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Zusammenfassung

Autorität überall. Wo immer sich Menschen dauerhaft miteinander verbinden und soziale Ordnung stiften, erkennen sie einander nicht nur als verschiedene Gleiche, sondern auch als Ungleiche an. Reziprozität schließt Asymmetrie keineswegs aus. Das Bedürfnis, Ränge und Rangordnungen zu konstruieren, scheint universell. Denn der Rang des anderen markiert zugleich den eigenen Standort und den eigenen Wert. Im sozialen Vergleich wird nicht nur zwischen Mächtigen und Unterworfenen unterschieden, es werden auch Autoritäten ausgezeichnet, die die anderen überragen und ein besonderes Prestige genießen. Wo es Macht gibt, gibt es immer auch Autorität. Aber nicht jedem Machthaber wird gleichzeitig Autorität attestiert. Mancher ruiniert seine Autorität, weil er sich nur noch mit „bloßer Macht“ durchzusetzen vermag; zuweilen verliert er seine Autorität aber auch dadurch, daß er von der Macht, die ihm zur Verfügung steht, keinen entschlossenen Gebrauch macht. Autorität ist anerkannte, geachtete Macht, die zugleich bewundert und gefürchtet wird.

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Anmerkungen

  1. Eine solche Gleichsetzung ist in der Organisationssoziologie, soweit sie sich von der Weberschen Bürokratietheorie herleitet, allerdings sehr verbreitet. S.hon Weber selbst verwendet die Begriffe „Herrschaft“ und „Autorität” oft synonym (vgl. etwa Weber 1972, S. 122) — eine konzeptionelle Verschleifung, die sich in der amerikanischen Weber-Rezeption, wie sie vor allem durch Parsons (1947) vermittelt wurde, dadurch weiter verfestigte, daß „Herrschaft“ dort generell mit „authority” übersetzt wurde. In der Rückübersetzung der amerikanischen Arbeiten wurde dann die Webersche Herrschaftstypologie nicht selten als „Autoritätstypologie“ reimportiert (vgl. z.B. Etzioni 1967, S. 85f.). In einer solchen Begriffsstrategie erscheint Autorität als allgemeines Merkmal hierarchischer Organisationen, sie umschreibt die Legitimitätsgrundlage organisatorischer Herrschaft. Die Besonderheit von Autoritätsbeziehungen, ihre spezifische personale und situative Dynamik, kann auf diese Weise unseres Erachtens gerade nicht eingeholt werden. Zur Problematisierung der Weberschen Begriffsbildung und den daraus resultierenden definitorischen Inkonsistenzen in der Organisationssoziologie vgl. Ziegler 1970, S. 16f.; ähnlich auch Wagner 1978, S. 74f.

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  2. Die Beibehaltung der Asymmetrie ist sogar die unerläßliche Voraussetzung für diesen reziproken Anerkennungsprozeß: Die — faktische oder auch nur vorgestellte — Anerkennung durch die Autorität zählt nur, wenn ihre Überlegenheit außer Frage seht und der soziale Abstand erhalten, die Autorität also weiterhin Autorität bleibt.

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  3. Empirisch ist der Unterschied zwischen konservativen und innovativen Autoritäten mitunter durchaus fließend: Auch Protestautoritäten, die den Bruch mit den etablierten Verhältnissen propagieren, tun dies zumeist im Rückgriff auf „eherne Werte“, die die herrschende Praxis verraten habe.

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  4. Natürlich impliziert der konstitutive Wertbezug der Autorität keineswegs eine ausschließliche Favorisierung „moralischer“ oder gar universalistischer Werte. Nur dort, wo solche Werte hoch im Kurs stehen und das Selbstverständnis der Gruppe prägen, müssen die Autoritäten in diesem engeren Sinne moralisch sein.

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  5. So war im antiken Rom die auctoritas senatus letztlich an die individuelle Autorität der Senatsmitglieder gebunden: „Auctoritas gibt es nur in bezug auf bestimmte Personen. Der Grund für die Autorität liegt darum in ihnen. Er kann verschiedenster Art sein, kann sich auf das Sozialprestige einer Person beziehen, auf ein bestimmtes Fachwissen, auf eine einzelne große Leistung, aber immer steht hinter ihm eine konkrete Person; fehlt sie, ist auctoritas ein leeres Wort.“ (Bleicken 1985, S. 137) Vgl. auch Eschenburg 1965, S. 15.

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  6. Ähnlich argumentiert Simmel (1968, S. 103), wenn er die andere Möglichkeit der Etablierung einer Autorität darin sieht, daß jemand nicht durch persönliche Leistung, sondern durch die feierliche Einsetzung in ein hohes Amt zur Autoritätsgestalt avanciert, wenn also die Würde und das Ansehen eines Amtes auf eine Einzelperson übertragen werden. In diesem Fall resultiert die Objektivität der Autorität direkt aus der „überindividuellen Potenz“ gesellschaftlicher Traditionen und Institutionen.

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  7. Fast alle Autoren betonen den Ursprung der Autoritätsvorstellungen in der familialen Sozialisation. Psychoanalytisch werden sie zumeist in den Prozessen der Über-Ich-Bil-dung im Ausgang der ödipalen Konfliktsituation verortet (vgl. Fromm 1980, S. 145ff.). Auch Popitz (1981, S. 82 f.) argumentiert sozialisationstheoretisch, wenn er seine These, daß der Anerkennung der Autorität ein Basisstreben nach Selbstanerkennung zugrundeliege, durch ein Entwicklungsmodell der Selbstanerkennung des Kindes untermauert. Nach Sennett (1985) sind die elterlichen Autoritäten gewissermaßen die Vorlage für alle anderen Autoritätsbilder, ja er erweitert diesen Gedanken sogar in der Richtung, daß er in den psychischen Prozessen einer gelungenen Elternablösung gleichzeitig ein allgemeines Konzept möglicher Transformationen von Autoritätsbildern erblickt, die es gestatten, sich von Autoritäten in der Weise zu emanzipieren, daß ihre wirklichen Stärken und Erfahrungsvorsprünge anerkannt bleiben, die Abhängigkeit von ihnen aber nach und nach aufgelöst werden kann (vgl. Sennett 1985, S. 196 ).

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  8. Nichts unterstreicht die Machtfülle der Autorität so sehr wie die Möglichkeit der Gnade. Indem sie sich die Option offenhält, von der Bestrafung im Einzelfall abzusehen, erhält ihre Machtausübung ein zusätzliches Moment von Unwägbarkeit, Willkür und Selektion, das die Furcht vor der Autorität, das Gefühl des Ausgeliefertseins, noch verstärkt. Vgl. Canetti 1985, S. 343.

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  9. Vgl. hierzu die begrifflichen Unterscheidungen bei Gouldner 1984, S. 91 ff.

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  10. Wir orientieren uns hier an den Klassifikationen von Ziegler 1970, S. 30 ff. und Zündorf/ Grunt 1980, S. 126 ff.; bei Ziegler (S. 37 ff.) vgl. auch die Auseinandersetzung mit den älteren Autoritätstypologien von Peabody (1964) und Presthus (1962).

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  11. Insofern handelt es sich zweifellos um einen Grenzfall des von uns vorgeschlagenen, an personalen Zuschreibungen festgemachten Autoritätsbegriffs. Im Typus der Amtsautorität erscheint die Autorität zunächst grundsätzlich entpersonalisiert, obwohl es letztlich doch wieder Personen sind, die als Amtsinhaber Amtsautorität gebrauchen.

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  12. Manchmal werden freilich auch Ämter für Personen geschaffen, die man anders nicht loswerden kann. Die Autorität solcher Ämter ist jedoch meist gering.

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  13. In dem untersuchten Metallbetrieb legten die Arbeiter bei der Einschätzung ihrer Vorgesetzten eine klare „Normalproportion“ zwischen der Höhe des Amtes und der Persönlichkeit des Amtsinhabers zugrunde: „Also der Bartscher, der ist einfach nicht geeignet, so als Bereichsleiter, persönlich meine ich. So als Meister, das ginge vielleicht noch so eben, aber als Bereichsleiter, da ist der einfach ne Nummer zu klein, als Mensch meine ich.” Auch die Meister wurden gerade unter dem Aspekt kritisiert, daß sie trotz ihrer Sachautorität persönlich zu feige seien, sich gegenüber dem Bereichsleiter zu behaupten.

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  14. Man denke hier etwa an Lion Feuchtwangers „Die häßliche Herzogin Margarete Maultasch“

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  15. Vgl. hierzu die von Peabody ( 1964, S. 118 ff.) getroffene Unterscheidung zwischen einer „authority of position“ und einer „authority of legitimacy”.

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  16. Wir verwenden die Begriffe „Sachautorität“ und „Fachautorität” im folgenden synonym. Sachlich ist gemeint, was Hartmann (1964) als „funktionale Autorität“ eingeführt hat. Den Begriff der „Funktionsautorität” möchten wir demgegenüber für jene Zuschreibungen reservieren, die sich aus dem Zusammenspiel von Vorgesetztenfunktionen und technisch-organisatorischer Steuerung ergeben.

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  17. Der Differenz der Bewertungskriterien und der mit ihnen verbundenen unterschiedlichen Quellen der Anerkennung entspricht auch die Zweiteilung von „lokal“ und „kosmopolitisch” orientierten Experten. Vgl. Gouldner/Newcomb 1968.

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  18. In der Weberschen Bürokratietheorie wird die Unterscheidung von Fach-und Dienstwissen formal an den externen oder internen Zugangschancen der Wissensbestände festgemacht (vgl. Weber 1972, S. 855). Als Dienstwissen gilt dasjenige Wissen, das dem Beamten qua Zugehörigkeit zur Behörde verfügbar ist und ihm gegenüber Klienten und anderen Externen einen spezifischen Informationsvorsprung verschafft. Insofern weicht unser, sozusagen informell aufgeladener Begriff des Dienstwissens von der traditionellen Bedeutung dieses Begrifft etwas ab.

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  19. Daß der Montagemeister sich offensiv als „Theoretiker“ definiert, ist vor dem Hintergrund seiner beruflichen Entwicklung als aufgestiegener Facharbeiter einigermaßen überraschend. Bricht doch ein solches Selbstverständnis mit einer gerade fir Arbeiter typischen klassenkulturellen Norm, nämlich der Vorstellung, daß das einzige Wissen, das wirklich zähle, jene „praktische Intelligenz” sei, die sich in unmittelbaren Problemlösungen bewähre, wogegen alle „abstrakte Theorie“ letztlich bloßes Bücherwissen sei, das in konkreten Situationen versage (vgl. Willis 1979, S. 91 f.). Der kulturellen Abwertung von,Theorie” entspricht in der Konstruktion der Sachverständigkeit bei Arbeitern und oft auch bei Meistern die starke Betonung von feeling und handwerklich-technischer Cleverness im Umgang mit Maschinen und Material, eine Einstellung, die in der untersuchten Abteilung in geradezu prototypischer Weise vom Meister der Kontrolle artikuliert wurde: „Die Theoretiker (er bezieht sich hier zugleich auf die Ingenieure der Arbeitsvorbereitung und den Montagemeister, mit dem er im Streit liegt) wollen alles immer ganz genau und das ist praktisch unmöglich und der Praktiker weiß das. Es kommt ja darauf an, daß die Maschine funktioniert und läuft und das verstehen die Theoretiker nicht. Die denken in idealen Maßen und das gibt’s gar nicht. Die sehen immer nur die Zeichnung und wir sollen das dann machen, aber das geht eben nicht, was auf dem Papier geht, das geht nicht in der Praxis. (…) Ich sage immer: Ein guter Pfuscher ist besser als ein schlechter Arbeiter. Er muß die Macken ausgleichen können, auch mit Pfuschen. Das ist immer auch so eine Gefühlssache.“ — Durch sein Selbstbild als „Theoretiker” ist der Montagemeister nicht nur gegenüber den Arbeitern, sondern auch unter seinen Meisterkollegen sozial isoliert.

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  20. Der Aspekt der Koordination als Autoritätsgrundlage wurde zuerst von Landwehrmann ( 1965, S. 39ff.) hervorgehoben und taucht seitdem in den organisationssoziologischen Autoritätstypologien regelmäßig auf. Die koordinative Autorität (bei uns: Organisationsautorität) wird dort allerdings zumeist nur als eine Sonderform der Sachautorität bzw. funktionalen Autorität behandelt (vgl. z.B. Bosetzky/Heinrich 1985, S. 135), eine kategoriale Subordinierung, die unseres Erachtens weder dem besonderen Stellenwert des Organisierens im symbolischen Aufbau der Autoritätsprofile noch der phänomenologischen Differenz der Wissens-und Wahrnehmungsformen gerecht wird. Gewiß kann nur derjenige effektiv organisieren, der auch über ein entsprechendes Fachwissen verfügt und von der Sache genügend versteht. Aber die fachliche Kompetenz allein reicht dafür nicht aus. Sachverständigkeit ist nur eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung erfolgreichen Koordinierens.

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  21. Zur Unterscheidung der Koordinationstypen vgl. Kieser/Kubicek 1983, S. 109 f.

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  22. Wir sprechen hier von Organisierungsleistungen innerhalb einer vorgegebenen Struktur der Arbeitsorganisation, also nicht vom Sonderfall eines extern eingesetzten Organisators, dessen Aufgabe es ist, eine neue organisatorische Steuerung einzuführen oder die bestehende zu reformieren. Die Autorität eines solchen Koordinators ist zunächst vor allem die Amtsautorität, die ihm die einsetzende Instanz verliehen hat; er kann freilich je nachdem, wie er die Umorganisation organisiert, im Verlauf seiner Arbeit dann auch Organisationsautorität erwerben. Zur Ambivalenz einer solchen Koordinatorenrolle im Spannungsfeld von internen und externen Machtquellen vgl. Löffler/Sofsky 1987, S. 91 ff.

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  23. Vgl. Weick 1985, S. 11: „Organisieren heißt, fortlaufende unabhängige Handlungen zu vernünftigen Folgen zusammenzufügen, so daß vernünftige Ergebnisse erzielt werden“

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  24. Vgl. Horx 1985, S. 53 ff. In letzter Zeit mehren sich allerdings die Anzeichen dafür, daß es den Gruppen gelingt, das Problem ideologisch zu enttabuisieren und sich auf pragmatische Lösungsmodelle zu verständigen. Vgl. z.B. Hartmann 1987.

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  25. Zur Situationsanalyse der Arbeitsbesprechung vgl. unten S. 85 ff.

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  26. Dies war zum Beispiel in dem untersuchten Metallbetrieb die explizite Begründung zweier hochqualifizierter Facharbeiter für ihre Ablehnung des Angebots, zum Kapo des Montagemeisters aufzusteigen.

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  27. Ausschlaggebend für unsere abweichende Begriffswahl ist vor allem die Bedeutungsaffinität, die den Begriff des Funktionierens mit der Vorstellung einer „Automatik“ von Organisationsabläufen verbindet.

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  28. Vgl. hierzu auch im folgenden von Bornes 1980, S. 78 ff.

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  29. Man könnte freilich die figurative Verkettung der indirekten Macht über den Ingenieur auch auf den Wissenschaftler ausdehnen, der die theoretischen Grundlagen für die Konstruktion der Maschine bereitstellt: „Die Wissenschaft, die die unbelebten Glieder der Maschinerie zwingt, durch ihre Konstruktion zweckgemäß als Automat zu wirken, existiert nicht im Bewußtsein des Arbeiters, sondern wirkt durch die Maschine als fremde Macht auf ihn, als Macht der Maschine selbst.“ (Marx 1953, S. 584)

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  30. Gewiß kann der Ausfall einer Maschine dem Arbeiter durch die Pause, die er dadurch hat, sehr willkommen sein und er kann sich diese Pause durch gezielte Sabotage auch bewußt verschaffen. Bedeutet die Unterbrechung für ihn jedoch Mehrarbeit oder ein schlechteres Akkordergebnis, so wird die Verwünschung der Technik um so härter ausfallen.

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  31. Entsprechend staffelt sich das Charisma innerhalb der Anhängerschaft je nach dem Grad des „Eingeweihtseins“ in die (letztlich unzugänglichen) Geheimnisse des Führers.

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  32. Tocqueville ( 1969, S. 152 ff.) hat in seiner Analyse der französischen Revolution hervorgehoben, daß der Wille und die Bereitschaft zum Umsturz sich gerade in einer Phase zunehmenden Wohlstands ausgebreitet hat. Revolutionen werden seiner Auffassung nach weniger von Verzweifelten als von Halbzufriedenen gemacht, die sich mit den Verzweifelten verbünden. Vielleicht könnte man auch von einer verzweifelten Halbzufriedenheit sprechen, die die neue Ordnung herbeisehnt.

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  33. Das Risiko einer solchen Karrierestrategie liegt freilich darin, daß die neue Autorität bei der Auswahl ihrer Zwischenautoritäten darauf achten muß, daß die neue Ordnung nicht allzusehr von der alten affiziert wird. Um als Autorität glaubwürdig zu sein, muß sie auch personell klare Zäsuren setzen. Es ist daher nicht nur machiavellistisches Kalkül der Beseitigung eines potentiellen Rivalen, wenn die erste Amtshandlung des neuen Königs oftmals darin besteht, den Königsmacher zu entmachten.

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  34. Man denke hier etwa an das Auftreten und die Rolle Helmut Schmidts bei der Flutkatastrophe von 1962.

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  35. Aus ihrer unmittelbaren Arbeitsplatzperspektive ist die Begründung der beiden Frauen durchaus plausibel: Da sie in der Fertigmacherei vorrangig mit Sortier-und Verpackungsarbeiten beschäftigt sind, sind sie von den häufigsten betrieblichen Koordinationsproblemen, die am Übergang von der Repr+o-Montage zum Drucken auftreten, in der Tat nicht oder nur indirekt (z.B. bei Terminverzögerungen) betroffen. Trotzdem offenbart ihre Weigerung, an der Arbeitsbesprechung teilzunehmen, natürlich ein generelles Desinteresse an gesamtbetrieblichen Arbeitsplanungen und/oder die Selbsteinschätzung, zu diesen Problemen ohnehin nichts Relevantes beitragen zu können. Ihrer Selbstbescheidung als Ausführende entspricht die Erwartung klarer und realistischer Vorgaben „von oben“. Dabei kommt es, vor allem wenn kurzfristig dazwischengeschobene Aufträge Überstunden nötig machen, nicht selten zu Streitigkeiten, wenn die Frauen beim Frühstück gegen die vorher ausgehandelte Terminplanung Einspruch erheben und der mühsam erzielte Arbeitskonsens wieder umgeworfen wird. Das nachträgliche Veto zwingt die anderen dazu, die Diskussion noch einmal aufzurollen, eine Situation, der sie nur dann entgehen können, wenn sie die (unterstellten) Interessen der Frauen trotz ihrer Abwesenheit auf der Arbeitsbesprechung restriktiv berücksichtigen. Insofern führt die provokante Haltung der beiden Frauen, ihre Selbstbestimmung gerade als offensiven Verzicht auf Mitbestimmung zu praktizieren, durchaus nicht zu einem Übergehen oder Hintanstellen ihrer Interessen. Im übrigen sind sie durch ihren Boykott der Arbeitsbesprechung keineswegs von der Selbstverwaltung insgesamt ausgeschlossen: Grundsätzliche ökonomische oder personelle Entscheidungen werden stets auf gesonderten Mitgliederversammlungen getroffen, an denen alle Gesellschafter (= Firmenmitglieder) teilnehmen; in der täglichen Arbeitsbesprechung spielen diese Themen kaum eine Rolle.

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  36. Die folgende Interaktionsanalyse beruht auf der teilnehmenden Beobachtung und dem Tonbandmitschnitt von insgesamt 12 Arbeitsbesprechungen; außerdem wurde die Situation in Gesprächen am Arbeitsplatz und in Interviews angesprochen.

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  37. Die offensive Betonung des informellen Charakters der Organisationsbeziehungen ist eine zentrale Legitimationsfigur für das Selbstverständnis als Alternativbetrieb. Dies zeigt sich etwa daran, daß „normale“ Organisationen im Kontrast zu den Verhältnissen im eigenen Betrieb stets in Bildern von starrer Formalisierung, strikten hierarchischen Befehlsketten und abgeschotteten Betriebsbereichen gezeichnet werden. Auch die Schilderung der früheren Zustände in der Druckerei, also vor der Weiterführung des Betriebs in Selbstverwaltung, erfolgt auf dieser Deutungsfolie quasi-militärischer Formalität: „Also früher der Meister, das war bei dem wie eine Befehlsausgabe, da mußten alle strammstehen und machen, so mit Beratschlagen und so, das war da gar nicht drin.” Wenngleich die Richtigkeit der Darstellung sachlich nicht zu überprüfen war, so vermittelt sie doch den Eindruck gewollter Übertreibung. In der abschließenden Gruppendiskussion wurde unser Hinweis, daß derartige informell-kollegiale Umgangsformen auch in „normalen“ Kleinbetrieben dieser Größenordnung gar nicht so selten seien, jedenfalls mit deutlichem Widerwillen aufgenommen. Um die materielle Dauermisere erträglich zu machen, muß zumindest der Nimbus der Informalität hochgehalten werden.

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  38. Vgl. zu diesen hermeneutischen Prozeduren auch Oevermann et al. 1979.

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  39. So charakterisiert ein Drucker das Verhältnis der beiden folgendermaßen: „Also der Jürgen, der versucht schon, das dem Bernd immer irgendwie recht zu machen. Die müssen ja viel zusammenarbeiten bei der Kalkulation mit dem Material, und der Jürgen, der steht eigentlich immer auf der Seite vom Bernd und der ist da manchmal auch nen bischen ängstlich.“

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  40. Zur indiskreten Disziplinarmacht siehe auch unsere empirische Fallstudie über den Rundgang des Bereichsleiters in dem süddeutschen Metallbetrieb. Vgl. Sofsky/Paris 1989.

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  41. Die Anwendung der im folgenden empfohlenen Taktiken setzt freilich voraus, daß derjenige, der sich ihrer bedient, sich innerlich von der Autorität bereits soweit gelöst hat, daß er sie überhaupt diskreditieren kann. Zumindest muß die frühere Anlehnungsbindung in eine antiautoritäre Ablehnungsbindung umgeschlagen sein. Im übrigen wird damit über die psychischen Prozesse der Ablösung von der Autorität nichts ausgesagt. Nach Sennett ( 1985, S. 191 ff.) kann man sich dem Bann der Autorität letztlich nur dadurch entziehen, daß man sich ihr nähert und die imaginierten Stärkebilder nach und nach durch „realistische“ Zuschreibungen ersetzt. Das Drama der Emanzipation besteht darin, eine Sichtweise der Autorität zu erlernen, die es einem ermöglicht, falsche und legitime Anerkennungen zu entwirren und auf diese Weise zur Selbstanerkennung des eigenen Urteilsvermögens zu gelangen.

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  42. Zuweilen verfahren Amtsinhaber stur nach der Devise „Lächerlichkeit tötet — nicht“ (vgl. Bohrer 1988, S. 32). Sie lassen jede Kritik von sich abprallen und sitzen sie einfach aus. Und sind damit über längere Zeit durchaus erfolgreich. Die Voraussetzung für das Funktionieren solcher Dickfelligkeit ist freilich, daß die Autorität von sich selbst und ihrer Bedeutung so sehr überzeugt ist, daß sie von der Ahnung ihrer möglichen Lächerlichkeit nicht einmal gestreift wird. Die Pflege der eigenen Dummheit ist der Preis für die Erhaltung der Macht.

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Sofsky, W., Paris, R. (1991). Autorität. In: Figurationen sozialer Macht. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97217-0_3

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