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Schönbergs Golem. Zwischenspiel auf der Klaviatur des Revisionismus [Notiz]

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Zusammenfassung

Noch ist dieser Akt nicht geschlossen. Die Szenerie bleibt dieselbe. Mit Verspätung erhebt sich im Dämmerlicht eines Wiener Kabaretts ein Statist von seinem Klavier1 und fordert nun, da bereits alles gesagt zu sein scheint, sein Recht auf Text ein. In der Tat ist dieses Stück nicht ohne Schönberg zu Ende zu spielen. Die Vermittlung bzw. Semantisierung des ›einen Gedankens‹ als zentrales Problem einer jüdischen Existenz in der ästhetischen Sphäre, die Ikonophobie, die dramatische Konstellation der Selbstausstreichung des Souveräns, der in diesem Zusammenhang allfällige und explizite Moses-Bezug — um solche Anschlußstellen an unsere bisherigen Beobachtungen herzuleiten, bedarf es in diesem Fall keines allzu großen Abstraktionsvermögens. Jene Momente sind — vorzugsweise am Komplex Moses und Aron mitsamt Vorarbeiten — bereits zur Genüge entdeckt, herausgestellt und in eine mehr oder weniger lose Verbindung zum Biographem2 zu theologischen und politischen Konfessionen3 Schönbergs gerückt worden. Wir wollen uns diese Geschichten nicht noch einmal erzählen, denn die Gefahr, sich zu wiederholen resp. Schönberg nicht in seiner Besonderheit zu Wort kommen zu lassen, sondern ihn nurmehr typologisch zu erfassen, kann kaum von der Hand gewiesen werden. Gesucht wird allerdings nicht die Reprise, sondern die Variation; und so bleibt Schönberg an dieser Stelle womöglich nur eine kleine Einlassung verstattet, die uns freilich zu einer bemerkenswerten Episode in der Geschichte zionistischer Poiesis führt.

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Notizen

  1. Die Engführung von Moses-Figur und Exilbiographie bei Bluma Goldstein: Reinscribing Moses. Heine, Kafka, Freud, and Schoenberg in a European Wilderness, Cambridge (Mass.) / London 1992, 137–167.

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  2. Zentral hier sicherlich die Beiträge von Alexander L. Ringer (Arnold Schoenberg and the Politics of Jewish Survival, in: Journal of the Arnold Schoenberg Institute 3 [1979], 11–48; mittlerweile auch ders., Arnold Schönberg. Das Leben im Werk, Stuttgart/Weimar 2002, 65–75),

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  3. Michael Mäckelmann (Arnold Schönberg und das Judentum. Der Komponist und sein religiöses, nationales und politisches Selbstverständnis nach 1921, Hamburg 1984)

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  6. Der Beleg dafür, daß der in diesem Zusammenhang immer wieder kolportierte ›Prioritätsstreit‹ in erster Linie eine Legende ist, findet sich erstmals bei: Helmut Kirchmeyer: Schönberg und Hauer. Eine Studie über den sogenannten Wiener Prioritätsstreit, in: Neue Zeitschrift für Musik 127 (1966), 258–263.

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  7. Einen von antisemitischen Sentenzen nicht freien Brief Hauers (über und nicht an Schönberg) vermeldet allerdings Hans Heinz Stuckenschmidt (Schönberg. Leben, Umwelt, Werk, Zürich/Freiburg i.B. 1974, 266.)

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  14. Vergl. Schönbergs Brief an Hauer vom 7.12.1923, in: Arnold Schönberg: Ausgewählte Briefe, hg. v. Erwin Stein, Mainz 1958, 110ff.

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  15. Vergl. Juan Allende-Blin: Arnold Schönberg und die Kabbala. Versuch einer Annäherung, in: Arnold Schönberg, hg. von Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn, München 1980, 117–145.

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  16. Nachum Orland: Israels Revisionisten. Die geistigen Väter Menachem Begins, München 1978, 38ff.

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  18. Der Zeitpunkt des Diebstahls ist nur schwer auszumachen; Kisch gibt seine Vermißtenanzeige wohl 1915 auf. Vergl. Egon Erwin Kisch: Dem Golem auf der Spur, in: ders., Der rasende Reporter (1925), Köln 1983, 318–336. Zur problematischen Datierung bzw. Charakterisierung des Textes vergl. das Nachwort von Hans-Albert Walter, ebd., 392–400.

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  19. Zum Phantasma der Stahlgestalt als Sieg des soldatischen Menschen über die »Produktionskraft des Unbewußten« vergl. Klaus Theweleit: Männerphantasien. Teil 2: Männerkörper — zur Psychoanalyse des weißen Terrors, München/Zürich 2000, 162.

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  20. Einen nahen Verwandten dieser Spezies finden wir im Affen Rotpeter, der seinen einzigen Ausweg ebenfalls im Variete erblickt und sich fortan »mit der Peitsche« »beaufsichtigt« resp. »sich beim geringsten Widerstand« selbst »zerfleischt«. Am Ende rücksichtsloser Selbstzucht steht ein Wesen, das die Machtverhältnisse des Theaters für sich umgekehrt hat, das seinem Impresario nicht mehr zu gehorchen hat, sich nicht mehr von ihm steuern läßt, sondern diesen im »Vorzimmer« warten läßt, ab und an zu sich bestellt und ihm Anweisungen erteilt. (Franz Kafka: Ein Bericht für eine Akademie, in: ders., Gesammelte Werke I, hg. v. Hans-Gerd Koch, Frankfurt a.M. 1994, 244f.)

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Theisohn, P. (2005). Schönbergs Golem. Zwischenspiel auf der Klaviatur des Revisionismus [Notiz]. In: Die Urbarkeit der Zeichen. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-00101-6_5

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-00101-6_5

  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

  • Print ISBN: 978-3-476-02072-7

  • Online ISBN: 978-3-476-00101-6

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