Zusammenfassung
1. Die Frage nach Eigenart und Sinngehalt der Rhetorik begleitet die Redekunst seit ihren Anfängen; es ist immer (anders als etwa bei der ähnlich gewichtigen Frage nach dem Wesen der Philosophie) ein zweifelnder Unterton darin, der nicht nur den Gegenstandsbereich, das Erfahrungswissen, Abgrenzungsprobleme oder die Methode betrifft, sondern auch die Berechtigung der Rhetorik als einer eigenen, selbständigen und gesellschaftlich nützlichen Disziplin. Schon die antiken Rhetoriker verbanden die Erörterung dieser Frage mit ethischen Reflexionen, und Quintilian, der bedeutendste Lehrer der Beredsamkeit im kaiserlichen Rom, hat sein erstes, leider verlorenes Buch über den Verfall der Beredsamkeit geschrieben (»De causis corruptae eloquentiae«); gleich zu Beginn seiner zwölf Bücher über »Die Ausbildung des Redners« (»Institutionis oratoriae«), dem wichtigsten rhetorischen Lehrwerk der europäischen Geschichte, erörtert er den Zusammenhang von Ethik und Rhetorik: »Denn ich möchte nicht zugeben, die Redenschaft über rechtes, ehrbares Leben sei, wie einige gemeint haben, der Zuständigkeit der Philosophen zuzuweisen […]. Deshalb möchte ich […] entschieden dafür eintreten, daß diese Dinge von Rechts wegen wirklich unsere Sache sind und ihrem eigentlichen Wesen nach zur Redekunst gehören.« (Vorrede, 10f.) Quintilian schließt sich ausdrücklich Platons Meinung an, wenn er die Kenntnis der Gerechtigkeit als Voraussetzung rhetorischer Vollkommenheit dekretiert. Sicher ist jedenfalls, daß die Redekunst nach ihrer rein technisch-wissenschaftlichen Seite hin keine Gewähr gegen ihren Mißbrauch bietet — sie teilt damit freilich das Schicksal aller anderen Disziplinen, keine Natur- und keine Geisteswissenschaft, die davon ausgenommen ist.
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Ueding, G., Steinbrink, B. (2011). Einleitung in die Rhetorik. In: Grundriß der Rhetorik. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-00726-1_1
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-00726-1_1
Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
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Online ISBN: 978-3-476-00726-1
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