Zusammenfassung
Von der Erfindung einer einfachen Form des Telegraphen inspiriert, verfasste Kleist eine Reihe kurzer Texte, die in den Berliner Abendblättern erschienen. Diese Beiträge nehmen den Drang zu immer höherer Effizienz der Kommunikation zur Kenntnis, gleichzeitig aber offenbaren sie die Neigung dieses Drangs zu unvorhergesehenen Umwegen, Verdunklungen und Verschiebungen. Mit verschrobenem Humor schlägt er eine noch bessere Methode für die rasche Zustellung von Briefen zuerst vor, um sie kurz danach zu verspotten. Während Samuel Thomas Sömmerings Gerät jeden Buchstaben durch einen separaten Draht übermitteln musste, regte Kleist eine »Bombenpost« an, die ganze Pakete mit einer Kanone von einem Teil des Landes in einen anderen schießen würde (DKV IV, 592–595). Die erste Stadt sollte die Lieferung so weit wie möglich schleudern, die nächste die Kanonenkugel vom Ort ihres Aufschlags bergen, »falls es kein Morastgrund ist« (DKV IV, 593), und sie dann weiterschießen. Kleist argumentiert mit wirtschaftlichen Berechnungen, dass man die Zustellung von Paketen auf diese Weise um das Zehnfache beschleunigen könne. Vier Tage später bewies allerdings ein anonymer Brief (wiederum von Kleist selbst verfasst), dass die vorgeschlagene Erfindung, zumindest für einen Leser, im Morast gelandet war. Dieser Leser spricht sich stattdessen für ein Postwesen aus, das nicht die Geschwindigkeit des Versands ändern würde, sondern die Qualität der versendeten Nachrichten, indem schlechte Neuigkeiten durch gute ersetzt würden.
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Anmerkungen
Mit seinem Versuch, neue Verbindungen im Angesicht von potentiellen Fehlschlägen zu schaffen, nimmt sich Kleists Experiment einer Aufgabe an, die Avital Ronell mit den Grundvoraussetzungen der Ethik in Verbindung setzt: »Essentially relational and not static, testing admits of no divine principle of intelligibility, no first word of grace or truth, no final meaning, no privileged signified. […] There is something on the order of absolute risk that compels our attention, something that, risking the knowable, requires extreme vigilance and establishes the condition of responsibility and decision.« (Avital Ronell, Test Drive, Urbana 2005, S. 9)
Klaus Müller-Salget, Briefe [Art.]. In: Kleist-Handbuch. Leben — Werk — Wirkung, hg. von Ingo Breuer, Stuttgart und Weimar 2009, S. 180–183, hier S. 180.
Hans-Jürgen Schrader, Unsägliche Liebesbriefe. Heinrich von Kleist an Wilhelmine von Zenge. In: KJb 1981/82, S. 86–96, hier S. 92. Zusätzlich zu seiner formalen Analyse unternimmt dieser Artikel vorbereitende Arbeit zu Kleists Versuch, seine Briefe zur Zuschreibung von Rollen (vom Mentor zum Mitleidbedürftigen) zu benutzen, den Schrader im Detail an anderer Stelle untersucht (vgl.
Hans-Jürgen Schrader, »Denke du wärest in das Schiff meines Glückes gestiegen.« Widerrufene Rollenentwürfe in Kleists Briefen an die Braut. In: KJb 1983, S. 122–179).
Joachim Knape, Zur Struktur des Jungendbriefs an die Schwester im 18. Jahrhundert. Goethe, Mozart, Brentano, Kleist. In: KJb 1996, S. 91–105, hier S. 97.
Rolf-Peter Janz, Der gerahmte Blick. Landschaftsbilder bei Kleist. In: Beiträge zur Kleist-Forschung 2008, S. 35–44, hier S. 43.
Karl Heinz Bohrer, Der romantische Brief. Die Entstehung ästhetischer Subjektivität, Frankfurt a.M. 1989, S. 55f. Gabriele Knapp sieht Kleists Sprachtheorie als den Wegbereiter der Entwicklung von Kleists Deskription der Welt in den Briefen zum späteren Stil und zu den Themen der literarischen Werke (vgl.
Gabriele Knapp, »Des Gedanken Senkblei«. Studien zur Sprachauffassung Heinrich von Kleists 1799–1806, Stuttgart 2000).
Vgl. Elke Clauss, Liebeskunst. Der Liebesbrief im 18. Jahrhundert, Stuttgart und Weimar 1993, S. 203.
Thomas Schestag, Friend … Brockes: Heinrich von Kleist in Letters. In: Eighteenth-Century Studies (Winter 1998/1999), S. 261–277, hier S. 273.
Cécil-Eugéne Clot, Kleist épistolier. Le geste, l’object, l’écriture, Bern 2008, S. 136.
Dieter Heimböckel, Emphatische Unaussprechlichkeit. Sprachkritik im Werk Heinrich von Kleists, Göttingen 2003, S. 44–75.
Bettina Schulte, Unmittelbarkeit und Vermittlung im Werk Heinrich von Kleists, Göttingen und Zürich 1988, S. 66.
Günter Blamberger, Ökonomie des Opfers. Kleists Todes-Briefe. In: Adressat. Nachwelt. Briefkultur und Ruhmbildung, hg. von Detlev Schöttker, München 2008, S. 145–160, hier S. 152.
Justus Fetscher, Schrift verkehrt. Über Kleists Briefwerk. In: Beiträge zur Kleist-Forschung 2006, S. 105–128, hier S. 112.
Peter Staengle besteht in einem Artikel, der sich mit generellen Fragen der Briefedition auseinandersetzt, auf der Handschrift: »Der Bandaufbau opponiert durch Zäsuren, die von Gegenstand selbst gesetzt sind, jener äußerlichen, gewissermaßen mechanischen Synthetisierung, wie sie das Medium Buch zwangsläufig mit sich führt« (Peter Staengle, »noch ein Blättchen Papier für Dich«. Zu Heinrich v. Kleists Brief an Wilhelmine v. Zenge vom 20./21. August 1800. In: Modern Language Notes (April 2002), S. 576–583, hier S. 579). Die Brandenburger Kleist-Blätter‹, die die ›Berlin-Brandenburger Ausgabe‹ begleiten, stellen ebenfalls eine wichtige Quelle dar.
Klaus Müller-Salget erklärt die Genese der Prinzipien, die die Edition des vierten Bandes der DKV-Ausgabe leiten und vergleicht sie mit denen der ›Berlin-Brandenburger Ausgabe‹ (vgl. Klaus Müller-Salget, Heinrich von Kleists Briefwerk. Probleme der Edition eines mehrfach fragmentierten Torsos. In: »Ich an Dich«. Edition, Rezeption und Kommentierung von Briefen, hg. von Werner M. Bauer, Johannes John und Wolfgang Weismüller, Innsbruck 2001, S. 115–131).
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Champlin, J. (2010). Bombenpost 2011. In: Blamberger, G., Breuer, I., Müller-Salget, K. (eds) Kleist-Jahrbuch 2010. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-00563-2_11
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Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
Print ISBN: 978-3-476-02361-2
Online ISBN: 978-3-476-00563-2
eBook Packages: J.B. Metzler Humanities (German Language)