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Die Struktur von Handeln

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Zusammenfassung

Im vorhergehenden Abschnitt wurde skizziert, wie an einem bestimmten Punkt der Evolution das Prinzip des „Verhaltens“ (als festgelegte, auf spezifische Bedingungen zugeschnittene Form der Aktion von Organismen) abgelöst und gebrochen wurde durch das Prinzip „Handeln“. Die Offenheit der Welt und die der Subjektivität mündete in einen eigendynamischen Prozeß, der sich selbst zunehmend verstärkt und dessen Resultate die Regulationsprinzipien der Evolution zurückdrängen — an ihre Stelle tritt Geschichte, der Prozeß menschlicher Interaktion.

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Referenzen

  1. In der phänomenologischen soziologie von Alfred Schütz, vor allem in seiner Arbeit über den sinnhaften Aufbau der sozialen Welt (1932/1974) finden sich — in Anknüpfung an Husserl und Maz Weber — sehr anregende Untersuchunggen über die Konstitution von Sinn durch die Hinwendung zu bestimmten Ereignissen im Fluß der Zeit und des Erlebens. Er sieht diesen Vorgang allerdings „rationalistischer“ als er hier dargestellt wird

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  2. Dieses Modell lehnt sich an die Konzepte des Symbolischen Interaktionismus an, der von Mead berründet wurde und sich als eine sehr fruchtbare soziologische Denkweise entwickelt hat. Eine zentrale Kategorie bei Mead ist die „Reziprozitätsorm“, die unabweisliche Wechselseitigkeit von Interaktion. Das bedeutet für den Einzelnen, daß sozial relevante innere und äußere Ereignisse unabweisbar Aufforderungscharakter gewinnen.

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  3. Zu welchen massiven Folgen Streß führen kann, zeigen Panikreaktionen, wenn der situative Druck sich in irrationale Handlungen umsetzt, durch die die Situation oft noch verschärft wird. Er zeigt sich z. B. auch in den paralysierenden Wirkungen von Prüfungssituationen, wenn man auf einmal alles vergessen hat, was man weiß, die Denkfähigkeit schrumpft und körperliche Symptome (Sprechschwierigkeiten, Atemprobleme, Schwitzen, Pulsflattern etc.) anzeigen, daß die Handlungsfähigkeit erheblich reduziert ist. Dies ist auch die Grundlage fr Argumentationen, die punktuelle Prüfungen abschaffen wollen (vgl. z.B. Blickpunkt Hochschuldidaktik, Heft 1/1969).

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  4. Der Bewußtseinsbegriff ist ebenso umstritten wie unscharf. Manche wissenschaftliche Konzepte vermeiden ihn daher völlig (wie z.B. behavioristische Theorien). Die Schwierigkeiten mit dem Bewußtseinsbegriff resultieren nicht zuletzt daraus, daß man ihn normativ fassen kann (womit man tatsächlich bewußtes Sein meint), es aber auch funktional definieren kann (wobei die Definition die „technische“ Leistung des Bewußtseins anspricht). Beides ist nicht identisch; eine Vermittlung ist schwierig. Deshalb wird hier die Unterscheidung pragmatisch gehandhabt. Eine klassisch-idealistische Analyse des Bewußtseinsproblems findet sich in Hegels „Phänomenologie des Geistes“, eine moderne psychologische Interpretation bei Graumann (1966).

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  5. Unbewußt bedeutet daher keineswegs sinnlos; der Sinnzusammenhang unbewußter Motive ist dem Handelnden aufgrund von Verdrängung oder wegen des großen psychischen Abstands zum Bewußtsein spontan nicht zugänglich. Aus Platzgründen können die wichtigen psychoanalytischen Begriffe: Unbewußtes, Verdrängung, Widerstand, bertragung hier nicht ausführlich diskutiert werden. Ihre mikrosoziologische Bedeutung ist jedoch groß. Einen ersten Einstieg bieten die schon erwähnten Vorlesungen von Freud selbst (GW XI), aber auch Einführungen in die Psychoanalyse (wie z. B. die von Brenner 1967).

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  6. Der Begriff Identität selbst taucht bei Freud selbst nicht auf, er wurde erst später, vor allem von Erikson (1973) explizit verwendet. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß zu Freuds Zeiten und für Freud selbst Identität wenig problematisch war, während die gesellschaftlichen Veränderungen, die seitdem stattgefunden haben, zunehmend Identitätskonflikte erzeugen. Die begrifflichen Grundlagen für ein psychoanalytisches Identitätskonzept sind bei Freud allerdings vorhanden, weil er — allerdings implizit — durchaus ein Identitätskonzept hatte (vgl. Schülein 1975). Eine übersichtliche Darstellung findet sich bei de Levita (1971).

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  7. Die Begriffe Es, Ich und Über-Ich sind problematisch. Sie werden außerhalb der Psychoanalyse gar nicht akzeptiert und sind in ihr umstritten. Die scharfe Abgenzung psychischer Instanzen kann generell nur pragmatisch gelten, weil der psychische Prozeß nicht aus faktischen Instanzen besteht. Es handelt sich um heuristische Konzepte, um qualitative Bestandteile zu kennzeichnen. Dafür jedoch ist Freuds Unterscheidung nach wie vor sehr gut zu gebrauchen, auch wenn man die ideologischen Momente, die in seine Begriffsbildung eingegangen sind, nicht teilt (z. B. die begriffliche Exkommunikation der Triebe durch ihre Bestimmung als das Fremde, das störende Element der Psyche, die das Wort „Es“ vornimmt). In diesem pragmatischen Sinn werden die Bezeichnungen hier verwendet.

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  8. Erfolglos sind solche Bemühungen, weil irrationale Bedürfnisse dieses Typs generell nicht befriedigt werden können. Das Ziel ist irreal, weil durch die lebensgeschichtlichen Deformationen verknöcherte Bedürfnisse entstanden sind, die zwar nach wie vor dynamisch wirken, aber vom lebendigen Prozeß abgespalten sind und leerlaufen. Dann sucht man unentwegt Konkurrenzsituationen, aber unabhängig davon, wie sie real ausgehen, bleibt man unbefriedigt.

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  9. Freud beschreibt die Entwicklung der Objektbeziehungen als eine Abfolge von bio-psychischen Phasen, die im Normalfall weitgehend überwunden werden, aber dennoch Spuren in den späteren Objektbeziehungen hinterlassen. In extremen Fällen können sie das Handeln weitgehend einfärben. Er selbst unterschied drei Hauptphasen dieser Entwicklung (vgl. GW V): — die orale Phase, in der Kontakt zur Wirklichkeit vor allem über den Mund und die Haut aufgenommen wird und Grundformen der Beziehung (Einheit — Trennung) sich entwikkeln; — die anale Phase, in der - die Beherrschung motorischer Fähigkeiten (v. a. der Ausscheidungsfunktionen) sich entwickeln und die Frage der Grenzziehung und Normierung von Beziehungen thematisch sind; — die phallische Phase, in der die körperlichen Fähigkeiten einen vorläufigen Entwicklungshöhepunkt erreichen und dabei das Verhältnis zur sozialen Umwelt sich ausweitet und differenziert (wobei individualisierte Beziehungen und Konkurrenzen dominieren).

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  10. Daß es zu solchen Konstellationen kommt, ist nicht weiter verwunderlich, weil das reflexive Ich nichts anderes ist als Resultat bzw. Repräsentant der gesamten psychischen Entwicklung, also auch nur begrenzt deren Widersprüchen entkommen kann. Das Reflexionspotential ist immer abhängig vom Ausmaß des Es- und Über-Ich-Syndroms mit verzerrender Wirkung. Freud sah deren Dominanz als empirischen Normalfall an und sprach deshalb davon, das (reflexive) Ich sei der „arme Diener“, ein Reiter, der das Pferd, welches ihn trägt, nicht kontrollieren kann (GW X, 253).

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  11. Dieses Modell ist vor allem vom kommunikationstheoretischen Ansatz, der von Bateson u. a. (1967) entwickelt wurde, ausführlich diskutiert worden. Danach haben wiedersprüchliche Handlungsaufforderungen, denen ein Kind von lebenswichtigen Bezugspersonen auf Dauer ausgesetzt ist, ohne daß es sich ihnen entziehen kann, destruktive Folgen. Wenn eine Mutter sagt: „Komm zu mir auf den Schoß“ und zugleich körperlich ausdrückt: „Komm mir bloß nicht zu nahe“, hat das Kind keine Chance, so zu handeln, daß es keine negativen Konse- quenzen erleidet. Alles, was es macht, ist falsch. Dies kann dazu führen, daß es quasi aus Notwehr anfängt, die Beziehung überhaupt abzulehnen, zu dementieren. So gesehen sind die Verhaltensweisen sogenannter Schizophrener Strategien, Beziehungen zur Umwelt zu dementieren (vgl. auch Watzlawick 1969, 73).

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  12. Das erklärt z. B., warum selbst exzessive Prügelorgien noch mit gutem Gewissen einhergehen (und noch verstärkt) werden können. Man prügelt ja im Dienst einer höheren Sache, nicht etwa um der Befriedigung einener Triebimpulse willen. Unter diesem Vorzeichen können sie natürlich um so ungestörter sich austoben. Eine gründliche Analyse dieses Beispiels findet sich bei Horn 1967.

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  13. Die fiktive Verbeugung steht also zuglich in unterschiedlichen psychosozialen Sinnzusammenhängen. Das Zustandekommen, aber auch die Widersprüchlichkeit von Handlungen wird wahrscheinlicher, wenn sie überdeterminiert sind. Rein monologische Handlungen sind wahrscheinlich nur eine theoretische Möglichkeit, weil, wie beschrieben, das Zustandekommen von Handlungen den gesamten psychischen Prozeß einschließt. Eine besondere, allerdings auch besonders problematische Form von Handlung ist die rein zweckrationale, in der zumindest unmittelbar keine Triebimpulse und keine Moral einhergeht (bzw. eingehen soll). Auf sie wird noch weiter unten eingegangen.

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  14. Goffman hat in einem anderen Zusammenhang beschrieben, wie abweichende bzw. nicht legitimierte Anteile des Handelns kaschiert werden. Seine Beschreibung des Umgangs mit Stigmen (1967) läßt sich in gewisser Weise auch auf diesen Problemzusammenhang ausweiten: über Gewohnheiten und Selbstverständlichkeiten werden auch abweichende Anteile des Handelns realisierbar.

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  15. Dieser Ausdruck (und eine sehr eindringliche Beschreibung desselben) stammt von Schmidbauer. Seine Analysen zeigen, welche psychischen Abgründe hinter objektiv altruistischen Handlungen sich auftun können (Schmidbauer 1978).

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  16. So sinnvoll daher Normen sind, die auf die Kontrolliertheit von Handlungen zielen, so einseitig sind solche Normen, wenn sie Kontrolliertheit unbesehen auf alle Situationen anwenden wollen. Gegen die Tendenz, Ich-Stärke als einziges Kriterium psychischer Gesundheit zu verwenden, wurde deshalb schon früh gefragt, wie gesund eigentlich jemand ist, der angesichts von KZs und ähnlicher Verbrechen rein rational reagiert.

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  17. Die zerstörerische Wirkung monotoner Arbeit ohne die Möglichkeit, das Handeln selbst zu bestimmen, liegt darin, daß sie nur eine einseitige Konzentration erfordert und dadurch die kognitive wie die emotionale Seite des psychischen Prozesses reduziert bzw. ausgrenzt. Das zwingt sie zu einem ziellosen und sinnlosen Leerlauf. Wer an einem Fließband gearbeitet hat, weiß, daß man dabei in hochgradig regressive und neurotische Assoziationsketten verfällt. Es geht einem alles Mögliche durch den Kopf, ohne daß man sich wirklich diesen Assoziationen hingeben könnte, was sie auf die Dauer zu einem destruktiven statt produktiven Potential werden läßt.

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Schülein, J.A. (1983). Die Struktur von Handeln. In: Mikrosoziologie. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-99989-4_3

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-99989-4_3

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-531-11627-3

  • Online ISBN: 978-3-322-99989-4

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