Zusammenfassung
Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Jugend, ihren Einstellungen und Verhaltensweisen, ihren subkulturellen Stilen und ihren Problemlagen erzeugte in Westdeutschland seit 1945 eine unübersehbare Fülle an empirischen Studien, an Deutungen und Prognosen, Beschreibungen und Theorien. Die Bundesrepublik Deutschland (zur DDR vgl. Schäfer 1974) wurde nach 1945 ein Eldorado der empirischen Jugendsoziologie, doch ist die „deutsche Faszination durch das Jugendthema“ (Rosenmayr 1985, S. 274) nicht „ein kaum Jahrzehnt altes deutsches Phänomen“ (Allerbeck/Hoag 1985, S. 11), sondern ein seit der Jahrhundertwende mit Geschichtsphilosophie, Kulturkritik, wissenschaftlichen und pädagogischen Ansprüchen aufgeladenes und kontrovers diskutiertes Thema. Auch scheinen die Jereminaden über „die Jugend“ ein typisch deutsches Phänomen zu sein, die in ihrer Beharrlichkeit alle Jugendkonjunkturen überdauerten.
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Literatur
Die Fülle der Literatur braucht hier nicht angezeigt zu werden. Beispielhaft jedoch ist die Arbeit von Andreas Gestrich (1986), der den sozialgeschichtlichen Wandel des Jugendlebens mikroanalytisch am Beispiel einer ländlichen Arbeitergemeinde Württembergs unter jugendsoziologischen und sozialisationshistorischen Gesichtspunkten diskutiert. Für den Versuch, Sozialisationsgeschichte und Generationstheorie am Beispiel der konfessionellen Jugend der Weimarer Republik zu verknüpfen vgl. Olenhusen (1987).
Zur Debatte um die Einrichtung pädagogischer Ordinariate vgl. z.B. Paulsen (1912a, S. 454ff.), Deuchler ( 1910, S. 561ff.); zu den Gutachten der Pädagogischen Konferenz im Preußischen Ministerium der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten vom 24. und 25. Mai 1917 vgl. „Zeitschrift für pädagogische Psychologie und experimentelle Pädagogik“ (1918, S. 210ff.); zur Diskussion Anfang der zwanziger Jahre Kutzner (1921).
In der u.a. von Paul Natorp und Eduard Spranger unterzeichneten Erklärung wird zwar die Einrichtung selbständiger Lehrstühle für experimentelle Psychologie empfohlen, zugleich jedoch gefordert, „überall, wo die alten philosophischen Professuren durch Vertreter der experimentellen Psychologie besetzt sind, ist für die Schaffung von neuen philosophischen Lehrstühlen zu sorgen“ (zit. n. Holzhey 1986, S. 521). Zur Kritik der Erklärung, die „faktisch auf eine Unterdrückung der Psychologie hinausläuft” vgl. Marbe (1913).
Zur Geschichte der Pädagogischen Psychologie und als Dokument fur die thematischen und personellen Überschneidungen zur Kinder-und Jugendforschung vgl. Ewert (1979); hier finden sich zahlreiche Hinweise auf die Schwierigkeiten, theoretische Identität zu gewinnen. Zum internationalen Entstehungskontext vgl. Depaepe (1987).
Scabarth sieht die Entstehung wissenschaftlicher Jugendkunden vor dem sozialgeschichtlichen Hintergrund der Industrialisierung angesiedelt und moniert die dominante entwicklungspsychologische Orientierung und den herrschenden anthropologischen Nativismus (Scabarth 1970, S. 158ff.). Jugendforschung reserviert er dagegen als Sammelbegriff der mit sozialwissenschaftlichem Methodenrepertoire arbeitenden Studien nach 1945 und verwendet ihn in einem weiten Sinne zur Kennzeichnung eines interdisziplinären Forschungsfeldes mit der Tendenz, Herrschaftswissen zu erzeugen. Mit anthropologischer Diktion dazu kritisch Dienelt ( 1974, S. 10ff.).
Am Rande sei notiert, daß Roth gerade in einer pluralistischen Gesellschaft die Aufgabe der Erziehung für dringlich hält, während zwanzig Jahre später Giesecke (1987) mit der gleichen gesellschaftlichen Diagnose den Verlust eines eigensinnigen pädagogischen Umfeldes beklagt und damit die Unmöglichkeit einer auf die ganze Person gerichtete Erziehung folgert.
Vgl. aber den Aufsatz Theodor Geigers über „Erziehung als Gegenstand der Soziologie“ (Geiger 1930) in der Zeitschrift „Die Erziehung” sowie dokumentarisch Plake (1987).
Die Arbeit von Fend zeigt, in welche Richtung sich eine pädagogisch inspirierte Jugendforschung entwickeln müßte. Auch wenn man seinen Zugang über Generationstheorie und Mentalitätsgeschichte nicht teilt, so fmdet sich hier doch jene Logik pädagogischen Fragens, die Baacke bislang in der Jugendforschung vermißt.
Die Vorbildfunktion, die die bürgerliche Jugendbewegung für einzelne Jugendforscher und ihre Theorien hatte, ist unbestritten. Darüber hinaus war sie selbst Gegenstand von Forschung und Lehre.
Eine Zusammenstellung grundlegender Jugendbegriffe unter somatischen, psychischen, sozialen und pädagogischen Aspekten bietet Süssmuth ( 1970, S. 602ff.).
Für die zeitliche Distanz zwischen Kinder-und Jugendforschung machte William Stem drei Grande verantwortlich: Die „Kulturprobleme“ der Schulentlassenen werden erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts brennend, die Jugendphase sei weniger einfach zu beobachten und die Psyche der Jugendlichen sei verschlossener als die der Kinder (Stem 1925, S. 28). Ähnliche Argumente finden sich bei Walter Hoffmann (1925, S. 74f.) und Erich Stem (1922a, S. 501f.).
Für solche Fragestellungen bietet das ideologiekritische Verfahren Tegethoffs kein Raum. Er nimmt lediglich die Hauptwerke von Spranger, Hall, Ch. Bühler, Erich Stem und Walter Hoffmann wahr und kritisiert sie mit von Roessler (1957) entlehnten Argumenten bzw. unter Bezug auf Bernfeld. Für die Erforschung der proletarischen Jugend stehen Heinrich Kautz, Günther Dehn, Johannes Schult und Otto Felix Kanitz Pate. Keineswegs war das Jugendbild der zwanziger Jahre nur „von dem Erlebnis der sich in den Bünden der Jugendbewegung manifestierenden Problematik des Heranwachsenden undCHRW(133) von den Interpretationen dieser Erscheinungen durch die geisteswissenschaftliche Jugendpsychologie“ (Tegethoff 1976, S. 174) geprägt.
Mit wenigen Ausnahmen entwickelte die Jugendkunde der zwanziger Jahre jedoch keine Ansätze zu einer historischen Jugendforschung, obwohl Forderungen nach einer „Geschichte der jungen Menschen“ sowohl bei Eduard Spranger (1963) als auch bei Hans Schlemmer (1926) zu finden sind. Die Geschichte der für Kinder und Jugendliche geschaffenen Institutionen der Fürsorge und Pflege schrieb jedoch in beispielhafter Weise Max Rehm in einer von Christian J. Klumker und Aloys Fischer unterstützten Dissertation (Rehm 1925 ).
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Dudek, P. (1990). Geschichte der Jugend und Geschichte der Jugendforschung. In: Jugend als Objekt der Wissenschaften. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97007-7_2
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