Zusammenfassung
In diesem Kapitel geht es unter Anwendung der fallrekonstruktiven Forschung (Hildenbrand, 1999) zunächst darum, die zentralen Orientierungsmodelle von Familien im Zusammenhang mit der Vorschulsituation ihrer Kinder zu identifizieren. Die Modelltypen werden unter Berücksichtigung des Konzepts der transitorischen Räume erarbeitet (Kapitel 6). Sie beziehen sich auf die Benutzungsmodalitäten familienergänzender Einrichtungen sowie auf den Schulerfolg der Kinder — gemessen nach der Einschätzung ihrer Lehrpersonen und in Anlehnung an ihren Strategien im Umgang mit Heterogenität (Kapitel 8). Trotz Linearität der Sprache beabsichtige ich, die Zirkularität des Phänomens ‚Gestaltung von Übergängen’ im Zusammenhang mit dem Schulerfolg so gut wie möglich evident zu machen.
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Literatur
Siehe auch die Qualifikationsarbeiten von Bärlocher and Gägauf (1998); Braunschweig, Krebs and Moser (1998); Hartmann Kunkel (1996); Ibrahimi (1998).
Alle Namen und weitere Hinweise, die zu einer Identifizierung der Familie, der Betreuerinnen bei familienergänzenden Einrichtungen sowie der Lehrpersonen in Kindergarten und Schule führen könnten, werden anonymisiert bzw. maskiert. Trotz Veränderungen versuche ich jedoch den Sinngehalt von Eigennamen, Berufen, geografischen Informationen usw. zu erhalten. Ein Beispiel aus Hildenbrand ( 1999, S. 25): „Aus einem Hamburger wird man keinen Münchner, sondern einen Bremer machen, aus einem Maurer keinen Elektriker, sondern einen Gipser, aus einem Franz keinen Kevin, sondern einen Friedrich.“
Der Übersetzer erschließt uns den Zugang zum Feld. Er gilt (nach Agar, 1980, zit. in Hildenbrand, 1999, S. 20) als,official stranger handler“: Herr Mole — anerkannter Flüchtling aus Albanien und ehemaliger Universitätsprofessor in Tirana — lebt einerseits sowohl am Rande seiner ethnischen Gruppe als auch der Aufnahmegesellschaft, verfügt andererseits als interkultureller Begleiter und Vermittler über das Vertrauen der Albaner im Tessin.
Die italienischen Interviewteile aus dem Forschungsfeld Locarno, die für die Mikroanalyse im Forschungsteam verwendet werden, wurden wortgetreu ins Deutsche übertragen. Die französischen Interviews aus Neuchâtel sind hingegen in der Originalversion belassen, da die entsprechende Interpretation in der gleichen Sprache erfolgte. (Vgl. Gay and Hensinger, 1999 )
Grundsätzlich sollten zwischen Erhebungs-und Auswertungsphase keine eindeutige Trennungslinien existieren (Hildenbrand, 1999, S. 17). Fallrekonstruktive Forschung gilt demnach als zirkulärer Prozess: Es sind jeweils nur so viele Daten zu erheben wie benötigt werden, um erste konsistente,Memos’ (Ideen und Konzepte und die Verbindungen zwischen ihnen, vgl. Strauss, 1994, S. 57 f.) zu schreiben. Es werden erst dann weitere Informationen erhoben, wenn diese Daten umfassend analysiert, das heißt,,gesättigt’ sind. Nach der,grounded theory“ von Glaser and Strauss (1998, S. 53 ff.) handelt es sich hier um das Prinzip des,theoretical sampling’: Ausgehend vom erfassten Material muss auf analytischer Basis von Fall zu Fall entschieden werden, welche Daten als Nächstes zu erheben sind, so dass der Forschungsprozess durch die sich entwickelnde Theorie kontrolliert wird.
Dazu Roth (1999): „Auf dem Balkan sind die unterschiedlichsten Familiensysteme vorzufinden. Das wohl bekannteste in dieser Region ist die jugoslawische Zadruga. (...) Die wichtigsten Eckpfeiler dieser Familienform sind, dass die Güter ungeteiltes Eigentum der Männer sind, die Ehen meist exogam geschlossen werden und die Söhne ihr Elternhaus selten verlassen, so dass die Ehefrau durch den Mann in das Haus seiner Eltern geholt wird.
Herr Arslanis Bruder Agim spricht von staatlicher Enteignung: „Tito und die Kommunisten haben uns alles weggenommen!“ (Letzter Teil des ersten Interviews mit Familie Arslani, Zeile 165 ff., in Lanfranchi, 2000)
Nach dein Gesetz der Patrilokalität zieht die Frau in die Familie ihres Mannes und sorgt
dort für den Haushalt (Kaser, 1995, S. 61, S. 266), was besonders im Falle von migrierten Männem zu erheblichen innerfamilialen Konflikten führen kann.
Der Begriff Sozialstruktur wird hier ins Sinne von Bourdieu (1985) als mehrdimensionaler Begriff verstanden, in dem folgende Kapitalsorten die Dimensionen bilden: a) Ökonomisches Kapital; b) Kulturelles Kapital; c) Soziales Kapital. Die besondere Bedeutung der zweiten Dimension (kulturelles Kapital) hinsichtlich des in der vorliegenden Studie behandelten Themas des Schulerfolgs liegt (nach Bourdieu and Passeron, 1971; zit. in Rüesch, 1998, S. 40) darin, dass kulturelles (oder synonym: Bildungs-)Kapital in einer direkten Beziehung zur Selektionsfunktion von Bildungssystemen steht. Konkret geht es um (verinnerlichte) kognitive, soziale und ästhetische Kompetenzen und Dispositionen, die (institutionalisiert) etwa in Form von Bildungsabschlüssen, Zeugnissen, Zertifikaten usw. bestehen. Mit anderen Worten handelt es sich uns die Eigenschaften von,Bildungsnähe’.
Wie Roth ( 1999, S. 121 ff.) in ihrer Fallrekonstruktion einer kosovo-albanischen Familie in einer hessischen Mittelstadt schildert, ist in einem ähnlichen Fall der Vater dazu übergegangen — obwohl er selbst nur sehr zaghafte Akkulturationsschritte realisiert hat —, seine Kinder in den protestantischen Religionsunterricht zu schicken, „damit sie die deutsche Kultur vollständig kennen lernen!“.
Der Fall erinnert an Familie Hoffmann (Hildenbrand, 1987 ): Die Eltern besaßen ein Hotel — „erstes Haus am Platz“ — und bewirtschafteten eine große Kantine, als der Sohn allmählich in eine Psychose hineinrutschte und die Eltern erst Maßnahmen ergriffen, nachdem er am Ort auffällig geworden war. Auf die Aussage des Sohns beim Familieninterview („Sag mal, ich mein, wenn ein, wenn das eigene Kind zwölf Nächte nicht schläft, das muss man doch merken”) lautet die Antwort der Mutter: „Ja das muss man merken Bernhard, aber wer denn?“, und die des Vaters: „Der Koch hat das doch auch nicht bemerkt...”. (S. 155 )
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Lanfranchi, A. (2002). Familien: Wirklichkeitskonstrukte und Handlungen. In: Schulerfolg von Migrationskindern. Reihe Schule und Gesellschaft, vol 28. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97562-1_9
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