfitzners und Schönbergs um 1910. In: Meyer, A., Scheideler, U. (eds) Autorschaft als historische Konstruktion. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02771-9_6

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  • Print ISBN: 978-3-476-01839-7

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