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»ich gebe vielmehr den Körpern ihren Geist zurück« Die Tanz-Inszenierung in Heines »Florentinischen Nächten« und die Ästhetik des Performativen

  • Chapter
Heine-Jahrbuch 2008
  • 246 Accesses

Zusammenfassung

Wenn Heine den Tanz in seine literarischen Texte aufnimmt, scheint er sich auf eine paradoxe Beziehung einzulassen. Denn der Tanz kann nur über die sprachlichen Zeichen des Textes vermittelt werden, sodass die lebendige Darstellung des Tanzes zur literarischen Herausforderung wird. Der gegenwärtige Zuschauer erlebt kraft seiner direkten Wahrnehmung eine Faszination für die tänzerischen Bewegungen des Körpers, die im Medium des Textes ihre sinnliche Unmittelbarkeit verlieren. Lucia Ruprecht ist zuzustimmen, wenn sie dieses Darstellungsproblem folgendermaßen formuliert: »language shows dance as much as hiding it.«1 Indessen ist der prominente Stellenwert des Tanzes in Heines Texten unbestritten.2 Heines auffälliges Interesse für den Tanz konvergiert in dessen zentralen literarischen Inszenierungen mit einer bemerkenswerten Sensibilität für die unerhörte Wirkung, die der tanzende Akteur für einen wirklich gegenwärtigen Zuschauer entfalten kann.

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Anmerkungen

  1. Lucia Ruprecht: Dances of the Self in Heinrich von Kleist, E. T. A. Hoffmann and Heinrich Heine. Aldershot 2006, S. 138.

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  2. Von den zahlreichen Beiträgen zum thematischen Komplex des Tanzes bei Heine können im Rahmen dieses Aufsatzes nur die für die eigene spezifische Fragestellung relevanten Texte herangezogen werden. Im Hinblick auf das Verhältnis von Sprache und Tanz stellt Benno von Wiese Heines Tanzdarstellungen nicht antizipatorisch in den Horizont der um 1900 aufkommenden Sprachskepsis, sondern integriert die Ausdrucksform des Tanzes mittels des »Signatur«-Begriffs innerhalb von sprachlichen Kapazitäten. Die besondere Zeichensprache des Tanzes sei demzufolge eine Signatur, die sprachlich enträtselt werden könne. Vgl.

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  3. Benno von Wiese: Das tanzende Universum. — In: Ders.: Signaturen. Zu Heinrich Heine und seinem Werk. Berlin 1976, S. 67–134, hier S. 129ff.; Roger W. Müller-Farguell geht in der Richtung von Wieses weiter und untersucht die Lesbarkeit des Tanzes in einer tropologischen Perspektive: »Das Rätsel der bewegten Signatur liegt in seiner figurativen Vermittlungsfunktion.«

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  4. Roger W. Müller-Farguell: Heine. — In: Ders.: Tanz-Figuren. Zur metaphorischen Konstitution von Bewegung in Texten. Schiller — Kleist — Heine — Nietzsche. München 1995, S. 177–267, hier S. 257. Ruprecht kritisiert die überwiegende Nichtbeachtung von Heines Sensibilität für die Körperlichkeit der Tanzbewegungen und greift den roten Faden des problematischen Verhältnisses von Sprache und Tanz unter umgekehrten Vorzeichen auf. Die besondere Zeichensprache des Tanzes ist bei ihr eine Körpersprache eigenen Rechts, die noch vor der verbalen Sprache dazu privilegiert sei, das Phänomen einer traumatischen Identität auszudrücken. Vgl. Lucia Ruprecht: Heinrich Heine and the New Language of the Body. — In: Dies. [Anm. 1], S. 97–137, hier S. 127 ff.

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  5. Vgl. Michael Hofmann: Veranschaulichung von Ambivalenz in Bildern des Tanzes. Dichotomien der Aufklärung und ihre poetische Bearbeitung bei Heine und Wieland. — In: Aufklärung und Skepsis. Internationaler Heine-Kongreß 1997 zum 200. Geburtstag. Hrsg. von Joseph A. Kruse, Bernd Witte und Karin Füllner. Stuttgart, Weimar 1999, S. 102–117, hier S. 104.

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  6. Im Folgenden unterscheide ich die phänomenale Sinnlichkeit des Leibes von dem physiologischen Körper als Objekt, die beide unter dem Oberbegriff Körperlichkeit subsumiert werden. Vgl. Yvonne Hardt: Artikel »Körperlichkeit«. — In: Metzler-Lexikon Theatertheorie. Hrsg. v. Erika Fischer-Lichte, Doris Kolesch und Matthias Warstat. Stuttgart, Weimar 2005. S. 178.

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  7. Erika Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen. Frankfurt a. M. 2004. Diese Ästhetik ist aus dem »Projektbereich B: Performativität in der Moderne« des interdisziplinären Sonderforschungs-bereichs »Kulturen des Performativen« (DFG 447) an der Freien Universität zu Berlin hervorgegangen.

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  8. Ralph Martin hat auf die Mehrdeutigkeit dieser ärztlichen Unterweisung hingewiesen. Für den Erzähler ist die sensible Körperlichkeit seiner todkranken Zuhörerin ein entscheidendes Kriterium der Erzählsituation. Vgl. Ralph Martin: Die Wiederkehr der Götter Griechenlands. Zur Entstehung des »Hellenismus«-Gedankens bei Heinrich Heine. Sigmaringen 1999, S. 210.

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  9. Das reziproke Verhältnis von Rahmen- und Binnenerzählung pointiert ebenfalls Christine Mielke im Hinblick auf das erotische Spannungsverhältnis zwischen Maria und Maximilian. »Alle Frauen in Maximilians Erzählungen sind als Variation auf die Marmorstatue — starr, kalt, stumm, rätselhaft oder schön — zu lesen. Die letzte Variation wird Maria sein, tot und schön. Maximilian zeigt ihr durch seine Erzählungen, dass sein Interesse an ihr aus diesem Grunde besteht, und spiegelt damit ihren drohenden Tod. […] Die beiden Motive Tod und Sexualität werden gekoppelt und ergeben einen für Maximilian attraktiven Schrecken.« Christine Mielke: Der Tod und das novellistische Erzählen. Heinrich Heines »Florentinische Nächte«. — In: HJb 2002, S. 53–82, hier S. 74.

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  10. »Nun gehören Heine und Nietzsche zu den Autoren, deren Prosa sich gerade an der gesprochenen Sprache orientiert. Ihre Texte kennzeichnet das, was ich eine elaborierte Mündlichkeit nenne. Dieser gelingt es, mündliche Phrasen so in das Schriftliche einzumontieren, dass die Montage die Syntax nicht brüchig werden lässt, überhaupt das Schriftliche selbst mündlich zu konzeptualisieren, ihm ein neues Tempo zu verleihen. Nietzsches Aufforderung, alles Sprachliche als Gebärde zu empfinden, es geradezu körperlich spüren zu lernen, meint sowohl das von fremder als auch von eigener Hand Geschriebene.« Nils Björn Schulz: Eine Pädagogik des Stils. Überlegungen zu Heines Philosophieschrift. Würzburg 2005, S. 55.

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  11. Sabine Bayerl: Die Sprache der Musik (Theodor W. Adorno). — In: Dies.: Von der Sprache der Musik zur Musik der Sprache. Konzepte zur Spracherweiterung bei Adorno, Kristeva und Barthes. Würzburg 2002, S. 51–129, hier S. 110. Zu Adornos Konzeptualisierung von Spracherweiterung vgl.

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  12. Theodor W. Adorno: Parataxis. — In: Ders.: Gesammelte Schriften. Hrsg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M. 2003, Bd. II: Noten zur Literatur, S. 447–495.

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  13. Hanno Helbing: Rhythmus. Ein Versuch. Frankfurt a. M. 1999, S. 18.

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  14. Olaf Briese: Auslassungszeichen. Interpunktionsregime bei Heinrich Heine. — In: [Auslassungen]. Leerstellen als Movens der Kulturwissenschaft. Hrsg. v. Natascha Adamowsky und Peter Matussek. Würzburg 2004, S. 213–221, hier S. 217.

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  15. Christa Brüstle, Nadia Ghattas, Clemens Risi u.a.: Zur Einleitung: Rhythmus im Prozess. — In: Aus dem Takt. Rhythmus in Kunst, Kultur und Natur. Hrsg. v. Dens. Bielefeld 2005, S. 9–33, hier S. 22.

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  16. Damit folge ich dem von Heinrich F. Plett gemachten »[…] Vorschlag, von Rhetorizität in der Literatur zu sprechen. Diese meint ein abgestuftes Vorhandensein rhetorischer ars in der Literatur, in jeder Art von Literatur. Denn Literatur ist grundsätzlich auf die Möglichkeit von Rhetorizität angelegt. Diese kann gering oder komplex, offen demonstriert oder kunstvoll verborgen sein.« Heinrich F. Plett: Systematische Rhetorik. Konzepte und Analysen. München 2000, S. 251.

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  17. Dass der nachträgliche Bericht der Laurence das Rätsel ihres Tanzes nicht löst, betont auch Sigrid Weigel. Vgl. Sigrid Weigel: Zum Phantasma der Lesbarkeit. Heines Florentinische Nächte als literarische Urszene eines kulturwissenschaftlichen Theorems. — In: Lesbarkeit der Kultur. Literaturwissenschaften zwischen Kulturtechnik und Ethnographie. Hrsg. v. Gerhard Neumann und Sigrid Weigel. München 2000, S. 245–258, hier S. 256.

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  18. Vgl. Erika Fischer-Lichte: Ästhetische Erfahrung. Das Semiotische und das Performative. Tübingen 2001, S. 10.

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  19. Manfred Schneider: Die Angst des Revolutionärs vor der Revolution. Zur Genese und Struktur des politischen Diskurses bei Heine. — In: HJb 1980, S. 9–49, hier S. 9 f.

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  20. Martin Seel: Inszenieren als Erscheinenlassen. Thesen über die Reichweite eines Begriffs. — In: Ästhetik der Inszenierung. Hrsg. v. Josef Früchtl und Jörg Zimmermann. Frankfurt a. M. 2001, S. 48–63, hier S. 62.

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Wortmann, S. (2008). »ich gebe vielmehr den Körpern ihren Geist zurück« Die Tanz-Inszenierung in Heines »Florentinischen Nächten« und die Ästhetik des Performativen. In: Kruse, J.A. (eds) Heine-Jahrbuch 2008. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-00360-7_2

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-00360-7_2

  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

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