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(Un-)Berechenbare Räume

Topographien in Kleists Novelle ›Michael Kohlhaas‹

  • Chapter
Kleist-Jahrbuch 2005
  • 201 Accesses

Zusammenfassung

Im zeitgenössischen Kontext Kleists um 1800 präsentiert sich der Begriff ›Topographie‹ noch in seiner primär kartographischen Bedeutung, als »Schrift eines Ortes/Raums, […] als kartographisches Diagramm«.2 So ist in Zedlers ›Universal-Lexicon‹ unter dem Stichwort ›Geographie‹ zu lesen, dass »die Verzeichnung grosser Landschafften, als von Königreichen, Provincien etc. […] mit einem besondern Namen Chorographia genennet [wird], hingegen derjenige Theil der Geographie, so diese Special-Charten noch mehr vergrössert, und nur das Territorium einer gewissen Stadt, Dorffschafft, Gebäudes etc. verzeichnen lehret, heisset Topographia, welche am accuratesten durch die practische Geometrie oder das Feldmessen expediret wird«.3 Nun ist Kohlhaas bekanntermaßen nicht etwa Feldmesser, sondern Rosshändler. Wenn im Folgenden trotzdem von topographischen Praktiken des Protagonisten die Rede sein wird, erfolgt die Verwendung dieses Terminus im Sinne der gegenwärtigen Kulturwissenschaft, innerhalb derer die ›Topographie‹ ein etabliertes Forschungsfeld darstellt. Aus dem »Bedeutungsspektrum[] des Begriffs«, welches z.B. Sigrid Weigel aufblendet, interessiert hier weniger die »Schrift eines Ortes/Raums«, die »räumliche Metaphorik«, oder das »kartographische[] Diagramm«, vielmehr verwende ich Topographie »als Bezeichnung für eine räumliche […] Ordnung« von Ökonomie, Rechtsprechung, Politik sowie öffentlicher Kommunikation.4

Einen umfassenden, aktuellen Überblick über den Stand der Kohlhaas-Forschung liefert Bernd Hamacher, Schrift, Recht und Moral: Kontroversen um Kleists Erzählen anhand der neueren Forschung zu ›Michael Kohlhaas‹. In: Heinrich von Kleist. Neue Wege der Forschung, hg. von Inka Kording und Anton Philipp Knittel, Darmstadt 2003, S. 254–278.

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Anmerkungen

  1. Einen umfassenden, aktuellen Überblick über den Stand der Kohlhaas-Forschung liefert Bernd Hamacher, Schrift, Recht und Moral: Kontroversen um Kleists Erzählen anhand der neueren Forschung zu ›Michael Kohlhaas‹. In: Heinrich von Kleist. Neue Wege der Forschung, hg. von Inka Kording und Anton Philipp Knittel, Darmstadt 2003, S. 254–278.

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  2. Sigrid Weigel, Zum ›topographical turn‹. Kartographie, Topographie und Raumkonzepte in den Kulturwissenschaften. In: KulturPoetik 2 (2002), H. 2, S. 157. In ihrem Artikel bietet Weigel eine pointierte Zusammenfassung der Ausdifferenzierung topographischer Forschung in den anglo-amerikanischen wie europäischen Kulturwissenschaften.

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  3. Weigel, ›topographical turn‹ (wie Anm. 2), S. 157. Diesen räumlichen Ordnungen bei Kleist widmen sich explizit zwei Dissertationen: Linda Dietrick, Prisons and Idylls. Studies in Heinrich von Kleist’s fictional world, Frankfurt a.M. 1985;

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  4. Klaus-Christoph Scheffels, Rückzug. Zur Negierung von Raum- und Körperordnungen im Werk Heinrich von Kleists, Frankfurt a.M. 1986.

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  5. Vgl. zu den verschiedenen Positionen hinsichtlich dieses Themenkomplexes: Hamacher, Schrift, Recht und Moral (wie Anm. 1), Kap. 3 »Rechtsgeschichte« sowie Kap. 4 »Naturrecht und Gerechtigkeit«, S. 257ff. Die geschichtliche Ansiedelung der Fabel am »Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit« führe — so das Resümee Hamachers — zu einem »historischen Schwebezustand«, innerhalb dessen rechtshistorische Interpretationen die Frage, »ob Kohlhaas als Landfriedensbrecher oder aber als verhandlungsfähiger Fehdeführer anzusehen« sei, nicht abschließend beantworten könnten (S. 258). Zum historischen Vorbild des Fehdegegners Kohlhaas vgl. Christoph Müller-Tragin, Die Fehde des Hans Kolhase. Fehderecht und Fehdepraxis zu Beginn der frühen Neuzeit in den Kurfürstentümern Sachsen und Brandenburg, Zürich 1997. Jenseits der Frage nach ›historisch korrek-tem‹ Umgang des Autors mit möglichen Quellen analysiert Jan-Dirk Müller »Merkmale einer ›Mittelalter‹ benannten poetischen Welt […], die weniger für das Mittelalterverständnis um 1800 signifikant sind als für eine typische Konfliktkonstellation bei Kleist«;

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  6. J.-D. Müller, Kleists Mittelalter-Phantasma. Zur Erzählung ›Der Zweikampf‹ (1811). In: KJb 1998, S. 3–20, hier S. 5.

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  7. Eine auf konfligierende juristische Räume bezogene Lesart bietet J. Hillis Miller, Topographies, Stanford 1995, S. 80–104.

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  8. Heiko Christians analysiert »das übermäßige Auftreten von Texten« innerhalb der Erzählung unter dem Aspekt einer »aufschlussreichen Störungen der abgebildeten Kommunikation«, indem er diese einer »modellhaften Abfolge von Kommunikationsmedien« nach Vilém Flusser zuordnet. Heiko Christians, Mißhandlungen der Fabel. Eine kommunikologische Lektüre von Heinrich von Kleists ›Michael Kohlhaas‹. In: KJb 2000, S. 161–179, hier S. 164f. Christians bezieht sich vor allem auf Flussers Vorlesungen zur Kommunikologie. In: Ders., Schriften, Bd. 4, Kommunikologie, Mannheim 1996, S. 233–351. Relevant für den vorliegenden Beitrag ist vor allem die von Christians aufgezeigte Verschränkung von Medientypen und räumlicher Dimension der entsprechenden Kommunikation.

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  9. Ansätze einer narratologischen Lesart finden sich u.a. bei László F. Földényi, Heinrich von Kleist. Im Netz der Wörter, München 1999, S. 289ff.

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  10. Auf die Implikationen der »doppelten Existenz« Kohlhaas’ »als Roßhändler und Staatsbürger« hinsichtlich der »Freiheit der Handelswege« verweist Wolfgang Pircher, Geld, Pfand und Rache. Versuch über ein Motiv bei Kleists ›Kohlhaas‹. In: KJb 2000, S. 104–117, hier S. 105.

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  11. Auf die Qualität dieses Ortes als Topos verweist Bernhard Greiner, Kleists Dramen und Erzählungen. Experimente zum ›Fall‹ der Kunst. Tübingen 2000, S. 327.

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  12. Vgl. Susan Kassoufs bestechendes ›close reading‹ der Szene. S. Kassouf, Textuality and manliness. Heinrich von Kleist’s ›Michael Kohlhaas‹ (1810) and the journal ›Phöbus‹. In: Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik 47 (2000), S. 301–325, hier S. 309ff.

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  13. Vgl. Götz Großklaus: »Das zeitliche Grundmaß von Bewegungen im Raum war bis zum Anfang des Jahrhunderts gebunden an die naturalen Voraussetzungen körperlicher Arbeit (des Menschen, eines Tieres) und die von genutzter Windkraft (Segelschiffe). Das heißt, daß bis zum Auftauchen der ersten Bewegungs- und Medienmaschinen — Eisenbahn und Telegrafen — noch das seit der Antike verbindliche Grundmaß zeitlicher Dauer für Bewegungen von Menschen, Waren und Nachrichten im Raum soziale Gültigkeit besaß. Nähe und Ferne bestimmten sich im Grundmaß einer Tagesreise zu Fuß, zu Pferde oder mit dem Schiff.« G. Großklaus, Medien-Zeit — Medien-Raum. Zum Wandel der raumzeitlichen Wahrnehmung in der Moderne, Frankfurt a.M. 1997, S. 13.

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  14. Wolf Kittler benennt einen konkreten Wendepunkt innerhalb der Handlungsentwicklung: »Mit dem Brief an den Nagelschmidt schlägt die Rechtslage um: aus einer Fehde wird Landfriedensbruch«, W. Kittler, Die Geburt des Partisanen aus dem Geist der Poesie. Heinrich von Kleist und die Strategie der Befreiungskriege, Freiburg 1987, S. 300.

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  15. Jüterbog und Dahme sind Orte, an denen die ›Zigeunerinnenepisode‹ dem Handlungsverlauf eine entscheidende Wendung gibt (DKV III, 115ff. und 127ff.). Vgl. dazu u.a. Bernhard Greiner, der Dahme als »Gegen-›Ort‹« charakterisiert, an dem der »magische und von Zufällen durchwirkte Handlungsstrang« des Textes einsetzt. Greiner, Kleists Dramen und Erzählungen (wie Anm. 12), S. 346. Zu den räumlichen Aspekten der Episode siehe auch Claudia Breger, Ortlosigkeit des Fremden. ›Zigeunerinnen‹ und ›Zigeuner‹ in der deutschsprachigen Literatur um 1800, Köln 1998;

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  16. Margarete Landwehr, The mysterious gypsy in Kleist’s ›Michael Kohlhaas‹. The disintegration of legal and linguistic boundaries. In: Monatshefte für deutschsprachige Literatur und Kultur 84 (1992), S. 431–446. Das Erzgebirge bietet Kohlhaas’ abtrünnigem Gefolgsmann Nagelschmidt Unterschlupf, dessen Verhalten während der gewährten Amnestie für den Rosshändler eine zunehmende — auch kommunikative — Bedrohung darstellt (DKV III, 100ff. und 109ff.). Vgl. Christians, Mißhandlungen der Fabel (wie Anm. 7), S. 169.

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  17. Zum »Adelsraum« und dessen »territorialen« und »expansiv[en]« Aspekten vgl. Scheffels, Rückzug (wie Anm. 4), S. 68f. Die Tronkenburg erscheint somit als typischer Fall einer literarischen Topographie, bei der es »um die Signaturen der Orte, um die ihnen zugeschriebenen Bedeutungen« gehe, so Sigrid Weigel, Ingeborg Bachmann. Hinterlassenschaften unter Wahrung des Briefgeheimnisses, Wien 1999, S. 352.

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  18. In einer eigenwilligen Lesart vertritt Frank Haase demgegenüber die These, es befinde sich »in den Reihen des Kohlhaas ein Spion, ohne daß er es weiß: Herse, sein Großknecht, dessen Anagramm schlicht ›Seher‹ heißt«. Haases »Verdacht gegen Herse wird […] durch dessen Falschaussage bestärkt, die er gegenüber Kohlhaas nach dessen Rückkehr« mache, F. Haase, Kleists Nachrichtentechnik. Eine diskursanalytische Untersuchung, Opladen 1986, S. 122.

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  19. Vgl. Ingrid Hotz und Paul Davis, Heinrich von Kleist’s ›Michael Kohlhaas‹ — Peter Haffiz’s ›Märckische Chronic‹. A Comparison of Novelle and Source Material with Particular Regard to Medieval Legal Conceptions. In: German Life & Letters 41 (1987/88), S. 9–20. Kleist weiche von den Berichten der Chronik ab, um Kohlhaas’ »integrity and the legitimacy of his claims« zu betonen (S 19). Vgl. hierzu auch die Perspektive von Müller, Kleists Mittelalter-Phantasma (wie Anm. 6).

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  20. Vgl. hierzu Christoph Müller-Tragin, Hans Kohlhase und Michael Kohlhaas — Unwahrscheinliche Wahrscheinlichkeiten. In: Heilbronner Kleist-Blätter 7 (1999), S. 9–40, hier S. 19: »In der Neuzeit entwickelt sich sukzessive zur Fehde die (gewaltlose) Alternative in der Form eines Gerichtsverfahrens, dessen Urteile vom staatlichen Verband mittels zentralisierter und institutionalisierter Gewalt erzwungen werden können. Die Gerichtsbarkeit ist damit das maßgebliche Hoheitsrecht beim Aufbau der sich verselbständigenden Territorien. […] Der Fall des Hans Kohlhase zeigt, daß die Obrigkeit — die Landesherren der betroffenen Territorien — zu schwach ist, um eine Friedensordnung in ihren Territorien durchzusetzen«.

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  21. Kittler spricht von »Propagandaschriften« und deren »Antworten des Partisanen auf die Frage: ›Was gilt es in diesem Krieg?‹«. Kittler, Die Geburt des Partisanen (wie Anm. 23), S. 305. David Ratmoko stellt die Novelle in den Kontext aktueller Terrorismusdebatten und erkennt im Verhalten des Rosshändlers immerhin eine »subversive[] Strategie der Rechtserhaltung«. D. Ratmoko, Das Vorbild im Nachbild des Terrors. Eine Untersuchung des gespenstischen Nachlebens von ›Michael Kohlhaas‹. In: KJb 2003, S. 218–231, hier S. 227.

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Karcher, S. (2005). (Un-)Berechenbare Räume. In: Blamberger, G., Breuer, I., Doering, S., Müller-Salget, K. (eds) Kleist-Jahrbuch 2005. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-00148-1_9

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-00148-1_9

  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

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