Zusammenfassung
In einer Zeit mit strengen Maßstäben und hohen Standards der musikalischen Realisierung, zumal im Vergleich mit der Beethovenzeit, könnte theoretisch grundsätzliche Beschäftigung mit ihr wie ein typischer Fall des Hegelschen Fluges der Eule der Minerva erscheinen, der erst in der Dämmerung, also zu spät beginnt. Daß Beethoven seit seinem Tode nahezu unangefochten den ersten Platz unter den Lieblingen des Konzertpublikums hält, könnte diesen Eindruck bestätigen. Dessen Widerlegung, zum Beispiel anhand des Hinweises darauf, auf wie verschiedene Weisen Beethoven dargestellt und zum Begriff geworden ist, müßte als abgegriffene Rhetorik erscheinen, wenn es nicht in den Fragen der Interpretation um die Verbindung von Theorie und Praxis so schlecht bestellt wäre. Die Realisierung des schriftlich fixierten Musikwerkes ist Nachschöpfung und in einem radikaleren Sinne als alle andere künstlerische Praxis, mit allen Tugenden und Grenzen des Handwerks; viel unsaubere, mit der vermeintlichen Irrationalität des »Gefühls« usw. unkontrolliert umgehende Musikästhetik hat dieser Praxis die Verhärtung gegenüber der Theorie leicht gemacht, beginnend bei der Berufung auf das »de gustibus non est disputandum«, welches geflissentlich übersieht, daß auch der gusto historisch bedingt ist, um so eher, desto mehr er sich sträubt, es zur Kenntnis zu nehmen. Daß mancherlei bedeutende Interpretation der Vergangenheit von Prämissen und Verabsolutierungen wie zum Beispiel dem »Ewigkeitswert« großer Kunst oder ihrer organischen Naturwüchsigkeit lebte und mit ihnen blühte, die sich im Lichte der historischen Dialektik als brüchig erweisen, widerlegt ihre Leistungen nicht, sondern beweist zunächst, daß hier, wie auch in anderen Bereichen der Kunst, Mißverständnisse produktiv wirken können.
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Notizen
Vgl. hierzu P. Gülke, Wilhelm Furtwängler – Tragik und Größe. In: Neue Zeitschrift für Musik, Jg. 125, 1964, H. 11, S. 476–480; ders., Die Verjährung der Meisterwerke – Überlegungen zu einer Theorie der musikalischen Interpretation. In: Neue Zeitschrift für Musik, Jg. 127, 1966, H. 1, S. 6–12, im vorliegenden Band S. 181–192.
Zitiert nach: F. Kerst, Beethoven im eigenen Wort, Leipzig 1904, S. 71.
A. Carse, The Orchestra from Beethoven to Berlioz, Cambridge 1948, S. 221.
I. Moscheles, The Life of Beethoven by Schindler, Bd. 1, London 1841, S. 93–94.
Vgl. H. Berlioz, Memoiren mit der Beschreibung seiner Reisen in Italien, Deutschland, Rußland und England 1803–1865, Leipzig 1967 (RUB), S. 203.
C. Czerny, Über den richtigen Vortrag der sämtlichen Beethovenschen Klavierwerke, hrsg. u. kommentiert v. P. Badura-Skoda, Wien 1963, S. 22.
Vgl. Ch.-H. Mahling, Mozart und die Orchesterpraxis seiner Zeit. In: Mozart-Jahrbuch 1967, S. 229–243, Anm. 66.
J. F. Reichardt, Vertraute Briefe, geschrieben auf einer Reise nach Wien und den österreichischen Staaten zu Ende des Jahres 1808 und zu Anfang 1809, Bd. 1, Amsterdam 1810, S. 206.
E. T. A. Hoffmann, Musikalische Novellen und Aufsätze, Regensburg 1919, S. 40.
H. Berlioz/R. Strauss, Instrumentationslehre, T. 2, Leipzig 1905, S. 439.
Brief an Sebastian Mayer vom 10.4.1806. In: Beethoven, Briefwechsel. Gesamtausgabe, München 1996, Bd. 1, S. 282; außerdem Brief an Breitkopf & Härtel vom 7.1.1809, ebd., Bd. 2, S. 37 ff.
G. Schünemann, Geschichte des Dirigierens, Leipzig 1913, S. 306.
Zitiert nach: A. G. Huber, Ludwig van Beethoven, seine Schüler und Interpreten, Wien/Zürich 1953, S. 17.
Zitiert nach: P. Mies, …quasi una fantasia. In: Colloquium amicorum, J. Schmidt-Görg zum 70. Geburtstag, Bonn 1967, S. 243.
Vgl. P. Benary, Rhythmik und Metrik – Eine praktische Anleitung, Köln 1967.
Zitiert nach: A. G. Huber, Beethovenstudien, Zürich 1961, darin: Beethovens Anmerkungen zu einer Auswahl von Cramer-Etüden, S. 1.
H. Goldschmidt, Beethovens Anweisungen zum Spiel der Cramer-Etüden. In: Bericht über den Internationalen Beethoven-Kongreß 10.–12. Dezember 1970 in Berlin, Berlin 1971, S. 545 ff.
Vgl. P. Stadlen, Beethoven and the Metronome I. In: Music and Letters, 1967, S. 330 ff.;
auch bei M. Cooper, Beethoven. The last Decade 1817–1827, London/New York/Toronto 1970, S. 467 ff.
P. Schleuning, Die Fantasiermaschine. Ein Beitrag zur Geschichte der Stilwende um 1750. In: Archiv für Musikwissenschaft, Jg. 27, 1970, H. 3, S. 192–213, besonders Abschnitt I.
E. Ferand, Die Improvisation, Köln 1956, Vorwort.
Hierzu G. Knepler, Zu Beethovens Wahl von Werkgattungen – Ein soziologischer Aspekt eines ästhetischen Problems. In: Beiträge zur Musikwissenschaft, Jg. 12, 1970, H. 3/4, S. 308–321.
P. Gülke, Introduktion als Widerspruch im System. Zur Dialektik von Prozessualität und thematischer Abhandlung bei Beethoven. In: Deutsches Jahrbuch der Musikwissenschaft für 1969, Leipzig 1970, S. 18, und in: ders., »… immer das Ganze vor Augen«, vgl. Anm. 3., S. 67 ff
Hierzu grundsätzlich G. Knepler, Improvisation – Komposition. Überlegungen zu einem ungeklärten Problem der Musikgeschichte. In: Bence Szabolcşi Septua-genario, Studia Musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae, Bd. 11, Budapest 1969, S. 241–252.
Zitiert nach: F. Rothschild, Vergessene Traditionen in der Musik. Zur Aufführungspraxis von Bach bis Beethoven, Zürich 1964, S. 89.
Zitiert bei: G. Knepler, Musikgeschichte des XIX. Jahrhunderts, Bd. 2, Berlin 1961, S. 554;
nach: A. Schmitz, Das romantische Beethovenbild, Berlin/Bonn 1927.
K. Sakka, Beethovens Klavier. In: Colloquium amicorum, J. Schmidt-Görg zum 70. Geburtstag, Bonn 1967, S. 327–337. – Bei den Orchesterinstrumenten machen lediglich die Kontrabässe von der genannten Regel eine Ausnahme, vgl. das »Gewitter« in der Pastoralsinfonie, offenbar im Hinblick auf die bei ihnen übliche Praxis der Einrichtung bzw. Vereinfachung des den Violoncelli gehörigen Parts.
Hierzu: Berlioz/Strauss, Instrumentationslehre, Neuaufl . 1955, S. 129
H. Kunitz, Die Instrumentation, T. 13, Violoncello und Kontrabaß, Leipzig 1961, S. 1462.
R. Wagner, Zum Vortrag der neunten Symphonie Beethovens. In: Wagner, Gesammelte Schriften und Dichtungen, hrsg. v. W. Golther, Bd. 9, Berlin/Leipzig/Wien/Stuttgart 1913, S. 234.
B. Walter, Thema und Variationen, Frankfurt am Main 1960, S. 117.
Vgl. W. Hess, Die Teilwiederholung in der klassischen Sinfonie und Kammermusik. In: Die Musikforschung, Jg. 16, 1963, H. 3, S. 238–252.
R. Kolisch, Tempo and character in Beethoven’s Music. In: Musical Quarterly, Bd. 24, 1943, Nr. 2 u. 3, S. 169, 291.
H. Scherchen, Der Komponist, gesehen von einem Dirigenten. In: Beethoven, das Genie und seine Welt, München 1963, S. 231–240.
Die Angaben von Holz stehen vollständig bei W. v. Lenz, Beethoven, eine Kunststudie, Kassel 1855, sowie bei H. Beck, Bemerkungen zu Beethovens Tempi. In: Beethoven-Jahrbuch 1955/56, S. 24–55.
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Gülke, P. (2006). Zum Verhältnis von Intention und Realisierung bei Beethoven. In: Auftakte — Nachspiele. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-00165-8_8
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