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Was das Volk Nicht Weiss …

Politische Agnotologie nach Kleist

  • Chapter
Kleist-Jahrbuch 2010
  • 188 Accesses

Zusammenfassung

Selten wird mit Blick auf Kleists Stellung zur Aufklärung gefragt,1 wie er es mit der Forderung nach ›Publizität‹ hielt. Die »Freyheit der Presse«, hatte Christoph Martin Wieland erklärt, sei »Angelegenheit und Interesse des ganzen Menschenge-schlechtes«,2 weil dessen Vervollkommnung sie erfordere. Eben darum handele es sich auch um ein natürliches Recht: »Alles was wir wissen können, das dürfen wir auch wissen«.3 Dieser Satz richtet sich gegen jede Art der Vorenthaltung von Wissen einschließlich der absolutistischen Arkanpolitik. Publizität wurde auch in Staatsgeschäften gefordert. Solange »Politik das anmaßliche Geheimnis der Höfe und Kabinette ist«, musste sie sich nach Wielands Überzeugung als Werkzeug der

Täuschung und Unterdrückung mißbrauchen lassen. […] Nicht so, wenn die Ver-nunft sich ihrer ewigen unverjährbaren Rechte wieder bemächtigt hat, um alle Wahrheiten, an deren Erkenntnis allen alles gelegen ist, wieder ans Licht hervorzuziehen, und ihnen mit Hilfe aller Musenkünste, unter allen nur ersinnlichen Gestalten und Einkleidungen, die möglichste Popularität zu verschaffen.4

Solcher Popularisierung politischer Wahrheiten schrieb man eine kritische Funktion zu: Wie Urteile und Meinungen waren auch Verordnungen und Gesetze einer öffentlichen Prüfung zu unterziehen. Publizität sollte ein »Probirstein der Recht-mäßigkeit«5 sein; darum erklärte Kant die Freiheit der Feder zum »einzige[n] Palladium der Volksrechte«.6 Was sich dagegen der Kritik zu entziehen suche, errege »gerechten Verdacht wider sich« und könne »auf unverstellte Achtung nicht Anspruch machen«.7

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Anmerkungen

  1. Siehe etwa die Beiträge in Marie Haller-Nevermann und Dieter Rehwinkel (Hg.), Kleist — ein moderner Aufklärer? Göttingen 2005.

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  35. Ein 1809 für die Rückkehr des preußischen Königs nach Berlin geschriebenes Gedicht spielt darauf an, dass Friedrich Wilhelm III. es 1806 abgelehnt hatte, die Franzosen vor Ablauf eines Ultimatums anzugreifen, was Napoleon die Zeit gab, seine Truppen für die Entscheidungsschlacht zu sammeln; vgl. Samuel, Heinrich von Kleists Teilnahme an den politischen Bewegungen (wie Anm. 10), S. 194. Der Dichter versteht es, seinem König nach den Regeln des Herrscherlobs vorzuhalten, dass die Niederlage auf dem Schlachtfeld seiner Wahrheitsliebe geschuldet ist: »Die schönste Tugend, (laß mich’s kühn dir sagen!) / Hat mit dem Glück des Krieges dich entzweit: / Du brauchtest Wahrheit weniger zu lieben, / Und Sieger wärst du auf dem Schlachtfeld blieben« (DKV III, 437). Deutlicher rechtfertigt ein Epigramm von 1810 die Täuschung des Feindes als ›Notwehr‹: »Wahrheit gegen den Feind? Vergib mir! Ich lege zuweilen / Seine Bind um den Hals, um in sein Lager zu gehn« (DKV III, 445). Martin Dönike hat ausgehend von diesem Distichon Kleists Praktiken der Täuschungs- und Verstellungskunst in den ›Berliner Abendblättern‹ behandelt; siehe Martin Dönike, »… durch List und den ganzen Inbegriff jener Künste, die die Notwehr dem Schwachen in die Hände gibt«. Zur Gedankenfigur der Notwehr bei Kleist. In: KJb 1999, S. 53–66.

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Günter Blamberger Ingo Breuer Klaus Müller-Salget

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Twellmann, M. (2010). Was das Volk Nicht Weiss …. In: Blamberger, G., Breuer, I., Müller-Salget, K. (eds) Kleist-Jahrbuch 2010. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-00563-2_12

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  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

  • Print ISBN: 978-3-476-02361-2

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