Zusammenfassung
Was die populäre Metapher der »Automobilmachung« dem Wortsinn nach andeutet, ist — so meine These — eine Ahnung des Formenwandels der Vergesellschaftung, der sich aus einem paradoxen Zusammenspiel aus Frei- und Festsetzung mobilisierter Individuen ergibt, wie es nur in modernen Gesellschaften mit ihrem hohen Grad an sozialer Vernetzung und weitreichender sozialer Differenzierung anzutreffen ist. Aus der Entwicklung der modernen Transportsysteme, besonders aber aus der hier interessierenden Massenmotorisierung resultieren einerseits für immer mehr Menschen kombinatorische Gewinne in bislang ungekanntem Ausmaß: (Auto-)Mobilität bedeutet, daß die Wahrnehmung einer in permanenter Steigerung begriffenen Vielzahl von Handlungsoptionen ermöglicht wird, wenn die Partizipation an und die Integration in eine automobile Lebensweise gelingt. Das Automobil erlaubt den raschen Wechsel des Ortes, das Knüpfen oder Aufrechterhalten sozialer Kontakte über weite räumliche Distanzen, die spontane Wahl des Zieles, und es tut dies zunächst besser als alle bisherigen Transportmittel, weil es neue Formen zeitlicher Autonomie und sozialer Unabhängigkeit für seine Benutzer zur Verfügung stellt. Zugleich aber etabliert sich auf der anderen Seite der Automobilisierung das Netz des Verkehrs: Nicht ausschließlich die Massenhaftigkeit, sondern bereits die konkrete Praxis des Automobilismus verlangt eine weitgehende Homogenisierung und Formalisierung des Alltagshandelns. Jegliche Art der Verkehrsteilnahme erfordert die Ausbildung ausreichender Distanzierungs-, Abstraktions- und Bewältigungskompetenzen und erzwingt verkehrskonformes Verhalten. Berechenbarkeit des Handelns wird zu einer dominierenden Maxime, angeleitet, gesteuert und überwacht von spezialisierten Berufsgruppen wie Unfallforschern, Verkehrspädagogen und -psychologen, Fahrlehrern oder Verkehrsjuristen und Versicherungsexperten. Doch nicht allein Verhalten wird in die unpersönliche Form des Verkehrs gegossen. Einer an Verhaltenssicherheit orientierten sozialen Infrastruktur des Verkehrs entspricht die Gleichförmigkeit des Raumes, der durch Straßen, Parkflächen, automobilkonforme Geschwindigkeitsarchitektur und davon abgetrennte Funktionsreservate wie Spielplätze oder Grünanlagen immer mehr so geordnet ist, daß der Ort der Ankunft von demjenigen der Abfahrt schwerlich zu unterscheiden ist.
Die nahezu vollautomatische, auf Spezialmaschinen seit 1950 aufgenmmene Massenprodik-tion von »Negerküssen« bei Dickmann & Co. in Iserlohn gilt Radkau als charakteristische In-novation der unmittelbaren Nachkriegszeit (Radkau 1989:314).
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Kuhm, K. (1997). Das Auto — Motor unserer Zeit?. In: Moderne und Asphalt. Stadt, Raum und Gesellschaft, vol 9. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97448-8_7
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