Zusammenfassung
Der vorliegende Text behandelt nicht in erster Linie die mit der spezifischen Produktionsweise schriftlicher Äußerungen verbundenen Probleme, sondern „fertige“ Texte, und zwar mündliche und schriftliche Erzähltexte. Dementsprechend bezieht sich unser Erkenntnisinteresse stärker auf bestimmte Merkmale von „Produkten“ — nämlich von Erzähltexten — als auf die Art und Weise ihrer Hervorbringung. Dieser Aspekt wird allerdings nicht vernachlässigt: Vor allem im zweiten Abschnitt werden wir insofern darauf eingehen, als wir Überlegungen erörtern, die sich — ohne selbst empirisch fundiert zu sein — aus unseren empirischen Untersuchungen von „Produkten“ ableiten lassen. Am Schluß nehmen wir diese Überlegungen wieder auf und versuchen, sie mit den Resultaten in Verbindung zu bringen, die sich aus den Vergleichen der mündlichen und schriftlichen Erzähltexte ergeben haben, die — im dritten Abschnitt — im Mittelpunkt unserer Untersuchung stehen.
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Literatur
Wegen der möglichen Mißverständlichkeit des Stufenbegriffs sei ausdrücklich betont, daß wir diesen Begriff nicht zur Kennzeichnung in sich geschlossener Entwicklungsabschnitte verwenden. Gemeint sind vielmehr idealtypische “Stadien” oder “Phasen” des allmählichen Erwerbs des Geschichtenschemas.
Wir orientieren uns, was unsere Einschätzung der verschiedenen Textproduktionsmodelle angeht, weitgehend an Günther (1993), der im ersten Kapitel seiner Arbeit einen ebenso informativen wie kritischen Überblick über den Forschungsstand in diesem Bereich bietet. Günther führt die einschlägigsten Modelle der schriftlichen und mündlichen Textproduktion im Vergleich vor. Dabei finden Hayes und Flower, Cooper und Matsuhashi und Bereiter und Scardamalia für die schriftliche Textproduktion Berücksichtigung, für die mündliche Garrett, Herrmann und Levelt.
Vgl. dazu im einzelnen Günther (1993: 17f., 21, 32f., 40f.).
Vgl. Günther (1993: 20) für Hayes und Flower; ebd.: 24 für Cooper und Matsuhashi; ebd.: 28 für Bereiter und Scardamalia; ebd.: 34 für Garrett; ebd.: 37 für Herrmann; ebd.: 44 für Levelt.
So wäre z.B. zu überlegen, ob die Festlegung des Diskursmusters jeweils eine Präferenz für bestimmte Satzrollen (im Sinne von Cooper und Matsuhashi) nahelegt, so daß nicht automatisch alle Satzrollen aktiviert werden müßten. Ein erzählender Text mag sehr gut ohne vergleichende und definierende Satzrollen auskommen, nicht aber ein argumentierender. Vgl. zu Cooper und Matsuhashis Konzept der Satzrollen Günther (1993: 21f.).
Vgl. dazu sowohl den Überblick bei Schnotz (1994: 64f.) als auch bei Mandl, Friedrich und Hron (1988: 136).
Generell sind Untersuchungen selten, die bei einem prozessualen Ansatz auf den Einfluß unterschiedlicher Textsorten abheben - das macht Krings (1992: 83) deutlich.
So z.B. Strohner (1988: 490). In seinem Beitrag werden sowohl die Modelle der Geschichtengrammatiker als auch die der Schema-und Skripttheoretiker so vorgestellt, als funktionierten sie ausschließlich auf der Basis der “zentralen Planungshypothese”.
Eigentlich müßte bereits seit Piagets Ausführungen über Assimilation, Akkommodation und Aquilibration klar sein, daß kognitive Schemata, wenn sie erst einmal stabil und nicht mehr im Erwerb begriffen sind, ein Gleichgewicht der entgegengesetzt laufenden Prozesse erfordern. Zur Wirksamkeit unterschiedlich ausgerichteter Schemaprozesse (wie Selektion. Abstraktion, Interpretation und Integration) siehe auch Alba und Hasher (1983).
Vgl. z.B. Johnson und Mandler (1980: 52f.), die ausdrücklich darauf hinweisen, daß sie ihre Geschichtengrammatik nicht ausschließlich als top down geleitete konzipiert haben. Laut de Beaugrande und Miller (1980) läßt sich das Verstehen und Behalten von Geschichten angemessen nur mit dem Paradigma der einander ergänzenden Top-down-und Bottom-up-Prozesse ausdrücken. Andere Erklärungsansätze vernachlässigen nach ihrer Meinung, daß man nicht allein das Vorhandensein irrelevanter im Vergleich zu relevanter Information, sondern auch korrekter im Vergleich zu inferierter (ursprünglich nicht vorhandener) Information berücksichtigen müsse. Die Top-down-Prozesse sorgen dabei für den bequemen Zugriff auf relevante Information, steuern aber auch im Falle von Mehrdeutigkeiten die Inferenzen bei, während die Bottom-up-Prozesse die Zuverlässigkeit der Wiedergabe gewährleisten, d.h. den Zugang zu Detailinformationen offenhalten, selbst wenn diese nur mäßig wichtig für den Geschichtenplot sind (vgl. de Beaugrande und Miller 1980: 184f.; 198).
Vgl. Günther (1993: 15).
Zu den in Anführungszeichen gesetzten Begriffen vgl. Herrmann und Hoppe-Graff (1989: insbes. 159).
Die mündlichen Texte sind nach dem H1AT-System (Ehlich und Rehbein 1976, 1979) transkribiert worden. Um eine leichtere Lesbarkeit zu garantieren, haben wir an dieser Stelle auf die Partìturschreibweise und einige der aufwendigsten “Hiat-typischen” Kommentarzeichen verzichtet. Darstellung und Erklärung der in den mündlichen Erzähltexten verwendeten Zeichen: Die schriftlichen Erzähltexte sind so übernommen worden, wie sie die Autoren abgeliefert haben. Da die Erwachsenen am PC geschrieben haben, fallen im Endprodukt keine Korrekturen mehr auf. In den handschriftlichen Texten der Kinder sind alle orthographischen Eigenarten selbstverständlich beibehalten worden.
Selbstverständlich lassen sich auch in der sprachlichen Formulierung eine Reihe von Unterschieden nachweisen, die wir hier jedoch ausgeblendet haben.
Als solch eine hilfsweise eingeschobene “Planungspause” aufzufassen ist beispielsweise die einseitige Nutzung der Sequcnzierungsstrategie. Dieses Verfahren hat den grollen Vorteil, kognitiv unaufwendig zu sein, da man sich lediglich an die zeitliche Abfolge zu halten braucht, in der sich die darzustellenden Ereignisse tatsächlich abgespielt haben. D.h., dein Sprecher gelingt es, den Redefluß aufrechtzuerhalten und gleichzeitig zu planen, wie die Erzählung weitergehen könnte. Auf diese Art und Weise ist zwar für eine momentane Entlastung gesorgt, aber die mangelnde globalstrukturelle Einbindung der unter diesen Umständen zustande gekommenen Außerungen kann die Kontrastierungs-und Involvierungsaktivitäten in einem so hohen Maße beeinträchtigen, daß die Erzählung dabei sogar ihre narrative Qualität einzubüßen droht. Besonders in Produktionsbedingungen des alltäglichen “freien” Erzählens, in denen eine mehrepisodische Anlage der Geschichte möglich ist, tritt dieses Phänomen, wie wir an anderer Stelle (vgl. Wolf et al. 1995) gezeigt haben, recht häufig auf.
Garrett spricht von einem “two clause limit” (vgl. Günther 1993: 33) als Komplexitätsobergrenze für die Aktivierung von Informationen im Arbeitgedächtnis.
Variationen bedeuten schemakonforme Veränderungen. Mit dein Schema kann gespielt werden - anders ausgedrückt: Es kann selbst zum Gegenstand der Reflexions-und Planungsprozesse während des Erzählens werden. Das zeigt sich vor allem darin, daß die einzelnen narrativen Strukturkategorien anders gewichtet werden: So ist es beispielsweise durchaus möglich, auf die Kategorie “Auflösung” zu verzichten, wenn die Komplikation bereits als Clou der Geschichte ausgestaltet ist. Ebensogut kann zugunsten einer besonders pfiffigen “Auflösungspassage” die “Komplikationshandlung” auf ein Minimum reduziert werden. (In Geralds schriftlichem Erzähltext hat sich eine solche Vorgehensweise angedeutet. Zumindest verstehen wir den dortigen Hinweis, der Schreiber wolle sich eine genaue Schilderung der unflätigen Schimpfkanonade ersparen, in diesem Sinne.)
Vgl. z.B. Jäger (1992: 26ff.), der vier verschiedene Funktionen von Schrift unterscheidet: die organisatorische Funktion, die kognitive Entlastungsfunktion, die historisch-kritische Funktion und die hermeneutische Funktion.
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Schülein, F., Wolf, D., Boueke, D. (1995). Mündliche und schriftliche Erzähltexte von Kindern und Erwachsenen. In: Baurmann, J., Weingarten, R. (eds) Schreiben. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97050-3_12
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