Zusammenfassung
Durch die vielfältigen migrationsgeschichtlichen Entwicklungen in der Bundesrepublik leben wir bereits seit geraumer Zeit nicht mehr in einer monokulturellen, sondern in einer zunehmend multikulturellen und multiethnischen Gesellschaft. Die Schul- und Bildungslandschaft reflektiert die dadurch entstandene kulturelle Heterogenität in der Praxis nach wie vor nicht ausreichend, wie es die nachfolgenden Statistiken zur Bildungbeteiligung deutlich nachweisen, obwohl es in den verschiedensten Ansätzen einer Interkulturellen Pädagogik gefordert wird. Das ist umso erstaunlicher, als es mittlerweile eine lange Tradition des Unterrichts mit Kindern nichtdeutscher Muttersprache gibt. Eine erste „Bestandsaufnahme und Problemvergewisserung von Seiten der Wissenschaft“ (Auernheimer 1996, 6) zur spezifischen Situation der Migrantenkinder87 in deutschen Schulen erfolgte Anfang der 70er Jahre im Zusammenhang mit den Entwicklungen durch die gesetzlich geregelten Möglichkeiten des Familiennachzuges der Arbeitsmigranten88. Begriffe wie Gastarbeiterproblematik, Ausländerproblematik, Integrationsprobleme etc. vermitteln die einseitige Sicht der Problemanalysen der 70er Jahre auf die Migrantenfamilien. Die geringe Erkenntnis über die Problemhaftigkeit auf Seiten der Mitglieder der Residenzgesellschaft reduzierte die Aufmerksamkeit für die „Probleme, die die Gastarbeiter uns machen“ (Reiser 1981, 7).
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Literatur
Der Begriff Migration (respektable Migrant/-in, migrieren, Migrantenkinder, Migranten-familien etc.) überwiegt in der Literatur zur Interkulturellen Pädagogik, da er die Kohärenz der Emigration (Auswanderung) und der Immigration (Einwanderung) im Migrationsprozess vermittelt.
Die stark ökonomisch motivierte Anwerbung von Arbeitskräften aus den so genannten Schwellenländern hatte in den 60er Jahren bis zur Wirtschaftskrise 1973 ihren Höhepunkt in Deutschland. Arbeitskräfte wurden entsprechend des Bedarfes in der Industrie und Wirtschaft „nach gründlicher Untersuchung auf Gesundheit, Tüchtigkeit, Kraft und Fleiß“ (Reiser 1981, 7) selektiert und ausgewählt.
Statistisches Kriterium für die Erfassung von Ausländerkindern.
In: Grund- und Strukturdaten 1997/98. Statistisches Jahrbuch der Bundesrepublik Deutschland von 1992–1998.
In den Statistischen Veröffentlichungen der Kultusministerkonferenz generell ausgewiesene Nationalitäten: Griechenland, Italien, Spanien, Türkei, Jugoslawien, Portugal und sonstige Staaten gesamt.
Die Begriffe Ausländer (-kinder, -familien, -eltern etc.) und ausländische Bevölkerung (Kinder, Familien, Eltern etc.) werden nur verwandt im Zusammenhang mit statistischen Angaben und Analysen (Festlegung durch vorliegendes Material) und in zitierten Textbestandteilen. Der Begriff MigrantInnen (Migrantenkinder, -familien, -eltern etc.) wird ansonsten favorisiert, da er, unabhängig von der Staatsangehörigkeit, die Minderheitensituation hervorhebt, aber meines Erachtens einen weniger segregativen Charakter und eine größere Perspektivität in Bezug auf die Situation der MigrantInnen in unserer Gesellschaft hat.
Vgl. Grund- und Strukturdaten 1997/98. Statistisches Jahrbuch der Bundesrepublik von 1992–1998.
Das Diagramm wurde erstellt für einen Vortrag der Verfasserin, auf dem „7th European Rehabilitation Congress“ im November 1998 in Jerusalem (Israel). Die Statistischen Veröffentlichungen zum Kalenderjahr 1999 (Schuljahr 97/98) lagen für eine aktuelle Bearbeitung noch nicht vor.
Siehe Kapitel 3.1.2.
Anm. d. Verf.: In meiner Arbeit werden die Begriffe MigrantInnen, Migrantenkinder oder Migrantenfamilien aus der Türkei verwandt, unabhängig von der ethnischen oder kulturellen Zugehörigkeit. Die individuellen Angaben zu den Kindern und Jugendlichen aus Familien, die ehemals aus der Türkei nach Deutschland migrierten, werden allerdings im gegebenen Fall um zugängliche Detailinformationen, wie religiöse Zugehörigkeit oder ethnische Gruppenzugehörigkeit ergänzt.
Kurdische MigrantInnen aus den Anrainerstaaten Iran, Irak und Syrien finden im Zusammenhang mit der vorliegenden Studie keine Beachtung.
Bspw.: Die Untersuchung basiert auf der Auswertung der Unterlagen einer Krankenversicherung, der AOK, und hat damit eine begrenzte Aussagefähigkeit für eine spezifische Versicherungsgruppe. Die Auswahl der Probandinnen erfolgte anhand der „ausländischen Namensgebung“ und unterlag damit einem subjektiven Kriterium. Es erfolgte keine Befragung der Mütter zu nicht-medizinischen Vorsorgeansätzen, der Bereich der Selbstmedikation (gerade bei Frauen nichtdeutscher Muttersprache auf Grund der Sprachbarrieren zu niedergelassenen Ärzten sicherlich ein wesentlicher Faktor) blieb unbeachtet.
Eine weitere Ursache ist sicherlich der andere Umgang mit Schwangerschaft. Aus türkischen Familien ist mir bekannt, dass die Vorsorgeuntersuchungen als unnötig erachtet werden. Folglich werden auch mehr Kinder mit einer genetisch bedingten oder körperlich erkennbaren Behinderung, die im Rahmen von pränataler Diagnostik früherkannt werden können, ausgetragen. Für viele Familien käme ein Schwangerschaftsabbruch nicht in Frage. Weitere Ursachen könnten sein: Belastungen durch sozioökonomische Benachteiligung, durch Tätigkeit in nicht sozialversicherten Beschäftigungsfeldern (die Frauen arbeiten folglich bis kurz vor der Geburt), durch familiäre Belastungen etc.
Bspw. räumliche und kontextuelle Integration der Frühförderung in öffentlichen Einrichtungen des Gemeinwesens, welche auch von Familien nichtbehinderter Kinder frequentiert werden, z.B. Förderung und Therapie in den Kindertagesstätten. Interkulturelle Gemeinwesenarbeit um Kontakte und kulturellen Austausch in der Gesellschaft zu fördern.
Nach Schöler (1998) muss darauf verwiesen werden, dass die Klassifizierung von Kindern mit Lern- und Verhaltensproblemen als „Behinderte“, entgegen den anderen westlichen Industrienationen, ein Phänomen der deutschsprachigen Länder ist.
Siehe dazu für die Schweiz u.a.: Kronig, Wilfried: Zu den besorgnis erregenden Entwicklungen in der schulischen Zuweisungspraxis bei ausländischen Kindern mit Lernschwierigkeiten. 1996.
Hervorhebung durch die Verfasserin.
Zu der Kritik an der mangelnden Aufarbeitung durch die Heil-, Sonder- oder Behinderten-pädagogik vgl. auch Bleidick 1991.
Die Berechnungen der Überrepräsentation von Kommann/Klingele und Kornmann/Klingele/ Iriogbe-Ganninger beruhen auf einer nach eigenen Angaben suboptimalen Datenlage. Das Maß für die Berechnung der Überrepräsentation berücksichtigt sowohl den Vergleich des prozentualen Anteils der ausländischen Kinder und Jugendlichen an der Schülerschaft der Schulen für Lernbehinderte und an den übrigen Schulen als auch einen Vergleich der prozentualen Anteile ausländischer und deutscher Kinder und Jugendlicher an Sonderschulen für Lernbehinderte (1.-9. Klassenstufe). Für den Vergleich wurden als Bezugsgrößen die Zahlen aller Schülerinnen an allgemeinbildenden Schulen gewählt (SchülerInnen der Sekundarstufe II und weiterführenden Schulen bis einschließlich Klasse 13), was von den Autoren selbst als nicht befriedigend aber auf Grund der Datenlage als unvermeidbar und dennoch vertretbar für die Aussagefähigkeit der Ergebnisse eingeschätzt wurde. Für die dieser Arbeit zu Grunde liegenden Zahlen zu Berlin und Kreuzberg konnten die Bezugs-größen der Grundschule für beide Populationen erhoben werden, da die einzelnen Schulklassen in den Veröffentlichungen des Landesschulamtes ausgewiesen sind.
Nicht nur Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten (wie Bosnien, Kroatien etc.), sowie MigrantInnen aus sozialstrukturell nach deutschen Kriterien geringer entwickelten Ländern (wie Polen, Türkei, Griechenland etc.), sondern auch Eltern aus den europäischen Anreiner- staaten, welche eine vom deutschen Schulsystem abweichende Struktur der Bildungsgänge, andere Einschulungs- und Beschulungsvarianten für behinderte und nichtbehinderte Kinder haben (wie Italien, Schweden, u.a.), treffen auf diesbezügliche Diskrepanzen.
Es hegen bspw. keine mehrsprachigen Broschüren vom Bundesverband „Gemeinsam Leben- Gemeinsam Lernen“ e.V. oder von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW vor. Meine schriftliche Anfrage bei den Landesarbeitsgemeinschaften der Bundes-vereinigung „Gemeinsam leben- Gemeinsam Lernen e.V.“ im März 1995 nach Informationsunterlagen oder Broschüren zur schulischen Integration von Kindern mit und ohne Behinderungen für Familien mit nichtdeutscher Muttersprache wurde durchweg negativ beantwortet. Für die aktuelle Lage liegen mir keine gegenteiligen Erkenntnisse vor.
Dieser Begriff wurde von Wocken verwandt. Im Gegensatz dazu verwende ich den Begriff Anderssein. Der Begriff Andersartig konstatiert, dass die Person zu einer anderen Art gehören. Kinder nichtdeutscher Muttersprache, bzw. Kinder mit Beeinträchtigungen sind nicht anders in ihrer Art, sie sind jedoch häufig in ihrem Sein in der Gesellschaft beeinträchtigt.
Im Rahmen der für die Befragung der Kinder entwickelten Bildgeschichten, wurde die Gruppe der Ausländer durch türkische Kinder (namentlich Mustafa und Rezmir) repräsentiert.
Integrationsklassen, Sonderschulen, Hauptschulen und Gymnasien, Gesamtschulen.
Integrationsklassen, Integrative Regelklassen und Kontrollklassen an Regelschulen.
Unveröffentlichte Staatsarbeit an der Pädagogischen Hochschule Rheinland.
Beispielsweise in Tageszeitungen aber auch in wissenschaftlichen Publikationen.
Dieser Ansatz basiert gleichsam wie die Forschungsmethode auf einer konstruktivistischen und interaktionistischen Theorie, die das Individuum als aktiv in der Auseinandersetzung mit seiner Umwelt definieren (ebd.).
In der Regel des Vaters.
Die doppelte Staatsangehörigkeit und damit eine Doppelpass-Regelung ist in europäischen Ländern wie Belgien, Dänemark, Großbritannien, Irland, Italien, Portugal, Niederlande und der Türkei sowie in aussereuropäischen Ländern wie Australien und USA der Regelfall.
Siehe auch Erziehung und Wissenschaft, Zeitschrift der Bildungsgewerkschaft GEW, Frankfurt a.M. Heft 1 (2000).
Yahoo! Schlagzeilen: Türkische Gemeinde kritisiert neues Ausländerrecht. Bericht über den Bundesdelegiertenkongress der Türkischen Gemeinde in Deutschland zum veränderten Staatsbürgerschaftsrecht, Hamburg o.A. Datum (http://denews.yahoo.com/000123/4/igin.html, 23.1.2000).
Dies gilt vorrangig für die alten Bundesländer. In den neuen Bundesländern liegt der Ausländeranteil an der Schülerschaft teilweise sogar unter 0,2 %.
Er bezieht sich dabei auf: mehr Gemeindenähe, Offenheit zum Stadtteil, Vernetzung mit anderen Einrichtungen, mehr Elrenarbeit, mehr Methodenvielfalt, vor allem mehr kooperative Lernformen und mehr gemeinsame Aktivitäten außerhalb des Unterrichts (Auernheimer 1997, 353).
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Merz-Atalik, K. (2001). Segregation von Migrantenkindern im Bildungswesen. In: Interkulturelle Pädagogik in Integrationsklassen. Forschung Erziehungswissenschaft, vol 128. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-99982-5_3
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Online ISBN: 978-3-322-99982-5
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