Zusammenfassung
In diesem Abschnitt werden alle bisher erarbeiteten Teilergebnisse zusammengefügt und um einige weitere, bisher noch nicht angesprochene Aspekte ergänzt, um die eingangs aufgeworfene Kernfrage der Untersuchung beantworten zu können: Ist eine individualistische Modellgesellschaft strukturell in der Lage, die Biosphäre des Planeten Erde integer zu erhalten?1 Wir schließen unmittelbar an die Ergebnisse des Abschnitts 1.3 an, die wegen der inzwischen eingetretenen Distanz von vielen Seiten stichwortartig wiederholt seien:
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In der individualistischen Modellgesellschaft gehen die zeitgenössischen Subjekte egoistisch ihrem Vorteil nach.
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Die einzige Schranke bei diesem Verfolg ist der Respekt vor den Rechten anderer.
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Der primäre Impuls zur Respektierung dieser Schranke ist mit Hume die rationalegoistische Einsicht in die Vorteilhaftigkeit für das eigene Interesse: Ich bin darauf angewiesen, daß auch die anderen meine Rechte achten.
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Die egoistische Motivation zur Achtung der Rechte anderer ist jedoch lückenhaft. Ständig entstehen situationelle Verlockungen zum Regelübertritt, wie Diebstahl im unbeobachteten Moment, Abfallentleerung in den Wald oder anderer Mißbrauch eines Kollektivgutes usw.
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Noch bedrohlicher ist die Verlockung zur Ausnutzung prinzipieller (nicht situationeller) Schwächen anderer Subjekte bzw. — spiegelbildlich ausgedrückt — die Existenz von Subjekten solcher Stärke, daß sie den zumindest partiellen Rückfall in den Hobbesschen Dschungel wegen ihrer Unangreifbarkeit nicht scheuen.
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Zur Freiheit der Subjekte gehört, auch Kollektive oder Koalitionen bilden zu können, in denen sie ihre spontane Entscheidungsautonomie aus freien Stücken sachlich und zeitlich spezifiziert abtreten.
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Eine davon, die „Grand Coalition“ des Staates, erscheint geeignet, Defiziten der Normenfolgsamkeit selbst sehr starker Subjekte durch ein Sanktionssystem begegnen zu können. Das Problem wird jedoch nur verlagert, da der Staat mehr als jedes andere Subjekt Rechte der Individuen verletzen kann.
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Die individualistische Gesellschaft ist schon intragenerationell nur denkbar bei einem (in dieser Studie nicht näher spezifizierten) Minimum an Verteilungsgerechtigkeit, da andernfalls von den unterprivilegierten, an einem menschlichen Leben gehinderten Individuen keine Normenfolgsamkeit erwartet werden kann.
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Voraussetzungen für das Funktionieren einer individualistischen Modellgesellschaft schon ohne Blick auf die Zukunft sind somit Empathie bei der Primärverteilung und der jederzeitige, verläßliche Verzicht der Subjekte, den Verlockungen des Normenübertritts, der Vorteilsnahme auf Kosten wie auch immer definierter Rechte der anderen nachzugeben.
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Literatur
Barry (Op. cit. p. 216) bemerkt zu Hum Es Regeln: “... this amounts to a recommendation of cautious knavery rather than a reason for not being a knave.”
Scrrovsky (1954). Zu diesem schwierigen Problemkomplex gehört im weiteren Sinne auch das von Sen, Gibbard und anderen diskutierte “Liberal Paradox”, vgl. z.B. Riley (1990).
Vgl. Samuelson (1954). Entscheidende Anstöße zur Diskussion bot Baumols vielzitiertes Buch von 1952: “Welfare Economics and the Theory of the State” (1965). Eine relativ frühe analytische Behandlung ist Buchanan (1968), eine systematische neue Darstellung Cornes & Sandler (1986), zur Übersicht vgl. auch Blomel et al. (1986).
Grundlegend: Buchanan (1965), neue Kurzdarstellung in Munduch & Nitschke (1988).
Ober Cornes & Sandler (1986) sowie BLÜMF.. et al. (1986) hinaus vgl. Mcmillan (1979). Zahlreiche wichtige, elementare Artikel, auch zum Prisoner’s Dilemma, kommentiert in Barry & Hardin (1982).
Da diese Ansätze für den vorliegenden Zusammenhang wenig relevant sind, wird auf die Wiedergabe der Quellen verzichtet und auf Blümel et al. (1986). sowie Cornes & y Vgl. z.B. Boulding (1981) und Collard (1978). Schenken und Altruismus werden in der neoklassischen Ökonomie selbstverständlich nicht als normenwidersprechend angesehen, wenn auch als wenig erwartungsgemäß. Einführend: Mckenzie & Tullock (1978, Part 4): Crime and Dishonesty, (pp. 155–218). Als empirische Fallstudie vgl. Votey (1984). Diese Ansätze sind Teil allgemeiner Bestrebungen, ökonomisches Denken auf (scheinbar) “nicht-ökonomischen” Gebieten anzuwenden, wie auch im Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen mit den Pionierarbeiten von Becker (z.B. 1973). Neuere Darstellung in Radnitzky & Bernholz (1987). Der vernichtenden Kritik dieser Ansätze durch Martinez-Alier, der sie als “Parodien der Mikroökonomie” bezeichnet (1987, p. 158) ist m.E. im Grundsatz nicht zuzustimmen, wohl aber läßt die Qualität der Übertragungen zu wünschen übrig und ist der Erklärungsanspruch häufig nicht bescheiden genug - daher die teilweise unbefriedigenden und ethisch anfechtbaren Ergebnisse, vor allem auf dem Gebiet der Familien-Ökonomie.
Zu diesem früher stark vernachlässigten, sich jedoch stürmisch entwickelnden Gebiet vgl. Pommerehne (1987) und, als umfassende Dokumentation zahlreicher Einzelstudien, Mitcheel & Carson (1989).
Vgl. die schon erwähnten Arbeiten Mcmillan (1979), Blümet. et al. (1986) und Cornes & Sandler (1986).
Nur bei Buchanan habe ich explizit gefunden, daß, wer bei fehlender Kontrolle Privatgüter mißachtet, “is… in a position akin to that of the potential free rider with ordinary public goods.” (1975, p. 119).
Der Leiter eines jeden Wirtschaftsgebildes handelt jeweils auf Grund eines Wirtschaftsplanes“ (”Eucken 1947, p. 126). “Das Wirtschaftssystem ‘Zentralgeleiteter Wirtschaft’ ist dadurch gekennzeichnet, daß die Lenkung des gesamten wirtschaftlichen Alltags eines Gemeinwesens auf Grund der Pläne einer Zentralstelle erfolgt. Setzt sich jedoch die gesellschaftliche Wirtschaft aus zwei oder vielen Einzelwirtschaften zusammen, von denen jede Wirtschaftspläne aufgestellt und durchgeführt, so ist das Wirtschaftssystem der Verkehrswirtschaft gegeben.” (Ibid., p. 127). Vgl. ferner die Passagen pp. 140ff.
Genau dies schlägt auf regionaler Ebene ein Ökonom vor, der wohl als dem Kreis des Ordo-Liberalismus nahestehend betrachtet werden darf (Wegehenkel 1981). Wie u.a. die Kritik von Pethig im selben Band zeigt, werden dabei die mikroökonomischen Konsequenzen kaum über Ansätze hinaus analysiert.
Zur Fülle an Fragen, die sich aus dem freiwilligen Verzicht auf individuelle Entscheidungsautonomie ableiten, müssen einige Randbemerkungen genügen: Darf es Teil der bürgerlichen Freiheit sein, sich auch einem Tyrannen zu unterwerfen (Platos Paradox)? Antwort: Wenn er schädlich ist, wird dies von den Mitgliedern der individualistischen Modellgesellschaft voraussetzungsgemäß unterlassen. Soweit er nützlich ist, hat nicht einmal Rawls Bedenken: The passengers of a ship are willing to let the captain steer the course, since they believe that he is more knowlegeable and wishes to arrive safely as much as they do“. (1971, p. 233). Zu bedenken sind allerdings die mögliche Irreversibilität des Vertrages, Täuschungen durch den Tyrannen, die Notwendigkeit von Neuverhandlungen durch hinzukommende Gesellschaftsmitglieder u.a.m. Buchanans Perspektive, daß der konstitutionelle Vertrag in die Sklaverei führen kann (vgl. Abschnitt 1.3.3, Anmerkung 59), ist ein anderes Problem. Die Genese der individualistischen Modellgesellschaft aus einem hypothetischen Urzustand wird in der vorliegenden Studie nicht eingehend behandelt.
Rawls (1971, pp. 60–61). “First: each person is to have an equal right to the most extensive basic liberty compatible with a similar liberty for others. Second: social and economic inequalities are to be arranged so that they are both (a) reasonably expected to be to everyone’s advantage, and (b) attached to positions and offices open to all…. These principles are to be arranged in a serial order with the first principle prior to the second…” KANT hätte hiermit vermutlich geringere Probleme, fordert er doch gegenüber einer rechtmäßig zustande gekommenen Regierung unbedingten Gehorsam (1985 a, p. 148) und sagt (Ibid., p. 136), daß “die bürgerliche Verfassung ein Verhältnis freier Menschen ist, die (unbeschadet ihrer Freiheit im Ganzen ihrer Verbindung mit anderen) doch unter Zwangsgesetzen stehen: weil die Vernunft selbst es so will und zwar die reine, a priori gesetzgebende Vernunft, die auf keinen empirischen Zweck… Rücksicht nimmt…” M.E. höchst interessanterweise tritt er für materielle Freiheit mit pragmatisch-konsequentialistischer Begründung ein: “Wenn man den Bürger hindert, seine Wohlfahrt auf alle ihm selbst beliebige Art, die nur mit der Freiheit anderer zusammen bestehen kann, zu suchen: so hemmt man die Lebhaftigkeit des durchgängigen Betriebes und hiemit wiederum die Kräfte des Ganzen.” (1985, p. 35, vgl. auch Abschnitt 1, Anmerkung 57).
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© 1992 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen
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Hampicke, U. (1992). Die individualistische Modellgesellschaft. In: Ökologische Ökonomie. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97014-5_6
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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