Zusammenfassung
Wenn Dialektik aus der Problemgestalt des begründenden (und also begründeten) Wissens — und das heißt neuzeitlich: des wissenschaftlichen Wissens — entspringt, dann werden in der Formulierung ihrer eigenen Probleme, die der dialektischen Theoriebildung spezifisch sind, der jeweilige Wissensstand und seine weltanschauliche Interpretation1 ihren Niederschlag finden. Bei Heraklit steht das Problem der Konstitution des Allgemeinen als eine besondere Realität gegenüber der unmittelbar erfahrenen Realität des Einzelnen im Mittelpunkt, bei Parmenides die Differenz zwischen notwendigem Denken von Identität und faktischer Gegebenheit des Nicht-Identischen, bei Zenon die Zuspitzung dieses Widerspruchs auf das Verhältnis von Bewegung und Ruhe; bei Platon schließlich fließen diese Probleme in einer allgemeinen Theorie der Dialektik von Einheit und Andersheit zusammen, die das erste Schema einer Dialektik-Konstruktion ist und als solches über Proklos und Nikolaus von Kues bis zu Schelling und Hegel weitergereicht wird. Im christlichen Mittelalter sind es die Inkompatibilitäten von Glauben und Wissen, die zur Dialektik in der Struktur der Gottesbeweise führen, oder die Widersprüche zwischen den auctoritates, die die Sentenzen-Sichtung des Petrus Lombardus und die schier unerschöpfliche Folge der Sentenzenkommentare provozieren.2
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Notizen
Jean Paul Sartre hat diese Aufgabe der Integration der Wissensvielfalt durch die Philosophie unter dem Titel »totalisation« untersucht Kritik der dialektischen Vernunft, Hamburg 1967, S. 43 ff.
Vgl. Hans Heinz Holz, »Autorität, Vernunft und Fortschritt«, in: TOPOS 12, 1999, S. 79 ff.
Zum Sentenzen-Buch des Petrus Lombardus und der Kommentarliteratur vgl. Martin Grabmann, Geschichte der scholastischen Methode, Darmstadt 1956, Band II, S. 359 ff.
Thomas Hobbes, Leviathan, Hamburg 1996, S. 104.
Vgl. dazu Hermann Kienner, Das wohlverstandene Interesse, Köln 1998, S. 31 ff.
Gerit Manenschijn, Morad en eigenbelang hij Thomas Hobbes en Adam Smith, Amsterdam 1979.
Leo Strauss, Hobbes politische Wissenschaft, Neuwied/Berlin 1965.
Zu Galilei und Descartes siehe Hans Heinz Holz, Descartes, Frankfurt am Main/New York 1994.
Ders, Einheit und Widerspruch. Problemgeschichte der Dialektik in der Neuzeit, Stuttgart/Weimar 1997, Band I, S. 105 ff.
Zur Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit siehe Josef Kulischer, Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit, Darmstadt 1958.
Vgl. dazu Eugenio Garin (Hrsg.), L’uomo del Rinascimento, Bari 1988.
Thorsten Bürklin, Balance und Krise, Hildesheim/Zürich/New York 1997.
Frank Deppe, Niccolò Macchiavelli Zur Kritik der reinen Politik, Köln 1987.
Es sei nur auf zwei Ansätze hingewiesen, die diesen wissenschaftsphilosophischen Umbruch programmatisch vollzogen: Rudolf Agricola, De inventione dialectica libri tres, Köln 1520.
Johann Heinrich Alsted, Encyclopaedia universa in Septem tomis distimia, Herborn 1630.
Zu Aisted vgl. Hans Heinz Holz, Säkulare Vernunft, Köln 2003, S. 32 ff.
Gesamthaft: Max Weber, »Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus«, in: Gesammelte Aufsätze zur Reägionssoziologie, Band 1, Tübingen 1920.
Jacob Burckhardt, Die Kultur der Renaissance, in: Gesammelte Werke, Band III, Darmstadt 1955, S. 89 f.
Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, Tübingen 1927.
Hermann Kienner, Das wohlverstandene Interesse, Köln 1998, S. 9 ff.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über Rechtsphilosophie, hrsg. von Karl-Heinz Ilting, Stuttgart 1973/74, vier Bände.
Zu den Aspekten der Vertragstheorie vgl. Hermann Kienner, Die Emanzipation des Bürgers, Köln 2002, S. 39 ff.
Thomas Hobbes, Leviathan, deutsch Hamburg 1996, S. 102 (Kap. XIII).
Siehe Kurd Lasswitz, Geschichte der Atomistik, Hamburg/Leipzig 1890, Band 2, S. 207 ff.
Friedrich Albert Lange, Geschichte des Materialismus, Iserlohn 1866, S. 138 ff., erweiterte 2. Auflage und spätere Auflagen ab 1873, S. 232 ff.
Zu Leibniz vgl. Hans Heinz Holz, Einheit und Widerspruch, a.a.O., Band L 386 ff. — Ders., Leibniz, eine Monographie, Leipzig 1983.
Zum Begriff der »instrumentellen Vernunft« vgl. Max Horkheimer, Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, Frankfurt am Main 1967, S. 11 ff.
Siehe dazu Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, in: Gesamtausgabe, Band V, Frankfurt am Main 1959.
Vgl. Hans Heinz Holz, Einheit und Widerspruch, a.a.O., Band III, S. 11 ff. Ders., »Hegels Konzept der ›eigentlichen Metaphysik‹«, in: Detlev Pätzold/Arjo Vonderjagt (Hrsg.), Hegels Transformation der Metaphysik, Köln 1991, S. 28 ff.
Vgl. Hans Heinz Holz, Herr und Knecht bei Leibniz und Hegel, Neuwied/Berlin 1968.
Vgl. Hans Heinz Holz, »Tugend und Terror — Notizen zur sogenannten Schreckensherrschaft«, in: Jahrbuch des IMSF 14, Frankfurt am Main 1988, S. 181 ff.
Vgl. Gerrit Manenschijn, Moraal en Eigenbelang bij Thomas Hobbes en Adam Smith, Amsterdam 1979.
Zur Dialektik der Trinitätslehre vgl. Hans Heinz Holz, »Theologische und philosophische Dialektik: Das Trinitätsproblem«, in: Weissenseer Blätter, Jg. 21 (2002) Nr. 1–3.
Vgl. Jos Lensink, »Im Spiegel des Absoluten. Kritische Erwägungen zum ontologischen Gottesbeweis«, in: Dialektik 1992/1, S. 75 ff.
Zum Verhältnis von transzendentaler und spekulativer Dialektik vgl. Hans Heinz Holz, Sitzungsberichte der Leihniz-Sozietät, 2004.
Edmund Husserl hat diese Krise in prinzipieller Sicht und mit unverlierbaren Einsichten analysiert: Die Krise der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie, in: Husserliana, Band VI, den Haag 1962.
Zum Begriff der Jedermannsphilosophie vgl. Antonio Gramsci, Gefängnishefte, deutsch Hamburg 1994 ff., Heft 11, § 13, Band 6, S. 1393 ff.
Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, in: Schriften, Frankfurt am Main 1960, S. 14 f.: »2.1 Wir machen uns Bilder von Tatsachen. (…) 2.15 Daß sich die Elemente des Bildes in bestimmter Art zueinander verhalten, stellt vor, daß sich die Sachen so zueinander verhalten. Dieser Zusammenhang der Elemente des Bildes heißt seine Struktur und ihre Möglichkeit seine Form der Abbildung. (…) 2.1513 Nach dieser Auffassung gehört also zum Bilde auch noch die abbildende Beziehung, die es zum Bild macht«.
Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, 2. Aufl. (B), Riga 1787, S. 25.
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Holz, H.H. (2005). Ursprung, Probleme und Desiderate der neuzeitlichen Dialektik. In: Weltentwurf und Reflexion. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-00092-7_2
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