Zusammenfassung
In Alfred Hitchcocks Film Rear Window (1954), der sehr treffend als „Versuch über die unersättliche Gier der Augen“1 bezeichnet wurde, verfolgt der Zuschauer, wie der durch ein gebrochenes Bein bewegungsunfähige James Stewart sich die Zeit seiner Genesung vertreibt, indem er mit einem Fernglas das Geschehen in den Fenstern der gegenüberliegenden Wohnungen beobachtet. Dieser Voyeurismus, der den Zuschauer auch darauf aufmerksam macht, daß er selbst, als Zuschauer, ein ebensolcher Voyeur ist wie der Protagonist, erweist sich im Film als entscheidende Voraussetzung von Erkenntnis: der scheinbar unschuldige Zeitvertreib führt zur Entdeckung und Aufklärung eines Verbrechens. Hitchcocks Film läßt sich ohne weiteres als eine Parabel über die künstlerische Vision deuten, denn es ist nicht nur der sinnliche Blick durch das Fernglas, der zur Erkenntnis des Kriminalfalls führt, sondern ebensosehr die Imagination des Voyeurs: Indem er in die Fenster der Nachbarn blickt, sieht er ja stets nur Ausschnitte einer Wirklichkeit, deren Zusammenhang er durch phantasievolles Kombinieren rekonstruieren muß. Seit der Erfindung des Teleskops zu Beginn des 17. Jahrhunderts2 hat der Blick durch das Fernrohr für die Menschen nichts von seiner Faszination verloren; so hat Reinhard Heinritz gezeigt, daß sich damals wie heute die Bewunderung der übermenschlichen Sehschärfe, die das weit Entfernte ganz nah heranzuholen scheint, mit einem unbehaglichen Zweifel an der Verläßlichkeit solcher Einblicke mischt.3 Aus diesem Grund ist das teleskopische Sehen in der Literatur ein häufiges Motiv zur Veranschaulichung der dichterischen Wirklichkeitsproblematik.
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Anmerkungen
Hitzig, Julius Eduard: Aus Hoffmanns Leben und Nachlaft (1823), zit. nach Wetzel (1981), p. 93.
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Kupfer, A. (2006). Porträt des Künstlers als Spalanzanische Fledermaus: Rausch und Vision bei E.T.A. Hoffmann. In: Die künstlichen Paradiese. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-00217-4_9
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-00217-4_9
Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
Print ISBN: 978-3-476-02178-6
Online ISBN: 978-3-476-00217-4
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