Zusammenfassung
Die Frage nach dem soziokulturellen Hintergrund der Entwicklung Ostasiens soll im folgenden in den Kontext wirtschaftlicher und politischer Faktoren gestellt werden. Verdienst und Schwäche der Post-Konfuzianismusthese liegen darin, daß sie — sowohl gegenüber dem ökonomischen Determinismus der Dependenztheorie als auch gegenüber dem einfachen Evolutionismus der Modernisierungstheorie — die Bedeutung kultureller Faktoren in den Vordergrund stellt, dabei aber letztlich ein monokausales Erklärungsmodell durch ein anderes zu ersetzen versucht. Damit steht sie in Konkurrenz zu anderen, nicht weniger monokausalen Ansätzen, anstatt die Komplementarität unterschiedlicher Erklärungen herauszustellen. Die Entwicklung einer ganzen Region oder Gesellschaft kann jedoch nicht auf eine einzige bestimmende Tendenz oder die Dominanz eines Sektors reduziert werden. Berechtigte Schwerpunktsetzung und disziplinäre Arbeitsteilung führen aber immer wieder dazu, daß — je nach theoretischer Perspektive und Quellenlage — ein Wirklichkeitsausschnitts als besonders relevant ausgezeichnet wird.
No claim that social change is ‚determined‘ by economic interests, ideas, personalities of particular individuals, geographical conditions, and so on, is acceptable. All such single-factor theories belong to the kindergarten stage of social science‘s development.
Talcott Parsons (1966: 113)
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Literatur
Vgl. dazu Luhmann (1997: 571): „Solange solche Primat-Theorien aufgestellt werden, wird es diese Kontroversen geben. Methodisch ist dazu zu bemerken, daß sich viele gute Argumente, aber eben nicht die Hypothese eines besonders wichtigen Faktors, aus den Quellen entnehmen lassen.“
‚Modell‘ wird hier nicht im Sinne eines formalen Modells verstanden, sondern als ‚Schnittmuster‘, das von den speziellen und konkreten Bedingungen der Entwicklung in einem Land abstrahiert, um zugleich eine Reduktion des Gegenstandsbereiches und eine Verallgemeinerung des Erklärungsniveaus zu erreichen. Die empirischen Referenzfälle sind hier vor allem: Japan, Taiwan, Korea sowie mit Einschränkungen die Stadtstaaten Hongkong und Singapur. Daß ein derartiger Ansatz mit den bekannten Abstrichen jedweder Modellierung belastet ist (Präteritions- und Abundanzklasse u.ä.), dürfte selbstverständlich sein, im Rahmen einer solchen Arbeit aber auch: unumgänglich.
Vgl. Parsons et aI. (1953: Chap. II-IV) sowie Parsons ( 1966; 1977 ).
Vgl. dazu ausführlicher: Luhmann (1984: 405ff).
Ein analoges Vorgehen mit losem Bezug auf das Funktionenschema findet sich bei van der Loo/van Reijen (1992) in ihrer Systematisierung der Modernisierungsdiskussion.
Damit ist klar, daß eine Verdinglichung des Schemas zu einer Quasi-Ontologie, wie sie bei Parsons etwa in Action Theory and the Human Condition (Parsons 1978) angedeutet ist, hier explizit vermieden werden soll.
Für eine vergleichbare Interpretation der politischen Dimension siehe Weiss/Hobson (1995).
Lun Yü (1985: 116).
Im Falle Taiwans belief sich die Hilfe der USA zwischen 1951 und 1965 auf 1,5 Mrd. US$; in Südkorea waren es 6 Mrd. zwischen 1945 und 1978 — soviel wie für den gesamten afrikanischen Kontinent im gleichen Zeitraum (Bello/Rosenfeld 1990: 434).
Die hohe Bedeutung des amerikanischen Binnenmarkts für die Produkte der Tigerländer betonen Bello/Rosenfeld (1993), Cumings (1993) und Gereffi (1989). Daran hat sich, trotz aller regionalen Integration, bis in die neunziger Jahre wenig geändert (Boyd 1992 ). Die immer wieder aufflammende Debatte über protektionistische Maßnahmen, z.B. in den USA, wird in Asien deshalb als eine ernste Gefahr für die weitere Entwicklung wahrgenommen.
Vgl. Clegg/Redding ( 1990: 8f.), Schmiegelow (1991: 146) und Marceau (1990). Südkorea hatte in dieser Phase einige Strukturprobleme, da die großen Firmenkomplexe — die chaebols — eher im Bereich der Schwerindustrie (Schiffbau, Automobile) tätig und weniger flexibel waren. Für die Anpassung dieser Strukturen spielten Interventionen der Staatsbürokratie eine große Rolle (siehe dazu den nächsten Abschnitt).
Vgl. Cumings (1987) und Gereffi (1993). Ein historisch weiter zurückreichender Vorteil von Taiwan und Südkorea war außerdem, daß die zeitweilige japanische Besatzungsmacht — neben vielen Zerstörungen — auch die Basis einer industriellen Infrastruktur und ein ausgebautes Bildungs-und Gesundheitssystem hinterlassen hatte (Stengel 1995: 441). An die Verzerrungen der Wirtschaftsstruktur, die mit der Inkorporation in das japanische Industriegeflecht verbunden waren, erinnern Bello/Rosenfeld (1990).
Neben der Beschränkung der Kreditvergabe durch erhöhte Zinsen der US-Bundesbank sank auch die Höhe der Direktinvestitionen von Unternehmen der Industrieländer in den Entwicklungsländern beträchtlich: 1982/83 waren sie nur noch halb so hoch wie noch 1978/79 (Arrighi et al. 1993: 57).
Bei den japanischen Investitionen war schon nach der Ölkrise 1973 ein bedeutender Anstieg zu vermerken, der sich mit Beginn der 80er Jahre weiter fortsetzte (Arrighi et al. 1993: 58).
„(I)t was the combination of the competitiveness of the Japanese multilayered subcontracting system as a ‚mode of production‘ and of East Asia as a manufacturing location that more than anything else accounts for the fact that among the many nations that were ‚called‘ to participate in the great race of the 1970s, the few that in the 1980s were actually ‚chosen‘ to rise in the global hierarchy of wealth were mostly East Asian“ (Arrighi et al. 1993: 57).
Die Analogie zu den fliegenden Wildgänsen sieht Akamatsu (1961: 205f.) in der umgekehrten V-Form des Musters und darin, daß diese Wandervögel regelmäßig wiederkehren — ganz wie die industriellen Entwicklungsstufen in den einzelnen Ländern der Region.
China wird mittlerweile durch — lange Zeit verbotene — Wirtschaftskontakte mit Taiwan zunehmend in die regionale Arbeitsteilung einbezogen (vgl. So/Chiu 1995: 251 ff.). Die im Jahr 1997 erfolgte Rückgabe der ehemaligen britischen Kolonie Hongkong wird diese Einbindung Chinas weiter vorantreiben.
Vgl. zum regionalen Wirtschaftsraum Cumings (1987), Ikeda (1996) und Bernard/Ravenhill (1995).
Lun Yü (1985: 89).
Vgl. etwa die Beiträge in der Publikation von Hughes (1988); kritisch zu den dort vertretenen Thesen und Belegen äußert sich Wade (1992).
Damit stehen die staatlichen Eingriffe auch nicht im Widerspruch zu den geschilderten Anpassungsprozessen: „In contrast to others who harbor hegemonical amibitions or advance grandiose world orders, their policies aim not at changing the international structure but rather at adapting to the existing structure in a way that maximizes their native advantages and minimizes their inherent vulnerabilities“ (Chan 1988: 220).
Vgl. etwa die detaillierte Studie von Johnson (1982).
Vgl. für die ‚schlechten‘ Vorbilder in Lateinamerika die Beiträge in Collier (1979) oder für Zaire Evans (1989: 569ff.); Argumente für die Notwendigkeit relativer Autonomie der Zielformulierung aus der Erfahrung der asiatischen NICs finden sich bei Boyd (1992: 24f.) und Bürklin (1993: 106). Das Demokratieproblem, das mit der ‚autokratischen‘ Position verbunden ist, kann hier nicht ausführlich behandelt werden; vgl. dazu etwa Gibson (1990), Heinz (1994) und Weggel (1993: 242ff.).
Vgl. Deyo (1987: 233) und Evans (1989: 575). Eine ähnliche Entwicklung fand in Singapur statt, wo vor allem die Dominanz ausländischer Investoren das Erstarken einer inländischen Unternehmerschicht verhinderte. Langfristig ist die Entstehung einer auch politisch bedeutsamen Mittelschicht aber kaum zu vehindern — Sorensen (1992: 49) spricht von der Tendenz des Entwicklungsstaates „to undermine authoritarianism by its very success“.
Genau an diesem Punkt enstehen Mißverständnisse, die etwa im japanischen MITI eine zentrale Planungs- und Steuerungsinstanz sehen. Die autonome Wahrnehmung strategischer Ziele beinhaltet aber keineswegs, daß diese Ziele dann auch ‚per ordre di Mufti‘ autokratisch umgesetzt werden. Entscheidend ist gerade fir das Beispiel MITI die Netzwerkstruktur öffentlicher und privater Stellen, in die das Ministerium eingebettet ist (vgl. Bowonder/Miyake 1993 ).
Auffallend ist die Häufung der kleineren Familienunternehmen in den rein chinesischen (Hongkong, Taiwan) bzw. hauptsächlich chinesischen (Singapur) Ländern. Hier scheint sich der Befund von Redding/Wong (1986: 294) zu bestätigen, daß die in China traditionellen Familienunternehmen durch ihre interne Führungsstruktur ohne Teamorientierung an Grenzen der Größenausdehnung stoßen und sich im Falle eines Falles eher in mehrere kleine ‚aufspalten‘.
Vgl hierzu etwa Fajnzylber (1990: 344). Für Südkorea stellt Lee Eun-jeung fest: „So bildeten [...] Regierung und Großunternehmen zusammen quasi einen noch größeren Konzern: War es die Regierung, die den Vorsitzenden der ‚Südkorea Inc.‘ stellte, so besetzte die Wirtschaft einige der Direktorenposten“ (1993: 80). Eine Entwicklung in diese Richtung lassen auch die Privatisierungstendenzen in China erkennen (Herrmann-Pillath 1993: 53).
Vgl. hierzu beispielsweise Chen (1989) und Gerefft (1989).
Die genauere Darstellung dieser Prozesse innerhalb der historischen Entwicklung, die auch Unterschiede zwischen den beiden Ländern offenbart, kann hier nicht erfolgen. Für eine detaillierte Zusammenstellung vgl. Cheng (1990).
Vgl. die Definition von P. Evans: „Embedded autonomy depends on the existence of a project shared by a highly developed bureaucratic apparatus with interventive capacity built on historical experience and a relatively organized set of private actors who can provide useful intelligence and a possibility of decentralized implementation“(Evans 1989: 575).
Lun Yü (1985: 104).
Hier ist auf die analoge Vorgehensweise von Margaret Archer (1988) zu verweisen, die im Rahmen eines „morphogenetischen Zirkels“ vor allem eine zeitliche Differenz zwischen kultureller Struktur und soziokultureller Interaktion zieht. Die Differenzierung entspricht weitgehend Parsons‘sozialen Teilsystemen ‚community‘ und ‚social-cultural system‘ (vgl. Munch 1987: 125f.).
Vgl. die Zahlen zu Arbeitsniederlegungen in Hongkong, Südkorea, Singapur und Taiwan bei Deyo (1989: 51–68). Im Beobachtungszeitraum (1950 bis 1986) ist die Zahl der durch Streik ausgefallenen Arbeitstage in allen vier Ländern gesunken. Danach haben sich, z.B. in Südkorea, die Verhältnisse geändert — siehe dazu Holzer (1996).
Vgl. Moore (1987), der mit zahlreichen historischen Belegen (deutsche Arbeiterbewegung, indisches Kastenwesen u.a.) die Bedeutung der Situationsbewertung nachweist.
Vgl. Bürklin (1993) und Deyo (1992: 51); speziell zu Südkorea: Lee Eun-Jeung (1993).
Vgl. allgemein zum ‚danwei‘-Phänomen: Hebel (1990), Li Hanlin (1991; 1993) und Weggel (1994: 57ff.).
Das von Karl Wittfogel (1962) entworfene Bild der „hydraulischen Gesellschaft“, in der sich eine zentrale Despotie durch Organisation der Bewässerungssysteme und anderer Infrastruktur legitimiert, muß hier relativiert werden: Die Rolle der Zentralverwaltung konzentrierte sich zumeist auf das Eintreiben von Steuern.
Vgl. für Beispiele aus Singapur, Südkorea und Taiwan: Deyo (1989: 115ff.).
Die enge emotionale Bindung an Unternehmen wird etwa daran deutlich, daß eine Loslösung von der Arbeit vielen Japanern extrem schwerfällt. Sie sind schlecht in der Lage, „sich abends nach Dienstschluß von der Gruppe zu lösen. ‚Ein Mann, der früh nach Hause kommt, hat eine schlechte Stellung‘, sagt der Volksmund“ (Kempski 1992 ).
Vgl. die umfangreichen Studien von Redding (1988; 1990) sowie Hamilton et al. (1990).
Vgl. zu dieser Unterscheidung Luhmann (1973).
Kritisch zur Umstellung auf Vertrauen in ‚abstrakte Systeme‘ äußert sich Giddens (1991: 136f.), der darin eine zunehmende Abhängigkeit von Experten sieht — die neue Dimensionen von Unsicherheit und Risiko eröffnet.
So zumindest die empirischen Ergebnisse von Menkhoff (1992), der chinesische Unternehmer in Singapur untersuchte. Geschäftsbeziehungen mit engen Verwandten werden von vielen sogar negativ bewertet, da Sanktionen nur schwer durchzusetzen seien und ‚schwarze Schafe‘ deshalb leichtes Spiel hätten (ebd.: 275).
Lun Yü (1985: 130).
Siehe Kapitel 2.1.
Die einzelnen Beziehungen zwischen Subsystemen innerhalb des AGIL-Schemas sind demnach: Im Verhältnis von Anpassung zu Zielerreichung: Mobilisierung der Ressourcen; Anpassung—Integration: Zuteilungsstandards; Anpassung—Kultursystem: Arbeits-und Konsummarkt; Zielerreichung—Integration: Politische Umsetzung; Kultursystem—Zielerreichung: Legitimation; Kultursystem—Integration: Loyalität und Solidarität. Vgl. dazu auch Bühl ( 1970: 350 ).
Im folgenden wird ,asiatische‘ Kultur weitgehend mit ‚chinesischer‘ gleichgesetzt. Das Verhältnis zwischen den einzelnen Regionalkulturen und der chinesischen kann analog zu dem zwischen heutiger ‚europäischer‘ Kultur und ihren griechisch-römischen Ursprüngen interpretiert werden.
Das Prinzip des wu wei hat Parallelen in der neueren wissenschaftlichen Diskussion, z.B. in Ideen der ‚Selbstorganisation‘; prominentes Beispiel einer derartigen Aufnahme ‚östlicher‘ Denkmuster ist Capra (1984). Auch die Frage der ‚Harmonie‘ mit der sozialen und natürlichen Umwelt beschäftigt den postmodernen westlichen Diskurs. Vgl. etwa die „drei Ökologien“ (Psyche, Soziales, Natur) des Poststrukturalisten Félix Guattari (1994).
Vgl. Bond/Hwang (1986: 223) sowie für die japanische Variante des keigo (Respektbezeugung) Fuchs (1995: 49–53). In vielen asiatischen Sprachen ist darüber hinaus die Beziehungsart auch für die Wahl der (richtigen) Worte entscheidend: Im Chinesischen sind die Personalpronomen kontextabhängig, das heißt, es gibt kein immer anwendbares ‚Ich‘, sondern nur ein ‚Ich-als-Gleichgestellter‘ oder ‚Ich-als-etwas-Älterer‘ etc., dessen richtiger Einsatz sich je nach Ansprechpartner verändert.
Um die Situation ‚richtigzustellen‘ und Verhaltensnormen deduzieren zu können, sind viele Asiaten bei Fremden deshalb darauf angewiesen, erst einmal wichtige ‚Daten‘ zu erheben und die Defition der Situation auszuhandeln. In Ländern, in denen der Kontakt mit westlichen Ausländern noch außergewöhnlich ist und deshalb aktiv gesucht wird, entkommt man deshalb selten den ,drei Grundfragen‘: ‚Where are you from?‘, ‚How old are you?‘ und ‚What are you doing?‘
Vertrauen operiert auf der Basis „of personal obligations, the maintenance of reputation and face, and not on any assumption that a society‘s shared faith makes all who share it equally righteous regardless of whether you know them or not“ (Redding 1990: 67). In dieser ausgeprägten Binnenmoral kann ein Hindernis für Modernisierungsbemühungen gesehen werden, da für sie gerade die Überwindung partikularistischer Normen als konstitutiv gesehen wird (vgl. etwa Sprondel 1973: 213). Die unter Punkt (3) ausgeführten Einstellungen zur ‚Entwicklung als nationalem Projekt‘ könnten im Sinne einer derartigen Transzendierung interpretiert werden.
Weitere Gedanken zu dieser Thematik finden sich bei Eberhard (1982).
Vgl. Weggel (1994: 147–149).
Siehe zur kulturellen und wirtschaftlichen Relevanz der ,Lernethik‘ Machetzki (1993: 29; 1994), MacFarquhar (1980: 69f.) und Negt (1988: 128ff.).
Vgl. Tai Kuo-hui (1989: 81) sowie Gransow (1995: 188).
Siehe dazu das Beispiel von Negt (1988: 138f.): Als ein chinesisches Fahrradunternehmen die deutsche ‚Zündapp‘-Fabrik kaufte, bestand es darauf, die gesamte Fabrik von eigenen Arbeitskräften an Ort und Stelle auseinanderzunehmen, um sie in der Stadt Tainjin wieder Stück für Stück zusammenzusetzen. Ebenso mußte VW die Erfahrung machen, daß die chinesischen Partner auf der Lieferung einzelner Teile beharrten, als ein Gemeinschaftsprojekt zur ‚Santana‘-Produktion geplant wurde.
Gegenüber dem ‚klassischen‘ Bild wurden selbstverständlich in jüngerer Zeit verschiedener Re-Interpretationen vorgenommen, die aber genau an der grundsätzlichen Vereinbarkeit beider Sphären ansetzen und dadurch die moralische Begründung wirtschaftlichen Handelns hervorhoben. Siehe zu diesem Punkt in bezug auf China Brook (1995) und für Japan Tai Kuo-hui (1989).
Daß derartige Begründungen nach wie vor eine Rolle spielen, läßt sich am Beispiels Singapurs verdeutlichen: Dort war in den achtziger Jahren in der politischen Führung aufgrund einer beginnenden Rezession Unruhe entstanden. Es wurde erkannt, daß Lohneinschnitte erforderlich seien, um wieder ‚Wettbewerbsniveau‘ zu erreichen. In einer breit angelegten Werbekampagne wurde für ein ‚Sparen auf die Zukunft‘ geworben. Dies führte schließlich zu einer Empfehlung des National Wages Council,das Lohnniveau zu senken, die allgemein befolgt wurde.
Vgl. dazu den Ausspruch des chinesischen Philosophen MenZsu aus dem 4. Jahrhundert v.Chr.: „Wenn Menschen gewaltsam unterworfen werden, so beugen sie sich nicht in ihrem Sinne, sondern nur, weil die Kraft nicht ausreicht. Werden Menschen durch die Macht der Persönlichkeit unterworfen, so freut es sie im Grunde ihres Herzens und sie beugen sich wirklich“ (zit. nach Claessens 1992: 122).
Daß die Stabilität autokratischer Regierungen in China, Singapur und Taiwan sowie (bis vor kurzem) in Südkorea und Japan außerdem einen Grund in historischen Entwicklungen der Sozialstruktur hat, wurde bereits erläutert. Fehlender demokratischer Pluralismus nach westlichem Vorbild kann somit nicht auf traditionelle Werthaltungen allein zurückgeführt werden, wird durch diese allerdings zusätzlich legitimiert — und nicht mehr soll hier behauptet werden.
So etwa — um nur einige Beispiele zu nennen — Bond/Hwang (1986: 251), Dürr/Hanisch (1986: 10), Redding (1990: 44f.) und Staiger (1991).
Die Rationalisierungsleistungen der konfuzianischen Tradition werden oft — in Webers Nachfolge — stark unterbewertet. Roetz (1992) entwickelt eine fundierte Gegenposition, indem er versucht, die chinesische Moralphilosophie in einen Zusammenhang mit den Stufen der ‚Entwicklungslogik des moralischen Bewußtseins‘ von Lawrence Kohlberg zu bringen.
Eine Tatsache, die als Rechtfertigung für die Opposition gegen autoritäre Regime wichtig geworden ist. Der ehemalige südkoreanische Oppositionspolitiker Kim Dae Jung zum Beispiel bezog sich auf die Ansichten des chinesischen Philosophen Menzius. Dieser hatte dem Volk für den Fall von Machtmißbrauch das Recht zuerkannt, „sich zu erheben und seine Regierung im Namen des Himmels zu stürzen“ (Kim 1995: 23). Mittlerweile ist Kim als demokratisch gewählter Präsident Südkoreas selbst an die Macht gekommen.
Hier scheint sich eine Parallele zu den Legitimationsproblemen westlicher Staaten in Zeiten wirtschaftlicher Rezession anzudeuten, wie sie bei Habermas (1973) und Offe (1972) thematisiert wurden.
Siehe das zusammenfassende Urteil von Redding (1990: 239): „Economic progress does not appear to radically alter the original values which shape the rules whereby a person cooperates with others. Organizations may look the same are not the same when you get very close“.
Oft genug wurde dies für Webers Argumentation behauptet, ebenso für die Dependenztheorie (vgl. zum Beispiel Berger 1992: 14).
Zu diesem Punkt vgl. auch Cumings (1987).
Die Evolutionstheorie betont, mit anderen Worten, die eher unwahrscheinliche, Gelegenheiten nutzendende Tendenz zu Strukturänderungen, die, aufs Ganze gesehen, unwahrscheinliche Anlässe durch ihren Einbau in Systeme in Wahrscheinlichkeiten der Erhaltung und des Ausbaus ihrer Möglichkeiten transformieren“ (Luhmann 1997: 573)
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Holzer, B. (1999). Ein Modell der ostasiatischen Entwicklung?. In: Die Fabrikation von Wundern. Forschung Soziologie, vol 48. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-99381-6_4
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