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»Sinnen auf Tod ist Sinnen auf Freiheit«

Der Todesdiskurs bei Heinrich von Kleist im zeitgeschichtlichen Kontext

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Kleist-Jahrbuch 2012

Zusammenfassung

In einem Kapitel seiner Essays knüpft Michel de Montaigne an Ciceros bekannten Ausspruch an, »[p]hilosophieren sei nichts anderes als sich auf den Tod vorbereiten « und erklärt ihn dergestalt: »Studieren und tiefe Betrachtungen versetzen gewissermaßen die Seele in eine höhere Sphäre und geben ihr eine unkörperliche Pflege, welches eine Art von Schule und Ähnlichkeit des Todes ist«. Wäre also Philosophie eine Art Todesgelehrsamkeit? Statt einer direkten Antwort auf diese Frage bietet Montaigne noch eine andere Interpretation an: »daß alles Nachdenken, alle Weisheit dieser Welt sich in dem einen Punkt auflöse, uns zu lehren, den Tod nicht zu fürchten«.1 Doch genau genommen ist der Tod »etwas Unvorstellbares, etwas eigentlich Undenkbares«, wie ein Philosoph des 20. Jahrhunderts, Karl Jaspers, erklärt. Man hat vom Tod nur Fremderfahrungen, indem man den Tod »als Körpervorgang, als Nichtexistenz des Nächsten« erfasst, während man »selbst noch weiter existiert«.2 Für Montaigne bedeutet Reflexion auf den Tod gleichzeitig eine politische und gesellschaftliche Befreiung. Mit anderen Worten: »Wer sterben gelernt hat, versteht das Dienen nicht mehr […]; das Leben aufgeben ist kein Übel. Zu sterben wissen, das befreit uns von aller Lebenspflicht und von jedem Zwange«. Montaigne bringt den erörterten Sachverhalt auf folgende Sentenz: »Sinnen auf den Tod ist Sinnen auf Freiheit«.3

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Anmerkungen

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Günter Blamberger Ingo Breuer Wolfgang de Bruyn Klaus Müller-Salget

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Hinderer, W. (2012). »Sinnen auf Tod ist Sinnen auf Freiheit«. In: Blamberger, G., Breuer, I., de Bruyn, W., Müller-Salget, K. (eds) Kleist-Jahrbuch 2012. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-00814-5_16

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