Zusammenfassung
Angenommen, eine Dame bittet in einer vornehmen Gesellschaft einen sehr männlichen Mann um einen Tanz, der aber schlägt ihn aus mit der Bemerkung, »derartige Kindereien seien nicht sein Beruf«. Als ihn die Dame fragt, was denn eigentlich sein Beruf sei, antwortet er:
»Kämpfen!« Darauf erwidert sie: Ich möchte dafürhalten, daß es, da jetzt keine Kriegsläufte sind, es auch bis zur nächsten Schlacht noch lange dauern wird, das Beste, was ihr tun könnt, wäre, Euch ordentlich mit Fett zu bestreichen und mit aller Euer Wehr und Waffen irgendwo in ein Zeughaus zu stellen, bis man Eurer wieder bedarf, damit Ihr dann nicht noch rostiger seid als jetzt.
Und die Gesellschaft pflichtet ihr mit Spott und Gelächter über den Krieger bei. Das Exempel stammt aus Baldassare Castigliones 1528 erschienener Schrift ›Der Hofmann‹ (›II libro del cortegiano‹),2 und die Dame beliebt in jeder Hinsicht zu scherzen, denn ihre Aufforderung zum Tanz erfolgt mitten in Kriegszeiten, in den Zeiten der Bedrohung italienischer Fürstentümer durch französische, spanische und österreichische Invasoren. Die Alternative heißt also gar nicht ›Krieg führen‹ oder ›tanzen‹. Das Exempel hat zur Lehre, dass ein Mann sein Ansehen nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch auf dem Tanzparkett zu verteidigen hat. Kämpfen und tanzen muss er können. Das ist keine italienische Besonderheit, gilt nicht nur für den gentiluomo der Renaissance. In den preußischen Militärakademien des Alten Fritz und seiner Nachfolger üben die Kadetten nicht nur Manöver, sie erhalten ebenso selbstverständlich Tanzunterricht.
Im Folgenden werden an Kleists Betrachtung sportlicher Wettkämpfe, also gleichsam an der Peripherie seines Werkes, zentrale Aspekte seiner Faszination von riskanten Bewegungen entwickelt, in der Form von fünf kurzen Thesen, die bei der Eröffnung der Tagung ›Kleists Choreographien« komplementär zu Gabriele Brandstetters historisch-systematischer Analyse des Verhältnisses von Choreographie und Literatur um 1800 als Incitament der Diskussion dienten.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Anmerkungen
Vgl. Günter Blamberger, Agonalität und Theatralität. Kleists Gedankenflgur des Duells im Kontext der europäischen Moralistik. In: KJb 1999, S. 25–40.
Balthasar Gracián, Handorakel und Kunst der Weltklugheit, aus dessen Werken gezogen von D. Vincencio Juan de Lastanosa und aus dem spanischen Original treu und sorgfältig übersetzt von Arthur Schopenhauer, mit einem Nachwort hg. von Arthur Hübscher, Stuttgart 1995, Nr. 48.
Wolf Kittler hat das in seinem Buch ›Die Geburt des Partisanen aus dem Geiste der Poesie: Heinrich von Kleist und die Strategie der Befreiungskriege‹ (Freiburg i. Br. 1987) in allen historischen Filiationen gezeigt.
Vgl. Helmut Plessner, Die Stufen des Organischen und der Mensch: Einleitung in die philosophische Anthropologie, Berlin und New York 31975 (Sammlung Göschen; 2200).
Dt.: Loïc Wacquant, Leben für den Ring: Boxen im amerikanischen Ghetto, aus dem Französischen von Jörg Ohnacker, Konstanz 2003.
Siehe Martin Roussel, Zerstreuungen. Kleists Schrift ›Über das Marionettentheater‹ im ethologischen Kontext. In: KJb 2007, S. 61–93, dem ich die Entdeckung dieser Denkfigur bei Kleist verdanke.
Editor information
Rights and permissions
Copyright information
© 2007 Springer-Verlag GmbH Deutschland
About this chapter
Cite this chapter
Blamberger, G. (2007). Von der Faszination riskanter Bewegungen. In: Blamberger, G., Brandstetter, G., Breuer, I., Doering, S., Müller-Salget, K. (eds) Kleist-Jahrbuch 2007. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-00319-5_5
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-00319-5_5
Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
Print ISBN: 978-3-476-02243-1
Online ISBN: 978-3-476-00319-5
eBook Packages: J.B. Metzler Humanities (German Language)