Zusammenfassung
Die Passage aus Walter Mehrings Kabarett-Chanson „Jazz-Band“ markiert kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges die Ankunft eines neuartigen, vitalen musikalischen Idioms auf dem kulturellen Terrain der Weimarer Republik. Die drängende Rhythmik des Textes, seine insistenten Binnen-und Außenreime sowie die schlagzeilenartige Wucht des englischen Wortes verweisen allesamt auf eine sensationelle, möglicherweise skandalöse Musik, die, in der Benennung ihrer personellen Besetzung, untrennbar mit der Art und Weise ihrer Aufführung verbunden ist. Mehrings Text, den man sich durchaus als frühen Schlagertext vorstellen kann, skizziert eine Simultaneität von spielerischer Ausgelassenheit, entfesselter Sinnlichkeit und bedrohlicher Übermacht und ist in dieser bündigen Polyvalenz bezeichnend für das heterogene Textgewebe, in das die Begegnungen zwischen Jazz und deutscher Kultur in den zwanziger Jahren eingeschrieben werden. Diese geschäftige Dialogik im Einzelnen auszuleuchten und zu analysieren ist das Ziel der vorliegenden Studie. Die grundlegende Komplexität dieser Vorgänge ist nicht zuletzt auf die semantische Bedeutungsvielfalt des Wortes „Jazz“ selbst zurückzuführen. Damals wie heute erstreckt sie sich über ein weites Feld der Enkodierung, das von der übergreifenden Bezeichnung einer schwer definierbaren Palette musikalischer Formen und Praktiken bis zu (ver)urteilenden Wertungen wie „Aufregung,“ „Perversion,“ „Unsinn“ und „Chaos“ reicht.
Sie kommen von weither übers Meer The Jazzband — the jazzband und blasen wie das wilde Heer und rasen wie ein Wildenheer.
Walter Mehring1
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Notizen
Walter Mehring, Die Chronik der Lustbarkeiten. Die Gedichte, Lieder und Chansons 1918–1933, hg. v. Christoph Buchwald (Düsseldorf: claassen, 1981) 128.
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Unter der reichhaltigen Literatur sei hingewiesen auf: Detlev J. K. Peukert, Die Weimarer Republik (Frankfurt: Suhrkamp, 1987)
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Diese Problematik ist jüngst aus musikologischer und philosophischer Perspektive aufgegriffen worden in: Jenefer Robinson, Hg., Music and Meaning (Ithaca: Cornell University Press, 1997).
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Partsch, C. (2000). Einleitung. In: Schräge Töne. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-01897-7_1
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