Verhütung und Behandlung mentaler Risikofaktoren vor und nach Herzinfarkt

Zusammenfassung

Das vergangene Jahrzehnt hat in der Stressforschung, soweit sie das HerzKreislauf-System betrifft, einen qualitativen Sprung erbracht. Die wichtigsten Erkenntnisfortschritte lassen sich kurz wie folgt zusammenfassen:

• 1. Es ist gelungen, die spezifische Qualität jener mentalen, aus dem sozio-emotionalen Erleben resultierenden Belastungserfahrungen herauszuarbeiten, die langfristig das Herz-Kreislauf-System schädigen. Nicht Stress im Sinne Selyes, das heißt eine unspezifische Alärmreaktion wirkt pathogen, sondern aktiver Distress, das heißt jene chronifizierten sympatho-adrenergen Aktivierungsprozesse, die sich aus einem wiederkehrenden Ungleichgewicht von Verausgabung und Belohnung, von Anstrengung und Kontrolle in wichtigen sozialen Situationen ergeben.

• 2. Es ist gelungen, verschiedene pathophysiologische Mechanismen aktiver Distress-Zustände zu belegen. Sie betreffen erstens die über fortgesetzte autonome Aktivierung eingeleiteten Dysregulationen von Blutdruck, endogenem Lipidstoffwechsel und Blutplättchen-Aggregationsneigung, zweitens zentralnervöse Einflüsse auf die Entwicklung und Progression arteriosklerotischer Prozesse, drittens schließlich, allerdings nur im vorgeschädigten Myokard, die Veränderung der Schwelle für transiente Ischämien sowie für Arrhythmien.

• 3. Die sozialepidemiologische und verhaltensmedizinische Forschung hat verschiedene Risikosituationen, aber auch individuelle Risikodispositionen identifiziert, die mit erhöhten Distresserfahrungen und, langfristig, mit erhöhter koronarer Erkrankungs-bzw. Wiedererkrankungsgefahr verbunden sind. Die wichtigste Risikosituation betrifft in unserer Gesellschaft den Leistungszusammenhang der Erwerbsarbeit, die wichtigste Risikodisposition die Unfähigkeit zu entspanntem zwischenmenschlichem Verhalten.

• 4. Aus diesen Erkenntnissen lassen sich therapeutische und präventive Maßnahmen ableiten, die heute zumindest in der Sekundärprophylaxe nach Herzinfarkt bereits deutliche Erfolge erbracht haben. Angesichts der gesundheitspolitischen Bedeutung von Herz-Kreislaufrisiken sind jedoch beim nunmehr erzielten Erkenntnisstand darüber hinaus auch primärpräventive Maßnahmen angezeigt.