Zusammenfassung
Das Erdbeben in den frühen Morgenstunden des 17. August 1999 ließ nicht nur Häuser einstürzen, sondern es erschütterte auch das Staatsverständnis vieler Türken. Zumindest jener Türken, deren Verständnis noch von den Vorstellungen Atatürks geprägt war. Kemal Atatürk hatte die Wurzeln zu einem Staatsverständnis gelegt, das den Staat als Institution über das Individuum und dessen Rechte stellte. Für die in Europa in der Aufklärung und während der Französischen Revolution entwickelten Ideen der völligen Freiheit und Gleichheit als einen natürlichen Rechtszustand des Menschen und einem Staat, der keine Hoheit über die Menschenrechte ausübt, war im kemalistischen Staatsverständnis kein Platz gewesen.
Politisch erweckt die Türkei gegenwärtig eher einen zwiespältigen Eindruck. Sie ist ein säkularer Staat, der seit Kemal Atatürk gewaltige Anstrengungen in Richtung Moderne unternommen hat, mit beachtlichem Erfolg. Eine zentrale Rolle spielte dabei das Militär, das sich als Hüter des Kemalismus und Avangarde versteht, inzwischen aber doch in eine eher reaktionäre Rolle abgedriftet ist. Der Kurden-Konflikt spielt(e) dabei eine unrühmliche Rolle, mit militärischen Aktionen und Menschenrechtsverletzungen im ganzen Land. Auch wenn die Militärs das letzte Wort für sich beanspruchen und gegebenenfalls mit einem Putsch intervenieren kann, ist die moderne Türkei die meiste Zeit von zivilen Parteienregierungen bestimmt worden, die aus freien Wahlen hervorgegangen sind. Das sollte man auch angesichts von Leistungsdefiziten des politischen Systems und von Skandalen nicht übersehen.
Red.
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Literaturhinweise
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© 2002 Leske + Budrich, Opladen
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Franz, E. (2002). Wie demokratisch ist die Türkei?. In: Wehling, HG. (eds) Türkei. Reihe: Der Bürger im Staat, vol 4. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97517-1_4
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-97517-1_4
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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