Zusammenfassung
Das Ideal der (Liebes-)Dichtung, das Joachim Du Bellay 1549 in seiner Deffence et Illustration de la Langue Françoyse festlegte, war eine Lyrik in französischer Sprache, die sich nicht an der nationalen mittelalterlichen Tradition, sondern an antiken sowie italienischen Vorbildern orientieren sollte. Im selben Jahr publizierte der junge Dichter L’Olive, eine Sonett-Sammlung, die schon durch die Wahl der Form — eine Form, die das gesamte Werk Du Bellays dominiert — den deutlichen Einfluß Petrarcas verrät. Der Name der Geliebten, Olive, erinnert genau wie derjenige Lauras an einen Baum, der in der Mythologie eine große Rolle spielt. So überrascht es nicht, daß wir viele weitere mythologische Elemente in den Sonetten finden, Amor als Person auftritt, die Schönheitsbeschreibungen petrarkistische Stereotypen aufgreifen1 und der Liebesschmerz ein zentrales Thema bildet. Wie im Canzoniere erfolgt schließlich auch hier die Hinwendung zu Gott, und zwar genau an einem Karfreitag, also an dem Tag, an dem Petrarca sich in seine Schöne verliebte. In aller Deutlichkeit bringt Du Bellay zum Ausdruck, daß die irdische Liebe der Schlüssel zur himmlischen ist,2 um dann im übernächsten, dem drittletzten3 und wohl bekanntesten Stück des Bandes die „aele de mon desir“ (LXXXI, 1) einzutauschen gegen die „aele bien empanée“ (CXIII, 8), die die Seele in den höchsten Himmel („au plus hault ciel“, CXIII, 12) führt.
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
„Ell’prist son teint des beaux lyz blanchissans, / Son chef de l’or, ses deux levres des rozes, / Et du soleil ses yeux resplandissans.“ (J. Du Bellay: L’Olive; in: Ders.: Œuvres poétiques [2 Bde.]. Hg. v. D. Aris u. F. Joukovsky. Paris 1993, Bd. 1, Sonett II., V. 9–11, S. 17.) Alle weiteren Zitate von Du Bellay sind diesem Band entnommen und werden, sofern sie aus L’Olive stammen, unter Angabe der Sonett-Nummer in römischen sowie des Verses in arabischen Ziffern zitiert. Für Zitate aus L’Antérotique wird nur der Vers angegeben.
„Mais qui poura sentir ce doulx tourment [compassio], / Si l’ame n’est par l’amour enflamée?“ (CXI, V. 5f.)
Wir legen hier die erweiterte Ausgabe von L’Olive aus dem Jahre 1550 mit 115 Sonetten zugrunde. qu’en ce monde j’adore“ (CXIII, 13f.) möglich; das Ideal ist demnach eine transzendente Realität.4
Eine Interpretation dieses umstrittenen Textes — ich erinnere nur an die Auseinandersetzung Jakobsons mit der Analyse Spitzers, die ihrerseits wieder (u.a. von F. Hallyn) weitergeführt wurde — kann und soll hier nicht versucht werden.
Du Bellay 1993, Bd. 1, A une Dame, V. 241–248, S. 177.
Unter Anteros verstand man in der Antike zum einen den Bruder des Eros, also dessen Ergänzung, die Gegenliebe; zum anderen betrachtete man ihn als Feind der menschlichen, sinnlichen Liebe. (Vgl. R.V. Merrill: „Eros and Anteros“; in: Speculum. A Journal of Mediaeval Studies XIX/3, Juli 1944, S. 265–284) Die beiden Frauenfiguren im hier analysierten Gedicht verkörpern jeweils eine der beiden Auffassungen, da die junge den Sprecher ebenfalls liebt, die alte hingegen der erfüllten Liebe im Wege steht. Ohne Bedeutung ist für unseren Zusammenhang die Interpretation des Anteros als himmlischer Liebe, die E. Verheyen vertritt, allerdings in einem kunsthistorischen Aufsatz: „Eros et Antéros. L’Éducation de Cupidon et la prétendue Antiope du Corrège“; in: Gazette des Beaux Arts 1156/1157, Mai/Juni 1965, S. 321–340.
Du Bellay 1993, Bd. 2, S. 230, V. 111f.
Trotz dieser wenig sittsamen Beschäftigung wirft der Dichter ihr dennoch vor, seiner Liebe im Wege zu stehen, indem sie versucht, die Zuneigung der Geliebten zu zerreden. Allerdings wird der Eindruck erweckt, daß sie weniger die Moral ins Feld führt — wie Ronsards Alte namens Catin (s.u.) —, sondern das Mädchen anderweitig verkuppeln möchte.
Vgl. J. Bailbé: „Le thème de la vieille femme dans la poésie satirique du XVIe siècle et du début du XVIIe siècle“; in: B.H.R. 1964, S. 98–119.
Du Bellay 1993, Bd. 1, S. 312. Ebenfalls nicht anschließen kann ich mich der Meinung der Herausgeber, daß es sich um „une diatribe contre une vieille“ handelt, wie wir sie im zitierten Gedicht dieses Titels in den Jeux rustiques finden.
Mit „Dichter“ wird hier und im folgenden zugunsten einer besseren Lesbarkeit das lyrische Ich bezeichnet.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß der Autor bereits im 84. Sonett der Olive ganz ähnliche Metaphern gebraucht, allerdings nur, um seiner Sehnsucht Ausdruck zu verleihen; er beobachtet „collombs amoureux“ (V. 3), die „baisers savoureux“ (V. 6) austauschen, oder sieht den Weinstock sich um die Ulme schlingen. In diesem Gedicht, dessen Eingangsvers „Seul, et pensif par la déserte plaine“ klar auf Petrarcas „Solo et pensoso“ verweist, kommt jedoch auch zum Ausdruck, daß die Sehnsucht des lyrischen Ichs sich durchaus auf körperliche Erfüllung bezieht.
Neben den petrarkistischen Dichtern insistiert vor allem Firenzuola auf diesem Punkt. In seinem Dialogo delie bellezze delle donne verlangt er selbstverständlich blonde Haare, die aber außerdem noch „sottili, assettati, crespi, copiosi, lunghi, risplendenti e bene abbigliati“ sein müssen. (A. Firenzuola: Opere. Hg. v. D. Maestri. Turin 1977, S. 767)
„Des cheveux si crespes, et blonds, / Qu’ils font honte au beau Soleil mesme“ (V. 98f.), „Que mesme le Soleil se cache / de peur d’y prendre quelque tache“ (V. 33f.). Es ist aufschlußreich für Du Bellays Verfahren, daß er der Sonne natürlich nur bei der Beschreibung der Schönheit ein positives Adjektiv, nämlich „beau“ zuordnet.
„[…] une haleine fleurante / Mieux qu’Arabie l’Odorante“; „Angelique Parler“ (V. 133–135).
Petrarca selbst betont zwar stärker den Ruhm, der dem Geburtsort Lauras zuteil wurde (Canzoniere IV), und er segnet die Stunde, in der er sie kennenlernte (XII; LXI). Doch erwähnt er auch den positiven Einfluß des Gestirns, unter dem Laura das Licht der Welt erblickte (CCXV). Ersteren und letzteren Aspekt verbindet Du Bellay mit einer Schönheitsbeschreibung gleich im zweiten Sonett der Olive.
„Pource que la Mort […] De toy approcher n’osera“ (V. 72 u. 75). „M’amye est un beau petit astre / Si clair, si net, que je crai’ bien, / Que le Ciel ne l’avoue sien“ (V. 148ff.).
Die verschiedenen antiken Einflüsse auf diesen Text sind bereits untersucht worden und im hier untersuchten Kontext ohne Bedeutung; vgl den Kommentar der zit. Ausgabe, S. 312. Zu antiken Einflüssen in Ronsards Livret des Folastries vgl. P. Lamonier: Ronsard poète lyrique. Paris 31932, S. 95ff.
M.S. Whitney: „Du Bellay in April 1549: Continuum and Change“; in: The French Review XLIV/5, April 1971, S. 853 u. 861, unterstellt dem Autor „sharply contrastive states of mind“, eine „metaphysical malaise“ sowie einen „thirst for stability“.
P. de Ronsard: Les Amours. Hg. v. H. u. C. Weber. Paris 1993, S. 178.
Ebd., S. 164.
Dieser Einfluß ist meines Wissens noch nicht untersucht worden. Zu Recht stellt Claude Faisant fest: Ronsards „poésie érotique demeure négligée: il est significatif que le Livret des folastries n’ait jamais encore fait l’objet d’une étude particulière.“ (C. Faisant: „L’Érotisme dans les Folastries de Ronsard“; in: Europe 691/92, Nov. 1986, S. 59) Ähnliches gilt für die Jeux rustiques und den Antérotique Du Bellays. Eine neuere Untersuchung von C. Randall: „Poetic License, Censorship and the Unrestrained Self: Ronsard’s Livret des folastries“; in: Papers on French Seventeenth Century Literature XXIII, 1996, ist wenig hilfreich, da sie den Text recht ahistorisch als „not adequately ‘politically correct’ for the day“ (S. 450), ja sogar als Pornographie betrachtet und keine Rücksicht auf die literarische Tradition nimmt, in der er steht.
Zitiert wird im folgenden unter Angabe der Verse nach P. de Ronsard: Livret des Folastries; in: Ders.: Œuvres complètes. Hg. v. P. Laumonier. Paris 21968, Bd. 5, S. 21–29.
Author information
Authors and Affiliations
Editor information
Copyright information
© 2000 Springer-Verlag GmbH Deutschland
About this chapter
Cite this chapter
Fischer, C. (2000). Die hässliche Alte funkt dazwischen. Psychologische Liebeshindernisse bei Du Bellay und Ronsard. In: Fischer, C., Veit, C. (eds) Abkehr von Schönheit und Ideal in der Liebeslyrik. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02695-8_6
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-02695-8_6
Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
Print ISBN: 978-3-476-45232-0
Online ISBN: 978-3-476-02695-8
eBook Packages: J.B. Metzler Humanities (German Language)