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Die Verzweigung der Theorie der Institution III: Profession, Technologie und System

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Zusammenfassung

Wir werden uns jetzt im Anschluß an Weber der Verzweigung des Rationalitätsbegriffs zuwenden, doch sollten wir uns kurz der beiden anderen klassischen Begriffe Stabilität und Solidarität erinnern. Es wird sich als notwendig erweisen, diese im Rahmen der dritten Verzweigung aufzugreifen und mit Webers Rationalitätsbegriff zu kombinieren, um den aktuellen Stand der Theorie der Institution, inzwischen um die Theorie des Diskurses erweitert, zu rekonstruieren. Für die bürgerliche Wissenschaft der Soziologie, das war unsere Ausgangsthese, lautete die Herausforderung: wie ist die moderne industrielle und kapitalistische Gesellschaft anders als durch die Analyse der Kräfte ihrer materiellen Reproduktion zu erfassen, was konnte Marxens Theorie von den Wirkungsmechanismen des Kapitals und der dem Kapital botmäßigen Technik entgegengesetzt werden?

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Literatur

  1. Insofern ist die Bendix–These, daß es sich bei den religionssoziologischen Studien Webers um Kontrastforschungen handelt, wohl berechtigt, Tenbruck (1975, 666f.) ist also zu widersprechen, Weber hat sich ausdrücklich nicht als Fachmann in historischen Religionen, sondern als Soziologe mit spezifischer Fragestellung begriffen. Vorbemerkung, 22.

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  2. Max Weber, Zwischenbetrachtung, 541.

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  3. Mitschriften seiner letzten Vorlesungen wurden als Wirtschaftsgeschichte von Marianne Weber 1923 in München herausgegeben. Vgl. hierzu auch Wolfgang Schluchters Beitrag in: Christian Gneuss und Jürgen Kocka (Hg.), Max Weber und das Projekt der Moderne, München 1988, 156f.

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  4. Wir folgen hier aus Gründen der Zuspitzung der Einteilung von Habermas, unsere Bedenken gegen den vermeintlich wertfreien Anspruch dieses ‘systemischen’ Ansatzes — was anderes sollte mit ‘nicht–normativ’ gemeint sein? –, haben wir ausführlich in den Abschnitten 2 und 3 vorgetragen.

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  5. Daß Webers seine Handlungstheorie selbst als ‘wertfrei’ einstufte und gegen Werturteile in den Sozialwissenschaften heftig zu Felde zog, haben wir im zurückliegenden Abschnitt gezeigt, daß seine Theorie dennoch dem Wertfreiheitspostulat nicht entspricht, ist verschiedentlich nachgewiesen worden, z. B. von Vogel (1973) in der uns hier interessierenden Perspektive zur Technik.

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  6. Richard Münch, Die Struktur der Moderne. Grundmuster und differentielle Gestaltung des institutionellen Aufbaus der modernen Gesellschaften, Ffm. 1984.

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  7. Auf kritische Einwände gegen die idealistische Modellannahme Münchs verzichten wir an dieser Stelle. Die Argumente, die gegen eine derartige Idealisierung des systemischen Charakters des Marktes vorzutragen sind, haben wir bereits in den Abschnitten 2.5, 2.7 und 3.1 angesprochen. Ob das Konzept der Interpenetration mehr als ein Programm sein kann, sei dahingestellt.

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  8. Münch (1984), 9.

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  9. Ebd., 13f.

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  10. Ebd., 14.

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  11. Ebd., 17.

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  12. Was Habermas zu Spott veranlaßt: “Im Entwurf dieses keimfreien, von Sozialpathologien gereinigten Bildes entwickelter kapitalistischer Gesellschaften trifft sich Münch nicht zufällig mit Parsons. Ihre Übereinstimmung verdanken sie komplementären Schwächen einer Theoriekonstruktion, die die Unterscheidung zwischen System und Lebenswelt einzieht und deshalb an den von Weber bemerkten Indikatoren einer mit sich selbst zerfallenen Moderne vorbeigeht.” Habermas (1981), I, 443f.

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  13. Münch (1984), 17. Moderne Institutionen speisen sich für Münch aus zwei unterschiedlichen Quellen: rationalem kulturellen Fortschritt, hergestellt durch kritische Diskurse der rationalen Rechtfertigung, und sozialem Konsens, hergestellt durch intersubjektive Geltung von kulturellen Konstrukten in lebensweltlicher Verankerung und Begrenzung (ebd., 350). ‘Entwicklungslogiken’ wie die von Marx (ebd., 533ff.) vereinseitigen das Problem und beruhen auf einem “Fehlschluß der falschen Konkretheit” (ebd., 591). Von dem kann sich Münch aber auch nicht freisprechen, wenn er meint: “Je unabhängiger eine Profession wird, um so gradliniger können auch die rein zweckrational richtigen Wege zur Lösung der ihr spezifischen Problemstellung eingeschlagen werden” (ebd., 390). Die Berufssoziologie sieht den Sachverhalt skeptischer.

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  14. Münch (1984), 19.

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  15. Ebd., 22.

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  16. Ebd., 621.

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  17. Ebd ., 624.

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  18. Ebd. 625.

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  19. Ebd., 626.

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  20. Ebd., 350.

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  21. Vgl. Abschnitt 3.7.

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  22. Vgl. Abschnitt 7.5.1.

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  23. Hier liegt ein zentrales Problem der Technikkritik. Immer dann, wenn Professionelle Probleme der Technik gegenüber Laien bagatellisieren, tritt diese Vertrauenslücke auf. Dieser Sachverhalt ist den Professionellen auch bekannt, gehandelt wird aber entgegengesetzt. So veranstaltete das RWE einen vertrauensbildenden Kongreß (11. Workshop Energie, 2.–5.11.1987, Braunlage) zur Stützung der Atomenergie nach Tschernobyl. Dort wurde von geladener kommunikationswissenschaftlicher Seite anempfohlen, Störfälle öffentlich zu diskutieren. RWE hingegen behandelte den Störfall eines offenen Primärkreislaufs in Biblis A Ende 1988 in einer Weise, die zu einem ‘GAU des Vertrauens’ (DIE ZEIT) führte: unter Verschluß der ‘nuclear community’.

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  24. Minch (1984), 193.

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  25. Ebd., 479. Die Funktion der Profession (der Begriff Profession taucht im 16. Jahrhundert auf und bezeichnete berufliche Tätigkeiten, für die eine akademische Ausbildung erforderlich war, inzwischen hat die Berufssoziologie den Begriff auch auf nichtakademische Berufe im Angestelltenstatus ausgedehnt) wird von Münch hier recht einseitig aus der Perspektive der Institutionen dargestellt; sie deckt sich nicht unbedingt mit einer berufssoziologischen Betrachtung. Zwar gilt Professionalisierung auch in der Berufssoziologie als angemessene Strategie zur rationalen Lösung gesellschaftlicher Problemstellungen, dies insbesondere, weil unterstellt wird, daß persönliche Kalküle aus Gründen der Berufsethik und der Verpflichtung auf Wissenschaftlichkeit in den Hintergrund treten sollten. Tatsächlich berufen sich Professionelle auch weniger auf Macht als auf Autonomie, die allerdings von einer spezifischen ‘Ungewißheitssituation’ (Daheim) abhängt. Nur in ihr hat Expertenwissen seinen Wert, kann die Situation dagegen in routinemäßiges Bearbeiten überführt werden, verliert der Experte seine Existenzberechtigung. Er lebt also in ständigen Loyalitätskonflikten. Experten schließen sich deshalb auch zu Berufsverbänden zusammen, die ihre Problemlösungspotentiale zu monopolisieren suchen. Typische Schließungsprozesse (Zugangsbeschränkungen, Fachsprachen etc.) sind die Folge. Professionelle Bearbeitung sozialer Probleme führt so regelmäßig zu einer ‘doppelten Zweckstruktur’ (Beck, Brater) der Berufe. Erstens zementieren sie die Problemstellungen durch die Auflösung des Zusammenhangs von Ursache und Wirkung, die in verschiedenen Berufssparten bearbeitet werden. Zweitens stabilisieren sie soziale Ungleichheiten, weil Wissen gesellschaftlich monopolisiert und an entsprechende Gratifikationen gebunden wird. Drittens erzeugen sie Opportunismus, weil sie sich der allgemeinen Kontrolle entziehen und statt dessen Kontrolle über die Allgemeinheit ausüben. Es bildet sich eine ‘entmündigende Herrschaft der Experten’ (Illich) aus. Die Tendenz der Zergliederung der Gesellschaft ist stark zunehmend und führt zur Unübersichtlichkeit: wurden 1841 noch 421 Berufe in England gezählt, so sind es derzeit in den USA schon über 40000 (Traube und Strasser, 1981, 113). Vgl. hierzu auch Ulrich Beck und Michael Brater (Hg.), Berufliche Arbeitsteilung und soziale Ungleichheit, Ffm./New York 1978, sowie dies. (Hg.), Die soziale Konstitution der Berufe, Ffm. 1977; dies. und Hans Jürgen Daheim, Soziologie der Arbeit und der Berufe, Reinbek 1980; Hans Jürgen Daheim, Berufssoziologie, in: René König, Handbuch der empirischen Sozialforschung, Stuttgart 1977; Ivan Illich, Entmündigende Expertenherrschaft, in: ders. u.a., Entmündigung durch Experten, Reinbek 1979.

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  26. Niklas Luhmann, Vertrauen, Ein Mechanismus der Reduktion von sozialer Komplexität, Stuttgart 1973, 22.

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  27. Ebd., 56.

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  28. Ebd., 54.

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  29. Ebd., 23, 26.

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  30. Ebd., 90.

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  31. Ebd., 51 ff.

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  32. Ebd., 65.

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  33. “Auch hier ist eine Art von diffusem Gesamtvertrauen im Spiel. Von welchen Faktoren dieses Vertrauen in Experten im einzelnen abhängt, wissen wir nicht. Es bezieht sich auf die Wissenschaften, auf die Technik, aber auch auf jenes ungeheure Tatsachenwissen, das in stark differenzierten Sozialordnungen angesammelt und gespeichert werden kann. System ist dieses Wissen nicht etwa im Sinne einer logisch geschlossenen Zusammenstellung von Sätzen, sondern im Sinne einer Ordnung kommunikativen Verhaltens, die eine gewisse Sorgfalt und Beachtung bestimmter Regeln bei der Auswahl und Verwendung von Prämissen einer Mitteilung sicherstellt. Jeder verläßt sich beim Bezug solchen Wissens darauf, daß im System genug Kontrollen der Zuverlässigkeit eingebaut sind und daß diese Kontrollen unabhängig von den persönlichen Motivationsstrukturen der jeweils Beteiligten funktionieren, so daß er diejenigen, die das Wissen erarbeitet haben, nicht persönlich zu kennen braucht. “ Ebd., 58.

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  34. Arnold Gehlen, Sozialpsychologische Probleme der industriellen Gesellschaft, Tübingen 1949, B.

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  35. Malinowski (1975), zitiert nach Gehlen, ebd.

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  36. Ebd., 9.

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  37. Ebd.

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  38. Wünch (1984), 200ff.

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  39. Habermas (1981) .

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  40. Gehlen folgt damit Thesen von Werner Sombart und Ortega y Gasset. Seine Sicht der Technik ist ferner von Hans Freyer geprägt, dessen Assistent er 1933 war. Von hier aus scheint er auch ein tiefes Mißtrauen gegenüber der Utopie entwickelt zu haben. Vgl. hierzu Freyers Kritik der Utopie in: Elfriede Uner (Hg.), Hans Freyer, Planung und Technik, Weinheim 1987, 25ff. Wir verzichten im Gegensatz zu Ullrich auf eine gesonderte Darstellung von Freyer, weil er u. E. auf die Theorieentwicklung nur über Gehlen Einfluß ausübte.

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  41. Arnold Gehlen, Der Mensch, Wiesbaden 1972, 33.

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  42. Immanuel Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, (1784) .

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  43. Gehlen (1972), 51.

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  44. Ebd., 36.

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  45. Arnold Gehlen, Urmensch und Spätkultur, Ffm. 1975, 11.

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  46. Die These übernimmt Gehlen von Schumpeter, ebd., 12.

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  47. Gehlen sieht die Zweideutigkeit der Technik: “... schon der roheste Faustkeil aus Feuerstein trägt dieselbe Zweideutigkeit in sich, die heute der Atomenergie zukommt: er war ein brauchbares Werkzeug und zugleich eine tödliche Waffe.” Nur verlagert er die Zweideutigkeit in die Technik zurück, was die Frage nach der gesellschaftlichen Kontrolle nur unzureichend problematisiert. Darüber hinaus denkt Gehlen den Gedanken nicht konsequent zu Ende. Insofern in jeder Technik diese Ambivalenz grundsätzlich enthalten sein soll, wird vorschnell ausgeblendet, daß der Grad der Ambivalenz höchst unterschiedlich sein kann: ein Windkraftwerk ist nicht in gleicher Weise ambivalent destruktiv wie ein Atomkraftwerk. Arnold Gehlen, Die Seele im technischen Zeitalter, Reinbek 1957, 7.

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  48. Ebd., 22.

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  49. “So verfährt Technik auch heute: sie stellt erfinderisch Mittel bereit für noch nicht vorhandene Zwecke oder für Bedürfnisse, die sie selbst erst miterzeugt, weil sie noch niemand fühlt. “ (Ebd., 13) . Auch hier liefert Malinowskis (1975, 141 ff.) Kulturtheorie eine Erklärung: es gibt keine Point–to–point–Befriedigung von Bedürfnissen. Stets sind die auf Bedürfnisse gefundenen Antworten ganze Komplexe (Malinowski nennt dies Institutionen), so läßt sich etwa das Bedürfnis nach Kommunikation per Brief, Telefon etc. befriedigen. Die Institution, die es befriedigt, heißt Post.

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  50. Gehlen (1957), 13f.

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  51. Ebd.

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  52. Malinowski (1975), 154.

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  53. Gehlen (1957), 16.

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  54. Ebd., 21.

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  55. Sie sind insofern keine verlängerten Werkzeuge, und die Magie ist selbst kein Werkzeug (ebd ., 17) .

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  56. Ebd., 15.

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  57. Gehlen sieht einen lückenlosen Ubergang vom Werkzeug zum Kunstwerk, der allerdings im industriellen Arbeitsprozeß verlorengegangen sei (ebd., 29f.).

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  58. Ebd., 14.

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  59. Ebd., 15f.

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  60. Ebd., 17, 23. “Diese Wahrheit ist dem modernen Subjektivismus in seiner Erlebnisgier anstößig, aber gerade er bedroht das Dasein der Institutionen selbst ... Wenn die am opus operandum orientierte Disziplin der gelernten Arbeiter und der beruflichen Körperschaften zerfällt, der Juristen, Gelehrten, Beamten, der Regierungen und der Kirchen, wenn das Ideologische und Humanitäre sich verselbständigt und diese Formen von außen her aufweicht, dann ist die Kultur am Ende, dann beginnt man das, was nicht mehr in Form ist, zu ‘gestalten’.” (Ebd., 24) .

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  61. Die Frage nach den Institutionen berührt die dunkle Seite der menschlichen Natur, denn die Tugend braucht keine Institutionen. Gehlen folgt damit Hobbes: “Die Welt, in deren Mittelpunkt der Mensch steht, der es sich gemütlich machen will, ist eine sinnlose Welt. Während die Aufklärung von einer Welt träumt, in der Millionenmassen in kleinbürgerlichen Idealen verbunden sind, sieht Gehlen, daß eben die Aufklärung mit ihrer Revolte gegen die Institutionen die Außenhalte und Sicherungen zerschlägt, vermittels deren anspruchsvollere Motive allein möglich gewesen waren. Unterhalb des Überbaus der Institutionen gibt es keine edle menschliche Natur, sondern nur eine unspezifische führungsbedürftige Antriebsenergie, deren Verfallschance jetzt ständig zunimmt. Das Ausweichen in die Gewohnheit von Handlungen — Kristallisation — wird hier wirklich zu einer abgründigen Frage.” Friedrich Jonas, Die Institutionenlehre Arnold Gehlens, Tübingen 1966, 81. Von daher rechtfertigt Jonas mit Gehlen das Primat des Objektiven gegenüber dem Subjektiven: es garantiert in der Form von Institutionen wenigstens das nackte Überleben. Wer an die Institutionen die Frage des Zwecks richte, entkleide sie ihrer Würde (ebd., 72) und betätige sich wie Marx als ihr Totengräber (ebd., 77). Die Chance hierzu bestehe, weil die Institutionen abhängig sind vom Energieüberschuß des Lebens, sie siedeln auf Boden, der ihnen nicht gehört (ebd., 58), eben deshalb bedürfen sie der Pflege gegenüber der Primitivität der Motive, wie sie im technischen Apparat ihren Ausdruck finden können (ebd., 80). Die Verteidigung der Aufklärung gegen diese konservative Kritik leisteten Horkheimer und Adorno schon vorab: “Die Absurdität des Zustandes, in dem die Gewalt des Systems über die Menschen mit jedem Schritt wächst, der sie aus der Gewalt der Natur herausführt, denunziert die Vernunft der vernünftigen Gesellschaft als obsolet. Ihre Notwendigkeit. ist Schein ... Die Menschen distanzieren denkend sich von der Natur, um sie so vor sich hinzustellen, wie sie zu beherrschen ist. Gleich dem Ding, dem materiellen Werkzeug, das in verschiedenen Situationen als dasselbe festgehalten wird und so die Welt als das Chaotische, Vielseitige, Disparate vom Bekannten, Einen, Identischen scheidet, ist der Begriff das ideelle Werkzeug, das in die Stelle an allen Dingen paßt, wo man sie packen kann ... Indem aber die Aufklärung gegen jede Hypostasierung der Utopie recht behält und die Herrschaft als Entzweiung ungerührt verkündet, wird der Bruch von Subjekt und Objekt, den sie zu überdecken verwehrt, zum Index der Unwahrheit seiner selbst und der Wahrheit ... Vermag die Menschheit in der Flucht vor der Notwendigkeit, in Fortschritt und Zivilisation, auch nicht innezuhalten, ohne Erkenntnis selbst preiszugeben, so verkennt sie die Wälle, die sie gegen die Notwendigkeit aufführt, die Institutionen, die Praktiken der Beherrschung, die von der Unterjochung der Natur auf die Gesellschaft seit je zurückgeschlagen haben, wenigstens nicht mehr als Garanten der kommenden Freiheit. Jeder Fortschritt der Zivilisation hat mit der Herrschaft auch jene Perspektive auf deren Beschwichtigung erneuert. Während jedoch die reale Geschichte aus dem realen Leiden gewoben ist, das keineswegs proportional mit dem Anwachsen der Mittel zu seiner Abschaffung geringer wird, ist die Erfüllung der Perspektive auf den Begriff angewiesen. Denn er distanziert nicht bloß, als Wissenschaft, die Menschen von der Natur, sondern als Selbstbesinnung eben das Denken, das in Form der Wissenschaft an die blinde ökonomische Tendenz gefesselt bleibt, läßt er die das Unrecht verewigende Distanz ermessen. Durch solches Eingedenken der Natur im Subjekt, in dessen Vollzug die verkannte Wahrheit aller Kultur beschlossen liegt, ist Aufklärung der Herrschaft überhaupt entgegengesetzt und der Ruf, der Aufklärung Einhalt zu tun, ertönte auch zu Vaninis Zeiten weniger aus Angst vor der exakten Wissenschaft als aus dem Haß gegen den zuchtlosen Gedanken, der aus dem Banne der Natur heraustritt, indem er als deren eigenes Erzittern vor ihr selbst sich bekennt.” Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung (Amsterdam 1947), Ffm. 1986, 45ff.

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  62. Jonas (1966), 56.

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  63. Gehlen (1975), 232ff.

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  64. Ullrich (1977), 29. Gehlen (1975), 233.

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  65. Ebd., 233.

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  66. “Der Glaube an die innere Wahrheit technischer Denkmodelle und der an die Beherrschbarkeit auch der größten, kompliziertesten Verhältnisse durch sie, wie sie Gesellschaften darstellen, ist selbst nicht mehr rational begründbar, hat allerdings auch, wie ein echter Glaube, kein Bedürfnis nach einer Begründung.” Gehlen (1949), 22.

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  67. Gehlen (1957), 11.

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  68. Jonas (1966), 58.

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  69. Ebd., 80.

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  70. Ebd ., 107.

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  71. Ebd., 17.

    Google Scholar 

  72. Ebd., 110.

    Google Scholar 

  73. Ebd., 116.

    Google Scholar 

  74. Ebd., 96.

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  75. Ebd., 102.

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  76. Gehlen (1949), 9.

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  77. Jonas (1966), 96.

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  78. Gehlen (1957), 112.

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  79. Zur Kritik an Gehlen vgl. Ullrich (1977), 26ff. Ullrich wirft Gehlen die Mängelwesen–Konzeption vor. Die Gegenkritik findet sich bei Jonas (1966, 29, Fußnote 61) .

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  80. Jonas (1966), 102. Gehlen nimmt damit die Position von Hans Jonas vorweg, auf die wir noch zu sprechen kommen.

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  81. “Jede persönliche Beziehung, sogar einschließlich der Sklaverei kann, wie Max Weber hervorhob, ethisch reglementiert werden, nicht jedoch die rationale Eigengesetzlichkeit der Wirtschaft auf der Basis der Marktvergesellschaftung, eine Eigengesetzlichkeit, die bei geplanter Produktion und Konsumption ja doch nicht ihr Wesen, sondern nur die Umstände ihres Erscheinens ändert ... Ebensowenig ethisch kommensurabel ist die naturwissenschaftliche Forschung. Sie entmündigt sozusagen den Naturforscher, denn weder ‘stellt’ er die Probleme, noch ‘entschließt’ er sich zur Anwendung des Erkannten, wie der Laie glaubt. Was Problem werden muß, folgt aus dem schon Erkannten, und es liegt in der Logik des Experimentes, daß die exakte Erkenntnis bereits die Beherrschung des Effekts einschließt. “ Gehlen (1957), 54. Gehlen verknüpft so Markt, Wissenschaft und Technik zu einem Komplex, aber er erklärt nicht, wie diese Verknüpfung funktioniert. Herrschaft als Kategorie löst sich damit auf.

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  82. Ebd., 54. Tatsächlich hat die Ökologiebewegung sowohl ein Moratorium der Wissenschaft wie Konsumverzicht und Askese gefordert. Ein herausragender Vertreter dieses ökologischen Fundamentalismus ist z. B. Rudolf Bahro.

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  83. Das gilt natürlich auch für Habermas, dessen antiinstitutionelle Diskurstheorie für den hier angesprochenen Kernkomplex der bürgerlichen Gesellschaft eine Systemtheorie ist.

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  84. Helmut Schelsky, Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation, in: ders., Auf der Suche nach der Wirklichkeit, Düsseldorf und Köln 1965, 442.

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  85. Ebd., 446.

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  86. Die Einteilung ist von Jacques Ellul, La Technique ou l’enjeu du siècle, Paris 1954, übernommen.

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  87. Schelsky nennt neben Gehlen Paul Alsberg, Max Scheler, Ortega y Gasset, Werner Sombart.

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  88. Schelsky (1965), 446.

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  89. Ebd ., 449.

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  90. Ebd., 448.

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  91. Nach Gehlen ist dies die reine technische Rationalität.

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  92. Schelsky (1965), 449.

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  93. Ebd., 453.

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  94. Ebd., 455.

    Google Scholar 

  95. Ebd., 456.

    Google Scholar 

  96. Ebd., 457.

    Google Scholar 

  97. Ebd., 459.

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  98. Ebd.

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  99. Ebd., 457.

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  100. Ebd., 458.

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  101. Vgl. hierzu ausführlich Ullrich (1977) .

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  102. Schelsky (1965), 467.

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  103. Jürgen Habermas, Philosophisch–politische Profile, Ffm. 1987, 107.

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  104. Ebd ., 103.

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  105. Ebd.

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  106. Herbert Marcuse, Industialisierung und Kapitalismus, in: Dirk Käsler (Hg.), Max Weber, München 1972, 74.

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  107. Ebd., 81.

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  108. Ebd., 82.

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  109. Ebd., 170ff.

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  110. Herbert Marcuse, Einige gesellschaftliche Folgen moderner Technologie, in: Max Horkheimer, Wirtschaft, Recht und Staat im Nationalsozialismus, Ffm. 1981, 343.

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  111. Marcuse (1972), 81.

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  112. Ebd.,71.

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  113. Max Weber, zitiert nach Marcuse, ebd., 75.

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  114. Ebd., 76f.

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  115. Ebd., 80.

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  116. Ebd., 78.

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  117. Ebd., 85

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  118. Ebd., 84.

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  119. Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch, Darmstadt und Neuwied 1967, 18.

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  120. Ebd., 175.

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  121. Ebd., 168.

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  122. Als Rudolf Bahro (Die Alternative, Ffm. 1977) den Versuch dennoch unternimmt, spendet Marcuse allerdings heftig Beifall: Herbert Marcuse, Protosozialismus und Spätkapitalismus, in: Kritik 19 (1978), 5–27.

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  123. Die nachtechnologische Rationalität finde sich in der Kunst, merkt Marcuse an. Hier trifft er sich mit Gehlen. Marcuse (1967), 249, Gehlen (1957), 77.

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  124. “Die Technik hemmt die individuelle Entfaltung nur insofern, als sie in einen gesellschaftlichen Apparat eingebunden ist, der den Mangel verlängert ... Die Philosophie des einfachen Lebens, der Kampf gegen die Großstädte und deren Kultur dient gegenwärtig dazu, den Menschen Mißtrauen gegenüber den Instrumenten ihrer Befreiung einzuflößen ... (Über Demokratisierung, d.V.) hinaus könnten Mechanisierung und Standardisierung eines Tages den Schwerpunkt von den Notwendigkeiten der materiellen Produktion verlagern auf das Feld menschlicher Selbstverwirklichung. Je weniger Individualität erforderlich ist, um sich selbst in den standardisierten gesellschaftlichen Leistungen zu behaupten, desto mehr kann sie sich zurückziehen auf einen freien ‘natürlichen’ Boden. “ Und an anderer Stelle: “Denn als ‘geronnener Geist’ ist die Maschine nicht neutral; technische Vernunft ist die jeweils herrschende gesellschaftliche Vernunft: sie kann in ihrer Struktur selbst verändert werden. Als technische Vernunft kann sie zur Technik der Befreiung gemacht werden.” Marcuse (1972), 87. Diese Umschlagsperspektive haben insbesondere André Gorz und Josef Huber weiter verfolgt.

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  125. Jürgen Habermas, Technik und Wissenschaft als ‘Ideologie’ , Ffm. 1968. Die Zitationen beziehen sich auf den Abdruck in Käsler (1972).

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  126. Habermas (1972), 93.

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  127. Ebd.

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  128. Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch, zitiert nach Habermas (1972), 93f.

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  129. Auch bei Gehlen (1949, 18) lautet der Imperativ ‘Hege und Pflege’ der Natur. Habermas, ebd., 94.

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  130. Marcuse (1967), 247.

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  131. Habermas (1972), 93.

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  132. Ebd ., 94.

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  133. Ebd., 94f.

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  134. Das ist der typische Einwand gegen Gehlen: Schelsky (1965), 446; Ullrich (1977), 27.

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  135. Gehlen (1949), 18. Dieselbe Auffassung wird in der ökologischen Literatur von Mumford (1977) vertreten.

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  136. “Die Vernunft kann nicht irren, und die Vernunft ist die eigentliche Wirklichkeit, die Realität kann sie nicht desavouieren: das waren schon die Grundannahmen der Aufklärungszeit. “ Gehlen (1949), 22.

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  137. Gehlen (1957), 77; Marcuse (1967), 249.

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  138. Habermas (1972), 95.

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  139. Das ist auch das Thema der umfangreichen ökologischen Literatur.

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  140. Marcuse, zitiert nach Habermas (1972), 96.

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  141. Marcuse (1967), 168f.

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  142. Ullrich (1977) hat diesen weiteren Schritt vollzogen.

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  143. Habermas (1972), 96.

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  144. Vgl. Lovins (1977).

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  145. Wir haben diese These mit Münch als Interpenetration bezeichnet.

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  146. Habermas (1972), 98.

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  147. Ebd., 98f.

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  148. Ebd., 99.

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  149. Ebd., 103.

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  150. Ebd., 107.

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  151. Ebd., 108.

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  152. Ebd., 109.

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  153. Wir kommen darauf im folgenden Kapitel bei der Besprechung von Luhmanns Verfahrens–Begriff zurück.

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  154. Habermas (1972), 112.

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  155. Ebd., 122.

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  156. Habermas begründet seine Dichotomie von Arbeit und Interaktion mit Hegel: “Die Dialektik der Arbeit vermittelt freilich Subjekt und Objekt nicht in der gleichen Weise wie die Dialektik der Darstellung. Am Anfang steht nicht die Unterwerfung der Natur unter die selbsterzeugten Symbole, sondern umgekehrt die Unterwerfung des Subjekts unter die Gewalt der äußeren Natur. Arbeit verlangt die Suspendierung der unmittelbaren Triebbefriedigung; sie überträgt Leistungsenergien auf den bearbeiteten Gegenstand unter Gesetzen, die die Natur dem Ich imponiert. In dieser doppelten Hinsicht spricht Hegel davon, daß sich das Subjekt in der Arbeit zum Ding macht: ‘Arbeit ist das diesseitige Sich–zum–Ding–Machen. Die Entzweiung des Trieb–seienden Ich (nämlich: in eine realitätsprüfende Ichinstanz und in die reprimierten Triebansprüche J.H.) ist ebendies Sich–zum–Gegenstande–Machen.’ Auf dem Wege der Unterwerfung unter die Kausalität der Natur entsteht mir in den Werkzeugen das Resultat einer Erfahrung, durch die ich umgekehrt die Natur für mich arbeiten lassen kann. Indem das Bewußtsein mit den technischen Regeln den nicht intendierten Ertrag seiner Arbeit einholt, kehrt es aus seiner Verdinglichung zurück, und zwar als listiges Bewußtsein, das im instrumentalen Handeln die Erfahrung mit Naturprozessen gegen diese selbst wendet: ‘Hier tritt der Trieb ganz aus der Arbeit zurück. Er läßt die Natur sich abreiben, sieht ruhig zu und regiert nur mit leichter Mühe das Ganze: List. Die breite Seite der Gewalt wird von der Spitze der List angegriffen.’” (Habermas, 1968, 26f.) Habermas zieht daraus die folgende Konsequenz: “Das Werkzeug ist also ebenso wie die Sprache Kategorie jener Mitte, durch die der Geist zur Erkenntnis gelangt. Aber die beiden Bewegungen verlaufen konträr. Das namengebende Bewußtsein erreicht eine andere Stellung zur Objektivität des Geistes als das aus Arbeitsprozessen hervorgehende listige Bewußtsein. Nur im Grenzfall der Konventionalisierung kann sich der Sprechende zu seinen Symbolen ähnlich verhalten wie der Arbeitende zu seinen Instrumenten; die Symbole der Umgangssprache durchdringen und beherrschen das wahrnehmende und denkende Bewußtsein, während das listige Bewußtsein durch seine Werkzeuge über Prozesse der Natur verfügt. Die Objektivität der Sprache behält Gewalt über den subjektiven Geist, während die Überlistung der Natur über die Gewalt des objektiven Geistes subjektive Freiheit erweitert — denn am Ende terminiert auch der Arbeitsprozeß in der vermittelten Befriedigung an den erzeugten Konsumgütern und in der rückwirkend veränderten Interpretation der Bedürfnisse selber.” (Ebd.) Marx hat diese Trennung nicht vorgenommen, bei ihm sind Arbeit und Sprache (Bewußtsein) als gemeinsame Praxis aufeinander verwiesen. Die Entfremdung beruht für ihn nicht auf dem Einsatz von Technik zur Unterwerfung der Natur, sondern auf der Organisation der Arbeit: “Der Gegenstand, den die Arbeit produziert, ihr Produkt, tritt ihr als ein fremdes Wesen, als eine vom Produzenten unabhängige Macht gegenüber ... Sie (die Arbeit, d.V.) produziert Schönheit, aber Verkrüppelung für den Arbeiter, sie ersetzt die Arbeit durch Maschinen, aber sie wirft einen Teil der Arbeiter zu einer barbarischen Arbeit zurück und macht den anderen Teil zur Maschine. Sie produziert Geist, aber sie produziert Blödsinn.” (Manuskripte, MEW, Ergb. I, 511, 513) Diesen Sachverhalt führte Marx auf das Eigentum an Produktionsmitteln, nicht auf Arbeit zurück: “Eben in der Bearbeitung der gegenständlichen Welt bewährt sich der Mensch daher erst wirklich als ein Gattungswesen ...: indem er sich nicht nur wie im Bewußtsein intellektuell, sondern werktätig, wirklich verdoppelt und sich selbst daher in einer von ihm geschaffenen Welt anschaut.” (Ebd., 517) Daß neben der Organisation der Arbeit auch der Einsatz der Mittel (Werkzeuge) auf die das Bewußtsein hervortreibende Arbeit bestimmenden Einfluß ausübt, war für Marx unstrittig. Nur war für ihn in der damaligen Situation sozialer Deprivation der Arbeiter das erste Problem vorrangig, das einer notwendig anderen Technik würde sich hernach immer noch lösen lassen. Wenn die Handmühle das Bewußtsein des Feudalismus präge, die Dampfmühle das des Kapitalismus, dann mußte sich der Sozialismus eben eine neue Technik schaffen. (Daß sich diese Hoffnung von Marx nicht erfüllen konnte, führt Ullrich, 1975, 124f., auf das Wirken der Ingenieure zurück.) In jedem Fall bleibt aber Arbeit der kreative Ort, an dem sich der Mensch vom Tier unterscheidet. Dieses Hoffnungsmoment hat Habermas aufgegeben. Entfremdung ist in der listigen Arbeit technisch unvermeidbar, erst in der Konsumption tritt die Schönheit hervor und wirkt befreiend. Das rechtfertigt die Trennung von Arbeit und Interaktion. Eder zeigt, daß der Gedanke von Habermas nicht konsequent zu Ende gedacht ist: “Die normativistische Kritik am Marxschen Naturalismus löst demgegenüber das Problem einer nicht–materialistischen Gesellschaftstheorie, indem sie die Gesellschaft aus ihrem Naturverhältnis herauslöst. Dadurch, daß Natur dem Reich der Arbeit zugeordnet wird, Arbeit aber außerhalb des — für Vergesellschaftung konstitutiven — kommunikativen Handelns liegt, kann Gesellschaft als jenseits von Natur und außerhalb der Natur analysiert werden. Da diesem theoretischen Blick die ökologische Problematik, das zentrale Thema des öffentlichen Diskurses fortgeschrittener Industriegesellschaften, entgeht, das ist eine — vor allem politisch bedeutsame — Folge dieser Sichtweise. Die theoretisch mißliche Folge der normativistischen Kritik liegt darin begründet, daß sie das gesellschaftliche Naturverhältnis dem theoretischen Naturalismus schlicht überläßt ... Dieser ‘ausgelagerte’ Naturalismus bleibt nicht ohne Folgen für die normativistische Kritik selbst ... Sie setzt an die Stelle der Theorie der Ideologie die Theorie eines moralischen Bewußtseins, das Gerechtigkeitsmaßstäbe an die Verteilung des Reichtums einer Gesellschaft anzulegen erlaubt.” (Eder, 1988, 36) Dabei ist die Verteilung des Reichtums heute gar nicht mehr das zentrale Problem. Das aber, worum es heute gehen muß, die Frage der Ökologie, gibt die normativistische Kritik an den Naturalismus preis. Mit theoretischem Naturalismus meint Eder nun beide Beerbungen (und Vereinseitigungen) des Marxschen Denkens, den Marxismus und den Funktionalismus, die immer noch ‘technischen Fortschritt’ durch die Brille des ‘Kampfes mit der Natur’ betrachten, so insbesondere Luhmann: “Im sozialwissenschaftlichen Funktionalismus wird der Grad der sozialen ‘Resonanz’ auf den technischen Fortschritt zur Fessel, die es abzuwerfen gilt.” (Ebd., 45) Mit anderen Worten, da wo der aktuelle Ort der normativistischen Kritik sein müßte, überläßt sie kampflos den Platz den sich wertfrei gebärdenden und den die Zerstörung der Lebensgrundlagen rechtfertigenden Kräften der Gesellschaftstheorie. Den theoretischen Mangel der normativistischen Theorie begründet Eder damit, daß sie das Verhältnis von Arbeit und Interaktion nicht zu Ende gedacht habe: Interaktion erfasse nur die Verteilung der Früchte der Arbeit, nicht aber ihre Konsumption. Und erst dort erfülle sich deren kulturelle Zurechnung, etwa als Genuß von Schönheit.

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  157. Das ist Habermas’ Vorwurf an Münch. (Habermas, 1981, I, 437ff.)

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  158. Dieser Vorwurf gilt Luhmann (ebd., 420).

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  159. Vgl. Abschnitt 6.1.

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  160. Vgl. Abschnitt 6.3.

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  161. Vgl. Abschnitte 5.2 und 5.3.

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  162. Vgl. Abschnitt 4.1.

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  163. Vgl. Abschnitte 4.3 und 4.4.

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  164. Vgl. Abschnitt 2.1.

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  165. Vgl. Abschnitte 2.2 bis 2.5.

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  166. Vgl. Abschnitte 2.5 und 2.7.

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  167. Vgl. Abschnitt 4.5.

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  168. Vgl. Abschnitte 4.3 und 4.4.

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  169. Vgl. Abschnitt 4.6.

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  170. Vgl. Abschnitt 5.1.

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  171. Vgl. Abschnitt 5.2.

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  172. Vgl. Abschnitt 5.3.

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  173. Gehlen hat dieses Entlastungsmoment der Institutionen selbstverständlich mitgedacht, aber er scheint sich dann doch für die konservative Seite entschieden zu haben, Institutionen als Ausdruck von Herrschaft zu betrachten, weil er der im lebensweltlichen Bereich auch angelegten Sprengkraft mißtraute.

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  174. Die Trennung von Arbeit und Interaktion eröffnet eine Lücke: Wie soll Arbeit sprachfrei koordiniert werden? Dieses Problem ist mit dem Systembegriff eliminiert, hier ersetzt das spezifische Medium des Systems die Sprache. Das Medium ist aber zurückverwiesen auf die Lebenswelt. Berger und Luckmann fassen dies als Institutionalisierung von Symbolsystemen oberhalb der Alltagswelt. Zum Alltagswissen gehört dann, wie Wissen in den Symbolsystemen verteilt ist. Dieses Modell einer gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit verharrt aber auf einer Binnenperspektive, die Institutionen werden jeweils nur als gemeinsames Wissen ihrer Mitglieder um sie aufgefaßt, sie existieren also nicht objektiv, sondern nur inter–subjektiv. Institutionen definieren sich folglich nur durch ihre Mitglieder. Peter L. Berger und Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, Ffm. 1980. Habermas will hingegen auf eine objektive Realität von Systemen und deren Institutionalisierung hinaus, er folgt Durkheim, nicht Weber. Den Mitgliedern kann die Wirklichkeit des Systems durchaus verschlossen sein. Auch hier folgt sein Schluß Durkheim: die Realität des gesellschaftlich Wirklichen ist nur noch den Sozialwissenschaften zugänglich. Habermas (1981, II), 258.

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  175. Dem wird allerdings verschiedentlich widersprochen. Für Stefan Breuer (Die Depotenzierung der Kritischen Theorie. Über Jürgen Habermas”Theorie des kommunikativen Handelns’ , in: Leviathan 1, 1982, 140) enthält die Theorie keinerlei Empiriebezug.

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  176. Alfred Bohnen (Handlung, Lebenswelt und System in der soziologischen Theoriebildung: Zur Kritik der Theorie des kommunikativen Handelns von Jürgen Habermas, in: ZfS 3 (13, 1984), 1919–203, 198ff.) bezieht die Kritik nur auf den systemtheoretischen Teil. Die Systemtheorie zeige lediglich Probleme, erkläre aber keine Sachverhalte.

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  177. Habermas entwickelt den hier referierten Gedanken im Abschnitt VI der Theorie des kommunikativen Handelns.

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  178. Habermas (1981), II, 195. Habermas zitiert Schütz und Luckmann (1979), 149, 133.

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  179. Ebd., 200.

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  180. Ebd., 201. Habermas zitiert Schütz und Luckmann (1979), 31.

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  181. Ebd., 192.

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  182. Ebd., 206.

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  183. Ebd., 223. Lau fordert deshalb auch in einem interaktionistisch angelegten Entwurf der Theorie der Institution eine ‘intermediäre’ Strategie für die Weiterentwicklung der Theorie der Institution. Konkrete Hinweise eines Anschlusses an die Systemtheorie fehlen freilich. Ephrem Else Lau, Interaktion und Institution, Berlin 1977, 244ff.

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  184. Ebd., 226.

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  185. Vgl. hierzu auch die Abschnitte unter 5, insbes. 5.2.

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  186. Vgl. Abschnitte 2.3 und 2.4.

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  187. Vgl. Abschnitte 3.1 bis 3.4.

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  188. Vgl. Abschnitte 3.3 und 3.4.

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  189. Den hier referierten Gedanken der Entkoppelung von System und Lebenswelt entwikkelt Habermas im Abschnitt VI der Theorie des kommunikativen Handelns.

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  190. Vgl. Abschnitte 2.3 bis 2.5 und 4.1 bis 4.4.

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  191. Habermas (1981), II, 249.

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  192. Ebd., 267.

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  193. Ebd., 268.

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  194. Ebd., 292.

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  195. Habermas spricht von einer ‘Mediatisierung’ der Lebenswelt.

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  196. Ebd., 269.

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  197. Ebd., 284.

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  198. Ebd.

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  199. Vgl. Abschnitt 3.1.

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  200. Habermas (1981), II, 280.

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  201. Ebd., 257. Die genauere Erklärung findet sich bei Luhmann, wir kommen darauf im folgenden Abschnitt zurück.

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  202. Ebd., 273. Die Technisierung der Lebenswelt beschreibt Habermas als strukturelle Gewalt: “Systemintegrative Mechanismen setzen an Handlungseffekten an. Während sie durch die Handlungsorientierungen subjektiv unauffällig hindurchgreifen, können sie die sozialintegrierten Handlungszusammenhänge, die sie parasitär benützen, strukturell unverändert lassen — eine solche Verschränkung von System– und Sozialintegration haben wir für das Entwicklungsniveau von Stammesgesellschaften postuliert. Anders verhält es sich, wenn die Systemintegration in die Formen der sozialen Integration selbst eingreift; auch in diesem Falle handelt es sich um latent bleibende Funktionszusammenhänge, aber die subjektive Unauffälligkeit von systemischen Zwängen, die eine kommunikativ strukturierte Lebenswelt instrumentalisieren, gewinnt den Charakter der Täuschung, eines objektiv falschen Bewußtseins. Die Einwirkungen des Systems auf die Lebenswelt, die die Handlungszusammenhänge sozial integrierter Gruppen in ihrer Struktur verändern, müssen verborgen bleiben. Reproduktionszwänge, die eine Lebenswelt instrumentalisieren, ohne den Schein der Autarkie der Lebenswelt zu beeinträchtigen, müssen sich gleichsam in den Poren des kommunikativen Handelns verstecken. Daraus entsteht strukturelle Gewalt, die sich, ohne als solche manifest zu werden, der Form der Intersubjektivität möglicher Verständigung bemächtigt.” Ebd ., 278.

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  203. Deshalb hält er im Gegensatz zu Gehlen an der Aufklärung fest.

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  204. Ebd ., 274.

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  205. Ebd., 291.

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  206. Ebd ., 292.

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  207. Ebd., 481.

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  208. Ebd., 482f.

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  209. Ebd., 488.

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  210. Ebd., 500.

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  211. Offe, in: Habermas (1979), 315, zitiert nach Habermas (1981), I, 508.

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  212. Motive, auf die Praxis als Praxis angewiesen bleibt, werden ausgegrenzt, bemerkt Klaus Christoph (Am Anfang war das Wort, in: Leviathan 3, 1985, 354).

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  213. Habermas (1981), II, 578. “Diese Konfusion (der unrealistischen Vorstellungen neuer sozialer Bewegungen, d. V.) erklärt die verqueren, politische Gegensätze vernebelnden Fronten zwischen dem Antimodernismus der Jungkonservativen und der neukonservativen Verteidigung einer Postmoderne, die die mit sich selbst zerfallene Moderne ihres vernünftigen Gehalts und ihrer Zukunftsperspektiven beraubt.” Ebd., 583.

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  214. Dieter Rucht, Von Wyhl nach Gorleben, München 1977.

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  215. E.F. Schumacher, Die Rückkehr zum menschlichen Maß, Reinbek 1977.

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  216. So etwa den von Ullrich (1975, 392, 447), der Habermas vorwirft, sein Technikbegriff sei vorindustriell, handwerklich geprägt, sein handlungstheoretischer Bezugsrahmen erfasse den systemischen Charakter des technischen Komplexes (Naturwissenschaft, Ökonomie, angewandte Technik) nicht.

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  217. Jürgen Habermas, Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz, in: Habermas/Luhmann (1971).

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  218. Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, Darmstadt und Neuwied 1962.

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  219. Habermas (1981), II, 437ff.

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  220. Ebd., 277.

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  221. Entsprechend lautet ein Vorwurf an Münch: “Münch macht Parsons’ Wende zum Systemfunktionalismus in gewisser Weise rückgängig. Er nimmt diesem alle essentialistischen Konnotationen und läßt ‘Systeme’ lediglich als analytische Bezugssysteme gelten. Nicht nur, daß Handlungssysteme nicht ‘handeln’ — sie ‘funktionieren’ auch nicht.” Ebd., 440.

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  222. Vgl. Abschnitt 5.2. Barbara Freitag (Theorie des kommunikativen Handelns und genetische Psychologie, in: KZfSS 1983, 570) weist darauf hin, daß die Behandlung der Gesellschaft als biologisch–anthropologisch–kognitive Einheit durch Habermas auf einen Organizismus à la Spencer hinauslaufe.

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  223. Vgl. Abschnitt 5.1.

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  224. Habermas (1981), II, 273.

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  225. Ebd., 476.

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  226. “Der Marxsche Irrum geht letztlich auf jene dialektische Verklammerung von System– und Lebensweltanalyse zurück, die eine hinreichend scharfe Trennung zwischen dem in der Moderne ausgebildeten Niveau der Systemdifferenzierung und den klassenspezifischen Formen seiner Institutionalisierung nicht zuläßt.” (Ebd., 500f.) Habermas muß im Gegenzug die Hinnahme der Entfremdung in wichtigen gesellschaftlichen Bereichen entrichten, bemerkt Johannes Weiß (Verständigungsorientierung und Kritik, in: KZfSS 1983, 119).

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  227. Christoph (1985, 338) spricht deshalb vom ‘konstitutiven Schein’ der Theoriekonstruktion der Diskurstheorie. 227 Vgl. Abschnitt 6.1.1. 228 Vgl. Abschnitte 3.5 und 3.6. 229 Vgl. die folgenden Abschnitte unter 7.5.

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  228. Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren. Neuwied und Berlin 1969, 29

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  229. Ebd., 156.

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  230. Ebd., 199.

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  231. Ebd., 22.

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  232. Ebd., 21. Hier trifft sich Luhmann mit Münch, der, wie wir unter 4. dargestellt haben, die Unterscheidung zwischen an Konsens orientierten und die Wahrheit suchenden Diskursen vornimmt, um die ersteren der Politik, die letzteren der Wissenschaft zuzuordnen.

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  233. Ebd., 22.

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  234. Ebd., 24.

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  235. Ebd. Die Beweisführung Luhmanns erinnert an Durkheims Sophismen (Aron).

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  236. “Durch Erreichen faktisch geglaubter Wahrheit und Gerechtigkeit solle die Überzeugung von der Richtigkeit des Entscheidens sich ausbreiten. Kein politisches System kann jedoch seine Stabilität vom Erreichen so hoch gespannter Ziele abhängig machen, und kein Mensch ist in der Lage, für alle aktuellen Entscheidungsthemen Überzeugungen zu bilden ... Dieser Komplexität moderner Gesellschaften kann nur durch Generalisierung des Anerkennens von Entscheidungen Rechnung getragen werden. Es kommt daher weniger auf motivierte Überzeugungen als vielmehr auf ein motivfreies, von Eigenarten individueller Persönlichkeiten unabhängiges (und insofern wahrheitsähnliches!) Akzeptieren an, das ohne allzuviel konkrete Information typisch voraussehbar ist.” Ebd., 32.

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  237. Ebd., 152.

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  238. Ebd.

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  239. Luhmann argumentiert in einem Dreisprung: Er formuliert seine Ausgangsthese als Frage: “Vermutlich ist dies die heimliche Theorie des Verfahrens: daß man durch Verstrickung in ein Rollenspiel die Persönlichkeit einfangen, umbilden und zur Hinnahme von Entscheidungen motivieren könne.” (Ebd ., 87) Dann löst er mit Dahrendorf die Person in Kollektive auf: “Daß eine ‘Institutionalisierung von Konflikten’ möglich ist und Vorteile hat, ist wohl bekannt.” (Ebd., 100) “Durch Beteiligung am Zeremoniell des Verfahrens und an der laufenden Bestätigung der Entscheidungsprämissen und –kompetenzen werden den Betroffenen ... nach und nach mehr Möglichkeiten der Kritik abgeschnitten und andere in bestimmte Bahnen gelenkt. Eine solche Zügelung der Kritik durch Betroffene ist indes nur erreichbar, wenn sie in Einklang gebracht wird mit den Formen, in denen die Entscheidung sonst kritisiert werden kann, vor allem also mit den Formen der Verantwortlichkeit im hierarchischen Aufbau der Entscheidungsorganisation und in der Öffentlichkeit. Wäre nämlich die hierarchische oder die öffentliche Kritik schrankenlos freigegeben, fänden die Betroffenen immer neuen Anlaß, ihre Unzufriedenheit in allen Hinsichten wachzuhalten, zu schüren und in den weiteren Entscheidungsgang hineinzublasen. Die Institution der Rechtskraft stellt diese Möglichkeit definitiv ab. Mit dieser Auskunft können sich Soziologen jedoch nicht begnügen.” (Ebd., 129) Die Trennung von Verfahren und Symbol im System, so der dritte Schritt, gestattet die Entlastung des Verfahrens von der Kritik und die Institutionalisierung von Symbolstrukturen als Blitzableiter einer dann folgenlos werdenden Kritik.

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  240. Ebd., 192.

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  241. Ebd.

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  242. Ebd., 195.

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  243. Ebd., 197.

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  244. Vgl. Jürgen Habermas und Niklas Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie — Was leistet die Systemforschung?, Ffm. 1971.

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  245. Die Formulierung ist nicht ganz korrekt, als Objekte sind Menschen am Rande der Theorie noch zugelassen.

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  246. Damit entfällt für Luhmann auch der Begriff der Institution zugunsten des sozialen Systems. Von den Institutionen erwartet Luhmann in Zukunft keine nennenswerten Integrationsleistungen mehr, er hält sie auch nicht für ‘umbaufähig’ . Von daher sind auch die ‘alten Theorien’ obsolet, die Fragen, was Institutionen sind. Von Interesse sei vielmehr, was sie leisten: “Im Schutze unvollständiger Kommunikationsmöglichkeiten können anonym institutionalisierte Verhaltenserwartungen idealisiert und gegen faktisches Meinen einzelner immunisiert werden — solange, bis die modernen Techniken repräsentativer Befragung die Kommunikationslage ändern und enthüllen, daß die Institution nur wenig durch faktisches Meinen, sondern eben nur durch unterstelltes Meinen gedeckt ist.” Es geht also um erfolgreich überschätzten Konsens generalisierter Meinungen anonymer Dritter, den Institutionen bereitstellen, bzw. besser: bei unterstellter struktureller Labilität und Änderungsfähigkeit des Systems beschaffen müssen. Da Luhmann dies nur als laufenden Prozeß verstehen will, verwirft er den Begriff Institution und ersetzt ihn durch Institutionalisierung, womit allerdings auch nur eine Systemqualität gemeint ist, die dynamische Anpassungsfähigkeit an Problemlagen. Konsequenterweise läßt Luhmann dann im folgenden auch den Begriff der Insti– tutionalisierung fallen. Niklas Luhmann, Institutionalisierung — Funktion und Mechanismus im sozialen System der Gesellschaft, in: Schelsky (1970), 27–42, 33.

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  247. Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Ffm. 1984, 595f.

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  248. “Man begreift die Funktionsweise von Sinn nicht zureichend, wenn man sie auf eine Sinnvolles legitimierende Identität bezieht — sei es den an sich perfekten Kosmos, sei es das Subjekt, sei es den sinngebenden Kontext. Dieser Identität wird dann die Unterscheidung von Sinnvollem und Sinnlosem abgenötigt, die sie als Identität nicht leisten kann. Die Herkunft der Unterscheidung bleibt dunkel, bleibt ein Problem der Theodizee.” (Ebd., 111) Auch hier erscheint Luhmanns Argumentation sophistisch: “’Sinnlosigkeit’ kann ... nie durch Negation von Sinnhaftigkeit gewonnen werden. Sinnlosigkeit ist ein Spezialphänomen, es ist überhaupt nur im Bereich der Zeichen möglich und besteht in einer Verwirrung von Zeichen. Ein Durcheinanderbringen von Objekten ist niemals sinnlos, ein Trümmerhaufen zum Beispiel ist sofort als solcher erkennbar, und zumeist sieht man auch gleich mit, ob er auf Alter oder Erdbeben oder ‘Feindeinwirkung’ zurückzuführen ist.” (Ebd., 96) Weil Subjekte in diesem nicht aufzulösenden Zirkel der Zurückverweisung Sinn–Sinnlosigkeit–Sinn gefangen bleiben, dem Objekte entgehen können (sie beziehen Sinn von außen), kommt Luhmann zu dem Schluß: “Wir können damit auch den Subjektbegriff aufgeben.” (Ebd., 111) Kein Zweifel, in Luhmanns Soziologie sind Menschen nur noch Objekte. Können aber ‘Objekte’ noch Kritik leisten, ist eine solche Wissenschaft von der Soziologie überhaupt noch als ‘kritische’ Wissenschaft vorstellbar? Luhmanns Ausdehnung des Theodizee–Problems auf das Subjekt entzaubert die Welt zu einer vollkommen verdinglichten, sie erscheint nur noch als negative Utopie vorstellbar.

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  249. “Erst wenn Sinngrenzen die Differenz von System und Umwelt verfügbar halten, kann es Welt geben.” (Ebd., 283) Die Differenz System/Umwelt ist durch eine Sinngrenze markiert, sie konstituiert das System, denn sie ist der Filter der Komplexitätsreduzierung. Umwelt setzt also kein System voraus, ein System aber Umwelt. Nur ist dies hier nicht gemeint (Umwelt ist nicht Welt), sondern: “Systeme, die Sinn konstituieren und verwenden, setzen sich damit Welt aus ... Den Begriff der Welt kann man natürlich sehr verschieden ansetzen ... Wir setzen den Weltbegriff hier als Begriff für die Sinneinheit dar Differenz von System und Umwelt ein und benutzen ihn als differenzlosen Letztbegriff ... Welt in diesem Sinne wird also duch die Ausdifferenzierung von Sinnsystemen, durch die Differenz von System und Umwelt konstituiert. Insofern ist sie (anders als die phänomenal gegebene Welt) nichts Ursprüngliches, nichts Archehaftes, sie ist eine Abschlußeinheit als Anschlußvorstellung an eine Differenz. Sie ist Welt nach dem Sündenfall.” (Ebd., 283f.) Hatte Durkheim die Gesellschaft an den verwaisten Platz Gottes gestellt, so wird nach der Aufgabe des Gesellschaftsbegriffs der Platz von einem Abstraktum eingenommen: der Funktion des Abbruchs einer Vorstellung. Wozu der Aufwand? “Die traditionelle Zentrierung des Weltbegriffs auf eine ‘Mitte’ oder ein ‘Subjekt’ hin wird damit aufgegeben, wird aber nicht einfach ersatzlos gestrichen. An die Stelle tritt die Zentrierung auf Differenz hin; oder genauer: auf die System/Umwelt–Differenzen hin, die sich in der Welt ausdifferenzieren und damit Welt konstituieren. Jede Differenz wird so zum Weltzentrum, und gerade das macht Welt nötig: Sie integriert für jede System/Umwelt–Differenz alle System/Umwelt–Differenzen, die jedes System in sich selbst und in seiner Umwelt vorfindet. In diesem Sinne ist die Welt multizentrisch — aber so, daß jede Differenz die anderen dem eigenen System oder dessen Umwelt einordnen kann.” (Ebd., 284) Hier scheint so etwas wie ein ‘Weltgeist’ im Spiel zu sein (Luhmann: Andere Weltbegriffe bieten auch nicht besonders vertrauenswürdige Züge!), Luhmann bereitet aber nur abermals das Terrain einer binären Argumentation vor: “Jede Differenz ist eine sich–oktroyierende Differenz. Sie gewinnt ihre Operationalisierungsfähigkeit, ihre Fähigkeit, Informationsgewinn zu stimulieren, durch Ausschluß dritter Möglichkeiten. Die klassische Logik folgt dem Prinzip.” Wer wollte das bestreiten, aber: “Die Weltlogik kann dagegen nur eine Logik des eingeschlossenen ausgeschlossenen Dritten sein.” (Ebd., 285) An dieser Stelle bricht Luhmann ab, und erst in der Ökologischen Kommunikation klärt sich das Gemeinte auf: als eingeschlossener ausgeschlossener Dritter in der Gesellschaft leben heißt ‘als Parasit’ , als Kritiker. Die aufwendige Konstruktion dient (wenigstens: auch) der Denunziation der Kritik. Niklas Luhmann, Ökologische Kommunikation, Opladen 1986, 234.

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  250. Ohne Subjekt verliert auch der Handlungsbegriff seine Bedeutung, Webers ‘subjektiv gemeinter Sinn’ wird von Luhmann auf ‘technisch präzisierte, schematisierte Operationen’ übertragen: “Jede Operation wird durch diesen Bezugsrahmen dazu angehalten, ihren gemeinten Sinn in dem Gefüge der Dimensionen und ihrer Horizonte zu verorten. Sie muß entsprechende Bestimmungen vollziehen — nicht so sehr um der eigenen Bestimmtheit willen, sondern deshalb, weil andernfalls keine weiteren Operationen angeschlossen werden könnten.” (Luhmann, 1984, 123) Die Zuordnung von Sinn zu Operationen statt Handlungen verlegt hierbei den Sinn in die Differenz von Horizonten: “Jedem Sinn kann ... auch eine Verweisung ins Soziale abverlangt werden. Das heißt: Man kann allen Sinn daraufhin abfragen, ob ein anderer ihn genauso erlebt wie ich oder anders. Sozial ist also Sinn nicht qua Bindung an bestimmte Objekte (Menschen), sondern als Träger einer eigentümlichen Reduplizierung von Auffassungsmöglichkeiten ... Da somit ein Doppelhorizont auch in dieser Hinsicht konstitutiv ist für die Eigenständigkeit einer Sinndimension, läßt sich Soziales nicht auf die Bewußtseinsleistungen eines monadischen Subjekts zurückführen.” Ebd., 119f.

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  251. Womit offenbar für Luhmann das Problem der Verdinglichung obsolet ist: “Mit dem Dingschema dominierte die Sachdimension das, was als ‘Realität’ beschrieben werden konnte, und davon zeugen auch noch die Verlegenheiten des Subjekts, das sich herauszulösen sucht und sich dann doch immer wieder ‘Verdinglichung’ vorzuwerfen hat. Diese Denkweise harmonierte mit den Schichtungsstrukturen der alten Welt und mit der sie auflösenden bürgerlichen Gesellschaft. Sie kann heute nicht adäquat fortgesetzt werden.” Warum, darf gefragt werden, das Problem hat sich ja nicht erledigt, allenfalls verschoben und scheint wesentlich verantwortlich für die Barrieren, die einer auch von Luhmann geforderten ökologischen Kommunikation entgegenstehen. Hier jedenfalls bricht Luhmann mit einer dunklen Feststellung ab: “Jeder Ansatz würde der Kritik verfallen und wäre vorausbelastet mit dem Wissen, daß dies so ist.” Ebd., 109.

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  252. Funktionale Differenzierung ermöglicht ‘abstrakte Codierung’ in den binären Codes, die die funktionale Spezifikation der Teilsysteme ermöglichen, das bedeutet zwar Verzicht auf Redundanz (die Systeme können ihre Funktionsleistungen nicht mehr gegenseitig übernehmen, der Ausfall eines Systems wirkt sich kritischer aus) und damit geringere Systemstabilität, dies wird aber durch erhöhte Sensibilität und Lernfähigkeit ausgeglichen. (Luhmann, 1986, 211) Die Folge ist: Systemzeit und Umweltzeit driften auseinander, das System kann Zeitgewinne verbuchen und Zeitreserven anlegen, es ‘verbraucht’ dabei aber auch Zeit der Umwelt, was dort verheerende Folgen (ökologische Katastrophen) auslösen kann, Prozesse werden irreversibel. Ebd., 113.

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  253. Die Herstellung einer Differenz zwischen Umwelt und System beschreibt Luhmann so: “Das System führt eigene Unterscheidungen ein und erfaßt mit Hilfe dieser Unterscheidungen Zustände und Ereignisse, die für das System selbst dann als Informationen erscheinen. Information ist mithin eine rein systeminterne Qualität. Es gibt keine Überführung von Informationen aus der Umwelt in das System. Die Umwelt ist das, was sie ist, sie enthält allenfalls Daten.” (Luhmann, 1986, 45) Damit sichert sich Luhmann die Autopoiesis, d.h. die Autonomie des Systems von der Umwelt (nicht seine Autarkie!): “Die Differenztechnik dieser Systeme läßt sich nur aufbauen, weil ... Informationen rein interne Strukturen und Ereignisse sind und bleiben und weil in diesen Hinsichten kein Umweltkontakt möglich ist. Die Systeme bleiben insofern auf Autopoiesis, auf laufende Selbsterneuerung ihrer Elemente durch ihre Elemente angewiesen.” (Ebd., 46) Die für das System gewonnene Autonomie hat mehrere Folgen. Erstens muß ein Prozeß der Selbstreflexion in Gang gesetzt werden, um bloße Faktizität zu überwinden; der wird in der ‘Welt’ verortet: “Es muß eine Systemgrenze gezogen werden, damit die Welt die Möglichkeit gewinnt, sich selbst zu beobachten. Anderenfalls gäbe es nur pure Faktizität.” (Ebd., 45) Den Begriff Welt hatte Luhmann bereits in Soziale Systeme als differenzlosen Letztbegriff für Sinn ‘verbraucht’, also als ein Abstraktum, das die Sinneinheit der Differenz von System und Umwelt als ‘Abschlußvorstellung’ umschreibt. (Luhmann, 1984, 283f.) Nur so darf er hier auch verstanden werden, als Abstraktum (weder Subjekt noch Objekt), das sich selbst ‘beobachten’ soll, um sinnstiftend zu wirken. Wie ein Abstraktum selbstreflexiv beobachten soll, bleibt offen, es liegt also nahe, an den von Luhmann in diesem Zusammenhang angesprochenen Durkheim zu denken und mit ‘Welt’ eine Art ‘heiligen Geist’ , also Gott zu bezeichnen (Durkheim hatte die sich selbst erkennende Gesellschaft zu Gott ernannt). Zweitens: Kommunikation ist ein sozialer Begriff: “Gesellschaft betreibt Kommunikation, und was immer Kommunikation betreibt, ist Gesellschaft ... Die Gesellschaft kann über die Umwelt nur kommunizieren; aber nur deshalb kann sie über sie kommunizieren. Sie würde die hierfür nötige Distanz verlieren, wenn sie mit der Umwelt kommunizieren könnte.” (Ebd., 555, 557) Wie aber kommt die Gesellschaft an die Daten, über die sie kommunizieren will und muß? Luhmanns Antwort: “Sie (die Gesellschaft, d. V .) ist und bleibt auf Sensoren angewiesen, die ihr Umwelt vermitteln. Diese Sensoren sind Menschen im Vollsinne ihrer Interpenetration: als psychische und als körperliche Systeme.” (Ebd., 558) Neben den abstrakten Begriffen System–Welt–Umwelt sind damit Menschen in die Theorie eingeführt, sie bilden quasi die Peripherie der Systeme. Folglich muß geklärt werden, was Menschen sind. Die Menschen sind jedenfalls als solche keine Systeme, das hatte Luhmann bereits festgestellt: “Der Mensch mag für sich selbst oder für Beobachter als Einheit erscheinen, aber er ist kein System. Erst recht kann aus einer Mehrheit von Menschen selbst kein System gebildet werden.” (Ebd., 68) Also darf auch nicht das Zusammenwirken von körperlichem und psychischem System (in der ‘Einheit’ Mensch) als System aufgefaßt werden (wie der Mensch dann als faktische Einheit und nur als solche kommunizieren kann, bleibt offen und sei hier dahingestellt), sondern als ‘Interpenetration’, also als Zone gegenseitiger Durchdringung (eine allenfalls noch abstrakt vorstellbare Semantik). Für die Gesellschaft ist der Mensch jedenfalls nicht nur Sensor zur ökologischen Umwelt, er ist selbst Umwelt: “Sieht man den Menschen als Teil der Umwelt der Gesellschaft an (statt als Teil der Gesellschaft selbst), ändert das die Prämissen aller Fragestellungen der Tradition, also auch die Prämissen des klassischen Humanismus ... Gewonnen wird mit der Unterscheidung von System und Umwelt aber die Möglichkeit, den Menschen als Teil der gesellschaftlichen Umwelt zugleich komplexer und ungebundener zu begreifen, als dies möglich wäre, wenn er als Teil der Gesellschaft aufgefaßt werden müßte, denn Umwelt ist im Vergleich zum System eben derjenige Bereich der Unterscheidung, der höhere Komplexität und geringeres Geordnetsein aufweist. Dem Menschen werden so höhere Freiheiten im Verhältnis zu seiner Umwelt konzediert, insbesondere Freiheiten zu unvernünftigem und unmoralischem Verhalten. Er ist nicht mehr Maß der Gesellschaft. Diese Idee des Humanismus kann nicht kontinuieren. Denn wer wollte ernsthaft und durchdacht behaupten, daß die Gesellschaft nach dem Bilde des Menschen, Kopf oben usw., geformt werden könne.” (Ebd., 288f.) Hinterfragen wir dies kritisch: Weder Spencer noch andere ‘Organizisten’ hatten dies ernsthaft behauptet (wie unsere Ausführungen über das Organismusbild der Gesellschaft gezeigt haben), insofern besteht kein Zusammenhang mit der Kontinuität des Humanismus. Es ist auch unerheblich, ob Luhmann dem Menschen ‘höhere Freiheiten’ zubilligt, als sie in der Gesellschaft tatsächlich vorliegen. Soziologie hat den An– spruch der Analyse, nicht der Spekulation, und darüber hinaus beharrt Luhmann darauf, daß seine sozialen Systeme keine Modelle, Konstruktionen, sondern empirisch prüfbare Darstellungen von Wirklichkeit sind: “Der Systembegriff steht (im Sprachgebrauch unserer Untersuchungen) immer (Hervorhebung d.d.V.) für einen realen Sachverhalt. Wir meinen mit ‘System’ also nie ein nur analytisches System, eine bloße gedankliche Konstruktion, ein bloßes Modell .” (Ebd ., 599) Halten wir also fest: 1. Der Mensch ist für die Gesellschaft Umwelt; wenn das System Gesellschaft mit der Umwelt nicht kommunizieren und nur Daten abrufen kann, dann ist der Mensch nur Datenträger oder Datenvermittler (Sensor) zwischen Umwelt und Gesellschaft. Er selbst kann, jedenfalls als Einheit von Körper und Kognition, nicht mit der Gesellschaft kommunizieren. Was dann der Begriff Kommunikation, den Luhmann synonym mit Gesellschaft verwendet, bedeuten soll, bleibt für uns dunkel, inwieweit hier eine Begründung für die Beendigung der Kontinuität des Humanismus vorliegen soll, bleibt unerfindlich. 2. Die Differenz zwischen System und Umwelt beschreibt Luhmann als Grenze, die datendurchlässig ist (daß das System seinerseits auf die Umwelt einwirkt, wird von Luhmann nicht bestritten), offenbar handelt es sich hier um eine Interpenetrationszone, die Menschen als Interpenetrationseinheiten (Sensor–Bild) ausfüllen. 3. An der gleichen Stelle siedelt Luhmann aber auch den differenzlosen Letztbegriff ‘Welt’ an. Dieser Letztbegriff ‘Welt’ beobachtet das System und wirkt sinnspendend. Wir unterstellen, daß nur Menschen in dem genannten Sinn ‘beobachten’ können und daß nur sie Sinn als Kategorie überhaupt behandeln können. Dann aber fallen Welt und Mensch zusammen. Dies bedeutet, daß ‘Welt’ nach dem ‘Sündenfall’ der Entzauberung der Welt (bei Luhmann: Umwelt) die Stelle Gottes einnimmt. Es liegt also nahe anzunehmen, daß der Mensch bei Luhmann an die Stelle Gottes tritt. Luhmann radikalisiert insofern Durkheim (ebd., 109), der die Gesellschaft zur moralischen Tatsache erhob und an die Stelle Gottes stellte. 4. Ausdrücklich widerspricht Luhmann Durkheim, die Gesellschaft sei (’zum Glück’) keine moralische Tatsache, sondern eine Ansammlung der im Bereich der formal organisierten Arbeit entstehenden Sondermoralen (ebd., 318), und sie sei auch kein Gott (ebd., 589). Nur, was ist die Gesellschaft dann? Luhmann erklärt, sie sei “gewissermaßen das Ökosystem der Interaktionen” (ebd., 589, was der Begriff Interaktion meint, müssen wir hier zurückstellen). Nun hatte Luhmann aber bereits festgestellt, daß das Öko–System kein System ist (ebd., 45f., 1986, 162), folglich macht diese Feststellung nur Sinn, wenn die Vorstellung, Gesellschaft sei ein System, aufgegeben wird: “Es ist konsequent, wenn man angesichts dieses Paradoxes die Gesellschaft selbst nicht mehr als System ansieht (oder nur insofern als System, als alle sozialen Systeme letztlich nur mit Bezug auf die Gesellschaft analysiert werden können).” (1984, 559) 5. Genau das aber will Luhmann nicht: “Die Gesellschaftsanalyse bleibt dann dem dialektischen Materialismus überlassen.” Da stimmen wir zu, Luhmann aber fährt fort: “Statt dessen ziehen wir es vor, im Falle der Gesellschaft ein System zu unterstellen, für das es auf operationsgleicher Ebene kein umfassendes System gibt, so daß kein Begreifen von außen, sondern nur eine Selbstbeobachtung, Selbstbeschreibung im Duktus der eigenen Operationen möglich ist.” (Luhmann, 1984, 559f.) 6. Haben wir es nun hier mit einer Leerformel oder einem Rückzieher zu tun, denn Systeme sind nur da, wo Sinn ist, Sinn dort, wo ‘Welt’ ist, ‘Welt’ aber war die Funktion der Beobachtung schon zugesprochen, und dies war bei der Synonymsetzung von ‘Welt’ und Mensch auch noch vorstellbar, jetzt aber beobachtet sich ein subjektloses, von Menschen entleertes System, das erklärtermaßen kein System ist, selbst. Der Ausdruck Paradoxon scheint angemessen. An einem auf diese Weise ad absurdum geführten Gesellschaftsbegriff läßt sich Moral kaum sicher verankern: “Moral wird zum Störfaktor, jedenfalls zu einer Attitüde (wessen, darf gefragt werden, d.V.), die nicht ohne Mißtrauen beobachtet und in Schranken gehalten werden sollte.” (Ebd., 325) 7. Insofern hat Luhmann tatsächlich gegenüber dem bürgerlichen Humanismus (nicht nur Durkheims) dem Menschen eine ‘höhere Freiheit’ anzubieten: er hat den Himmel der Werte leergefegt (Habermas, 1981, II, 420). Statt partikulare Sondermoralen von einem als universal angenommenen Standort zu kritisieren (dessen man sich freilich erst versichern müßte, aber wozu sollte ökologische Kommunikation sonst nützlich sein), wird mit einer Leerformel vermeintlich ‘höherer Freiheit’ angesichts eines sich schließenden Gehäuses (Weber) von Sondermoralen operiert. Ob Blindheit oder Zynismus waltet, sei dahingestellt.

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  254. “Es steht zunächst nur die Autopoiesis der Interaktion, nicht auch die Autopoiesis der Gesellschaft auf dem Spiel. Es mag sein, daß die riskante Neuerung kein Weiterhandeln mehr zuläßt, aber damit ist dann nur die Interaktion, nicht auch die Gesellschaft am Ende.” Luhmann (1984), 591.

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  255. “Mit Begriffen wie Komplexität und Reduktion, Selbstreferenz und Autopoiesis, oder rekursiv–geschlossene Reproduktion bei umweltoffener Irritierbarkeit sind komplizierte theoretische Fragen aufgeworfen, die wir bei den folgenden Überlegungen nicht ständig im Blick behalten können. Wir vereinfachen uns die Darstellung dadurch, daß wir das Verhältnis von System und Umwelt mit dem Begriff der Resonanz beschreiben.” Luhmann (1986), 40.

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  256. Ebd., 45. Vor dem Hintergrund der dargestellten Theorie: Sinnproduktion ist gemeint.

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  257. Ebd., 44.

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  258. “Die Differenztechnik dieser (durch Sinn konstituierten, d. V .) Systeme läßt sich nur aufbauen, weil Unterscheidungen, Negationen, Möglichkeitsprojektionen, Informationen rein interne Strukturen und Ereignisse sind und bleiben und weil in diesen Hinsichten kein Umweltkontakt möglich ist. Die Systeme bleiben insofern auf Autopoiesis, auf laufende Selbsterneuerung ihrer Elemente durch ihre Elemente angewiesen.” Ebd., 46.

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  259. Ebd., 75ff.

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  260. Die entscheidende Frage des Warum stellt Luhmann nicht, denn sie würde ihn zu den Problemen der Naturaneignung und damit zu Marx und zur Reaktion der bürgerlichen Gesellschaft auf Marx zurückführen. Immerhin gibt Luhmann einen interessanten Hinweis: Die französische Revolution hätte zur Ideologisierung der sozialen Debatten geführt, deshalb hätten die Beschreibungen der gesellschaftlichen Verhältnisse “ihr ganzes Drama wiederum nur innerhalb der Gesellschaft” (ebd., 15) gefunden. Am deutlichsten zeige sich das daran, wie Darwin in die Sozialwissenschaften überführt wurde: “Statt den Gedanken aufzunehmen, daß die Umwelt des Gesellschaftssystems selektiv darüber entscheidet, was sich als Gesellschaft entwickeln könne, entstand ein ideologisch eingefärbter Sozialdarwinismus, der den Kampf ums Dasein auf der Ebene der Individuen, der Wirtschaftsunternehmen und der Nationen das Recht des Erfolgs zusprach, sich jedoch nach wenigen Jahren im Sumpf einer neuen Sozialmoral festlief. Bis heute hat sich die Evolutionstheorie in den Sozialwissenschaften von diesem Fiasko nicht ganz erholt.” (Ebd.) Für Luhmann ist die Folge diese gewesen: “Schon die Gründungsgeschichte des Faches hatte in diesem Sinne prädisponiert. Die Natur konnte und mußte den Naturwissenschaften überlassen bleiben.” (Ebd., 12) Wir folgen dieser These nicht, sie zieht eine falsche Trennungslinie. Sowohl Marx wie Spencer waren von Darwin und den Naturwissenschaften stark beeindruckt, nur zogen sie unterschiedliche Konsequenzen. Während Marx Naturaneignung durch Technik zum Problem erhob und hier nicht nur Entfremdung, sondern auch Chance des Umschlags unter anderen institutionellen Bedingungen vermutete, war dies für Spencer ein bereits erledigtes Problem. Die industrielle Gesellschaft und ihre Institutionen waren die evolutionäre Krönung der verschiedenen gesellschaftlichen Formen der Naturaneignung unter unterschiedlichen Umweltbedingungen (die Spencer explizit anspricht, hier irrt Luhmann). Die bürgerliche Soziologie aber folgte ihrem Ideologen Spencer und nicht dem ‘Aufklärer’ Marx, deshalb behandelte sie das Problem der Naturaneignung als erledigt, überließ es den Naturwissenschaften und erklärte es für gesellschaftlich ‘neutral’. Wenn Luhmanns Theorie sozialer Systeme, pragmatisch formuliert als Ökologische Kommunikation, als ein Versuch des Beweises der Unmöglichkeit der Kommunikation mit der Natur verstanden werden soll und muß, dann gibt Luhmann zu erkennen, daß er sehr wohl eine kontinuierende und keine radikal neue Soziologie betreibt.

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  261. “Was kann angesichts solcher Probleme eine Bemühung um eine ‘vernünftige’ Lösung bedeuten, wo vernünftig ohnehin nur noch heißt: konsensfähig oder konsenspflichtig?” Ebd., 143.

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  262. Ebd., 138.

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  263. Öffentlichkeit operationalisiert Luhmann als ‘Rauschen’: es gebe im “Gesellschaftssystem natürlich auch funktional nicht zugeordnete oder mehrdeutig zugeordnete Kommunikation — Kommunikation au trottoir sozusagen oder etwas hochtrabend: lebensweltliche Kommunikation. Die gesellschaftlich folgenreiche Kommunikation bleibt jedoch auf die Möglichkeiten der Funktionssysteme angewiesen.” (Ebd., 75) Was gesellschaftlich folgenreich ist (und für Luhmann auch sein sollte!), erläutert er in den ReflexivenMechanismen und in Legitimation durchVerfahren: die nicht–öffentlichen Verwaltungsabsprachen vor politischen Entscheidungen, z. B. das Wirken einflußreicher Lobbys in ministerialen Beiräten.

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  264. Ebd ., 222.

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  265. Ebd ., 224.

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  266. Luhmann stellt lapidar fest, daß Unterschiede bestehen, aber es “scheint keine allgemeine Regel zu geben” . Ebd.

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  267. Ebd.

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  268. Ebd., 226.

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  269. “Jedem Prinzip gesellschaftlicher Differenzierung widerspricht es, die Ganzheit des Systems innerhalb des Systems nochmals zur Geltung zu bringen. Jeder Versuch dieser Art würde im System nur eine Differenz erzeugen, nämlich die Differenz desjenigen Teiles, der die Ganzheit des Systems im System repräsentiert, zu allen übrigen Teilen. Die Darstellung der Einheit ist Herstellung von Differenz. Schon die Absicht ist also paradox und widerlegt sich selbst.” Ebd., 227.

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  270. Ebd ., 229.

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  271. Ebd.

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  272. Ebd., 234.

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  273. Ebd., 233.

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  274. Ebd.

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  275. Ebd., 75.

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  276. “Da die Gesellschaft jedoch unfähig ist, sich selbst in sich selbst zu repräsentieren, fehlt eine normative Sinngebung, für die man durchgehenden Konsens, wenn nicht gewinnen, so doch voraussetzen könnte.” (Ebd., 237) Da früher (in den ‘alten Theorien’) dem Parlament als stellvertretender Öffentlichkeit diese Funktion zukam, müßte Luhmann, wollte er eine offene ökologische Kommunikation, eigentlich für allgemeine Öffentlichkeit plädieren. Da er aber auf geschlossene Systeme am Beispiel der Verwaltung setzt (Luhmann, 1984, 479 und 606), ist es nur konsequent, auf eine Institution normativer Sinngebung und Konsens zu verzichten.

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  277. Als Konsequenz der ‘Entsubjektivierung’ des Kommunikationsbegriffs führt Luhmann aus: “Realistisch gesehen wird man deshalb die übliche Vorstellung, erst müsse ein ‘Subjekt’ sich bewußt zur Kommunikation entschließen und dann könne es kommunikativ handeln, umkehren müssen. Erst wenn, aus Gründen die nicht einem Bewußtsein zugerechnet werden können, ökologische Kommunikation in Gang kommt und die Autopoiesis gesellschaftlicher Kommunikation mitzubestimmen beginnt, kann erwartet werden, daß Themen dieser Kommunikation mehr und mehr auch Bewußtseinsinhalte werden.” Luhmann (1986), 65. Für Luhmann muß es sich bei dem Vorgang des Aufkommens ökologischer Themen um einen solchen in einer black box handeln; da Bewußtsein nicht kommunikativ ist (Ebd., 65), formieren sich für Luhmann nicht soziale Bewegungen um Themen und formulieren diese (Luhmann: Ihnen fehlt Theorie, ebd., 234), sie entstehen einfach ‘au trottoir’.

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  278. Ebd., 66.

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  279. Ebd., 238. Luhmann bezieht sich auf die Atomenergie: “Bei Angst vor atomaren Katastrophen fallt im übrigen auf, daß sie bewußt (!) kontrainduktiv angesetzt ist, d.h. nicht aus der bisherigen Unfallstatistik Risikoabschätzungen gewinnt, sondern sozusagen frei und haltlos projiziert.” Luhmann übernimmt damit exakt die Argumentation der Atomlobby.

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  280. Luhmann (1986), 240.

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  281. Ebd., 247.

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  282. Luhmann spürt offenbar die dünne Decke seiner Argumentation selbst, denn er polemisiert defensiv gegen Alternativen: “Die Alternativen, die die Angstrhetorik bietet, haben demgegenüber die Eigenart, zwar handlungsnah, aber realitätsfern zu sein. Sie blenden in einer kaum zu verantwortenden Weise gesellschaftliche Interdependenzen und Wirkungsvermittlungen aus.” (Ebd., 248) Damit verläßt er aber den Rahmen seiner eigenen Argumentation, denn abgesehen davon, daß in dem von ihm selbst gewählten Beispiel der Atomenergie das Gegenteil der Fall ist — die Interdependenzen sind zentraler Teil der Kritik und der vorgeschlagenen Alternativen –, beruft sich Luhmann hier auf ein ethisches Prinzip, Verantwortung, aber Ethik hatte er bereits vom Dienst suspendiert: “Die Ethik muß sich daher (weil Moral nicht moralisch ist, d.V.) vornehmen, will sie eine moralische Theorie der Moral sein, die moralische Paradoxie zu entparadoxieren. Das kann sie nur, wenn sie nicht weiß, was sie tut, denn die Entparadoxierung der Paradoxie ist natürlich selbst ein paradoxes Unterfangen ... So verfehlt die Ethik ihrer Funktion gemäß die Aufgabe, vor Moral zu warnen. Das bleibt der ohnehin mit leidvollen Aufgaben überlasteten Soziologie überlassen.” (Ebd., 262f.) Wer verantwortet folglich bei Luhmann Verantwortung? Seine Antwort ist lapidar: “Wer Rationalität (als Voraussetzung der Verantwortung, d.V.) nach wie vor in der Selbstreferenz, der Vernunft lokalisiert — und sei es mit Habermas: in der Selbstreferenz des diskursiv ermittelten Vernünftigen –, wird hier und im folgenden keine Rationalität mehr erkennen können.” (Ebd., 253f.)

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  283. Max Weber, Zwischenbetrachtung, 541.

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  284. Luhmann (1986), 257.

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  285. Ebd., 257f.

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  286. Ebd., 234.

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Berger, R. (1991). Die Verzweigung der Theorie der Institution III: Profession, Technologie und System. In: Politik und Technik. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-99620-6_7

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