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›Amphitryon‹

Kleists tragikomisches Spiel vom unverfügbaren ›Erdenglück‹

  • Chapter
Kleist-Jahrbuch 2005
  • 193 Accesses

Zusammenfassung

»Ist hier nicht Wunder Alles, was sich zeigt?« Dieser Satz aus dem ›Amphitryon‹ Heinrich von Kleists (Vs. 1387),1 mit dem Jupiter Alkmene in einer höchst bedrohlichen Gesprächssituation vor dem Versinken in den »Wahn« (Vs. 1385) zu schützen sucht, stellt den Leser auf eine überraschende Weise vor das Problem der unbegreiflichen Zufallswelt bei Kleist. Er macht bewußt, in welchem Maß das Thema des ›Robert Guiskard‹ das Denken und Gestalten des Dichters noch immer bestimmt: Der sinnlose Zufall, um dessen künstlerische Bewältigung es in dem Tragödienprojekt ›Guiskard‹ wohl hätte gehen sollen, erscheint im ›Amphitryon‹ unter vertauschten Vorzeichen, umgepolt in ein ›wunderbares‹, damit freilich ebenso unbegreifliches und nicht weniger gefährliches Geschehen. Es ist eine Voraussetzung der hier vorgelegten Abhandlung, daß das Gelingen der beiden Komödien Kleists im Rückbezug auf das Scheitern am ›Guiskard‹ genauer verstanden und gewürdigt werden kann, als das ohne Berücksichtigung dieses Zusammenhangs möglich scheint.2 Im ›Zerbrochnen Krug‹ machte Kleist aus einem ursprünglich sehr hergebrachten Lustspielthema seine erste ganz eigene Komödie. Dafür hat er eine der größten Tragödien der Weltliteratur, den ›König Ödipus‹ des Sophokles, als Folie gewählt, nicht um sich der Tragödie anzunähern, sondern um von der Tragödienobsession, in die ihn das vergebliche Ringen um den ›Robert Guiskard‹ gebracht hatte, loszukommen. Das war ein in sich widersprüchlicher und schwieriger Prozeß, in welchem Tragödienmotive aus der ›Familie Schroffen-stein‹, dem ›Guiskard‹ und eben dem ›König Ödipus‹ aufgegriffen wurden und quasi unschädlich zu machen waren.

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Anmerkungen

  1. Titus Maccius Plautus, Amphitryon, übersetzt von Ernst R. Lehmann-Leander. In: Amphitryon. Plautus, Molière, Dryden, Kleist, Giraudoux, Kaiser, hg. von Joachim Schondorff, mit einem Vorwort von Peter Szondi, München und Wien 1964, S. 37.

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  2. Siehe Wolfgang Wittkowski, Heinrich von Kleists ›Amphitryon‹. Materialien zur Rezeption und Interpretation, Berlin und New York 1978, S. 26–50 (Geschichte seiner Gestaltungen von Hesiod bis Hacks). Herauszuheben sind: Jean Rotrou, ›Les Sosies‹ (1636) und Johan Daniel Falk, ›Amphitruon‹ (1804); zu diesem siehe Fülleborn, Nach Kleists gescheiterter Tragödie (wie Anm. 2), S. 89f.

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  3. Auf diesen Ursprungsmythos gründet der klasssische Philologe Uvo Hölscher, Gott und Gatte. Zum Hintergrund der ›Amphitryon‹-Komödie. In: KJb 1991, S.109–123, seine geistvolle, den tragischen Gehalt des Kleistschen Stückes besonders akzentuierende Interpretation.

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  4. Gleichwohl haben herausragende komparatistische Studien zum ›Amphitryon‹ wichtige Ergebnisse für die poetische Verfahrensweise Kleists wie Molières erbracht: Peter Szondi, Amphitryon, Kleists ›Lustspiel nach Molière‹. In: Ders., Satz und Gegensatz, Frankfurt a.M. 1964, S. 44–57;

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  5. Hans Robert Jauß, Von Plautus bis Kleist: ›Amphitryon‹ im dialogischen Prozeß der Arbeit am Mythos. In: Kleists Dramen. Neue Interpretationen, hg. von Walter Hinderer, Stuttgart 1981, S. 114–143.

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  6. Dem Thema nähert man sich bei Kleists ›Amphitryon‹ am besten im umfassendsten Kontext; mustergültig: Hans Robert Jauß, Poetik und Problematik von Identität und Rolle in der Geschichte des Amphitryon. In: Identität, hg. von Odo Marquard und Karlheinz Stierle, 2. Aufl. München 1996 (Poetik und Hermeneutik 8), S. 213–253.

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  7. Hans Blumenberg, Arbeit am Mythos, Frankfurt a.M. 1979, S. 40. Der ›narrative Kern‹ des Mythos ist für Blumenberg nicht das, was am Anfang stand, sondern das, was sich in der Rezeption immer stärker herausgeschält hat.

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  8. Thomas Mann, Amphitryon. Eine Wiedereroberung. In: Heinrich von Kleist. Aufsätze und Essays, hg. von Walter Müller-Seidel, Darmstadt 1967 (Wege der Forschung; 147), S. 51–88; zuerst in: Neue Rundschau 39 (1928), S. 574–608.

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  9. Gerhard Kurz, »alter Vater Jupiter«. Zu Kleists Drama ›Amphitryon‹. In: Gewagte Experimente und kühne Konstellationen. Kleists Werk zwischen Klassizismus und Romantik, hg. von Christine Lubkoll und Günter Oesterle, Würzburg 2001 (Stiftung für Romantikforschung; 12), S. 169–185, weist auf die vielen einander widersprechenden Deutungen des Verhältnisses zwischen den Göttern und den Menschen in dem Drama hin, (S. 171f.);

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  10. aber auch auf das seltenere Thema der Entmythologisierung des Mythos bei Arthur Henkel, Erwägungen zur Szene II/5 in Kleists ›Amphitryon‹. In: Festschrift für Friedrich Beißner, hg. von Ulrich Gaier und Werner Volke, Bebenhausen 1974, S. 147–166,

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  11. und bei Jochen Schmidt, Heinrich von Kleist. Die Dramen und Erzählungen in ihrer Epoche, Darmstadt 2003. Hier schließt sich Kurz mit seiner eigenen These an, es handle sich um das »Drama einer Götter- oder Gottesdämmerung« (S. 171).

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  12. Thematisch verwandt ist der Beitrag von Hans-Jürgen Schrader, Der Christengott in alten Kleidern. Zur Dogmenkritik in Kleists ›Amphitryon‹. In: Antiquitates Renatae. Deutsche und französische Beiträge zur Wirkung der Antike in der europäischen Literatur. Festschrift für Renate Böschenstein, hg von Verena Ehrich-Haefeli u.a., Würzburg 1998, S. 191–207.

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  13. Die nach allen Regeln philologischer Hermeneutik verfahrenden Interpretationen erreichen je und je sehr stimmige Ergebnisse — bei extremen Differenzen untereinander, z.B. Norbert Oellers, »Kann auch so tief ein Mensch erniedrigt werden?« Warum ›Amphi-tryon‹? Warum ›ein Lustspiel‹? In: Heinrich von Kleist, hg. von Heinz Ludwig Arnold, München 1993 (Text+Kritik. Sonderband), S. 72–83: Alkmene ist auf »kaum begreifliche Weise mit sich eins und widersteht jeder Versuchung, sich zu spalten« (S. 73), versus

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  14. Karlheinz Stierle, ›Amphitryon‹. Die Komödie des Absoluten. In: Kleists Dramen, hg. von Walter Hinderer, Stuttgart 1997, S. 33–74: Alkmene wird so in die innere Entzweiung getrieben, daß ihr »unfehlbares Gefühl« versagt (S. 60).

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  15. An Sosias läßt sich exemplarisch das Thema ›Gewalt bei Kleist‹ studieren, das in der neueren Forschung eine große Bedeutung erlangt hat; vgl. besonders Anthony Stephens, Kleist — Sprache und Gewalt, Freiburg 1999.

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  16. Daß es sich dabei um ein wesentliches Element in Kleists Gesamtwerk handelt, hat schon Günter Blöcker, Heinrich von Kleist oder Das absolute Ich, Berlin 1960, nachweisen können (siehe das Kapitel »Unaussprechliche Heiterkeit«, S. 278–296).

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  17. Jupiters brillante und gefährliche »rhetorical strategies« betont Anthony Stephens, Heinrich von Kleist. The Dramas and Stories, Oxford und Providence 1994, S. 76–79.

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  18. Niklas Luhmann, Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität, Frankfurt a.M. 1994.

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  19. Die auf Jacques Lacan, Das Drängen des Buchstabens im Unbewußten oder die Vernunft seit Freud. In: Ders., Schriften II, hg. von N. Haas, Olten und Freiburg 1975, S. 15–59, zurückgehende Metapher ›flotter‹ für die ›gleitenden‹ semantischen Verhältnisse im ›Diskurs des Anderen (Unbewußten)‹ wird hier auf die Sprache angewendet, wie sie sich bei Kleist aus dem überlieferten Amphitryon-Mythos, d.h. der Täuschung Alkmenes durch den Gott, ergibt. Die strukturellen Übereinstimmungen sind frappierend.

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  20. Harald Weinrich, Linguistik der Lüge, Heidelberg 1966, S. 9.

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  21. Peter von Matt, Liebesverrat. Die Treulosen in der Literatur, München und Wien 1989, konfrontiert einmal das Register seiner ›Treulosen‹ mit Kleists Alkmene, »die sich mit dieser ihrer einzigen Liebe zwei Männern, zwei Seelen und zwei Körpern, gegenübersieht« (S. 70), was freilich etwas zu undialektisch formuliert ist.

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  22. Hans Blumenberg, Löwen, Frankfurt a.M. 2001, S.10.

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  23. Man darf verallgemeinernd sagen, daß Kleist in seinen Werken durchaus und oft um jeden Preis formale Geschlossenheit erstrebte, aber bewußt die gedanklichen Problemlösungen so offen wie möglich hielt. Das aber stellt ihn dramengeschichtlich in die Nähe Grillparzers; vgl. Ulrich Fülleborn, Offenes Geschehen in geschlossener Form. Grillparzers Dramenkonzept [1971]. In: Ders., Besitz und Sprache. Offene Strukturen und nichtpossessives Denken in der deutschen Literatur. Ausgewählte Aufsätze, hg. von Günter Blamberger u.a., München 2000, S. 128–153.

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  24. Dazu Ulrich Fülleborn, Dem Scheitern von Kleists ›Robert Guiskard‹ nachgefragt. In: KJb 2003, S. 263–281, besonders S. 276f. Auch Kleist selbst war der persönlichen Vernichtung wohl nie wieder so nahe wie während der ›Guiskard‹-Krise.

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Fülleborn, U. (2005). ›Amphitryon‹. In: Blamberger, G., Breuer, I., Doering, S., Müller-Salget, K. (eds) Kleist-Jahrbuch 2005. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-00148-1_13

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