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„Wir gliedern uns nicht ein“ Rebellion — gegen die HJ und mit ihr

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Book cover „Als der Geist der Gemeinschaft eine Sprache fand“
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Zusammenfassung

Zur Überprüfung der bisherigen Analyse des faschistischen Diskurses als einer Ästhetisierung der Politik bietet sich die Analyse des oppositionellen Diskurses von Jugendlichen an. Soweit es sich bei dem faschistischen Diskurs nicht um eine „Sprachlenkung“ bzw. einen „Parteijargon“ („Braunwelsch“) handelt sondern um eine Durchdringung der Alltagspraxis (der alltäglichen Sprachpraxis), müssen sich die Spuren dieser Diskursformation auch in explizit oppositionellen Diskursen nachweisen lassen. Sicherlich in geringem Umfang bei Widerstandsgruppen mit einer eigenen politischen Tradition (etwa denen der KPD), wohl aber bei oppositionellen Bewegungen innerhalb der Jugend, die nicht einer solchen unabhängigen Tradition subsumiert waren bzw. in ihr nicht artikuliert waren.1

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Literatur

  1. Hier stehen die nötigen Untersuchungen noch weitgehend aus. Zwar läßt sich idealtypisch eine Skala von Organisiertheitsgraden vorgeben; aber aus dieser bzw. aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten politischen Organisation kann nicht abgeleitet werden, was konkret vor Ort geschah. Auf einer solchen Skala bilden die Jugend-Kaderorganisationen der Linken, die Jugendarbeit als Mobilisierung für die Partei bzw. deren jeweils ausgegebene Linie betreiben, den einen Pol — den andern bilden die „autonomen“ bündischen Gruppen, die die antipolitische Haltung von Wandervogel und Freideutschen fortführen. Zwischen diesen beiden Extremen, die alles in allem zusammen gerade 1–2% der Jugendlichen erfaßten, bewegte sich die große Zahl der Jugendorganisationen, die mehr oder weniger nur formal einer größeren Organisation eingegliedert waren und in ihr einen relativ großen Artikulationsspielraum hatten (wie es z. B. für die Jugendorganisation der SPD galt, die relativ offen für „bündische” Elemente war). In der „Kampfzeit” stand die HJ unter ihrem Führer Kurt Gruber (mit der signifikanten Selbstbezeichnung als Bund deutscher Arbeiterjugend) durchaus auf dem parteipolitischen Extrem: Als die Jungen der Arbeit und der Tat (s. den Gruber-Text bei Brandenburg 1968: 254), die eine neue Politik und damit eine Veränderung der Gesellschaft wollten, setzten sie sich von den unpolitischen Bündischen ab, die auf einen Einfluß auf die Politik bewußt verzichteten. S. zu diesem Problemfeld Stachura 1981.

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  2. Der Terminus selbst geht offensichtlich auf die Gestapo zurück, die damit eine Sammelbezeichnung für alle möglichen Formen jugendlicher Verweigerung dem Faschismus gegenüber fand — von gegenkulturellen Gruppen im großstädtischen Bürgertum („Swing“-Jugend) bis zu den proletarischen Banden in Arbeitervierteln. Da der Terminus den wilden Gestus der ansonsten recht heterogenen Gruppen gut aufnimmt, die sich bevorzugt wildromantische Namen gaben (Edelweißpiraten, Kittelbachpiraten usw.), behalte ich ihn bei — trotz des Protestes von Überlebenden (s. Buscher 1981/82 und vor allem 1984). Von heute her gesehen sollte die Gestapo-Bezeichnung kein Stigma sondern eher eine Aufwertung ausmachen.

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  3. Original im Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Gestapo-Akten Sign. 58–3693, Blatt 59a. Abdruck wie auch bei dem im folgenden besprochenen Flugblatt mit freundlicher Genehmigung des Staatsarchivs. Dieses und auch das folgende Flugblatt, die beide von Wuppertaler Gruppen stammen, sind bei Peukert 1980: 72 ff. besprochen.

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  4. Die Pfadfinder gehörten zu den ersten Organisationen, die im Rahmen der Gleichschaltungsmaßnahmen der neuen Reichsjugendführung 1933 aufgelöst wurden, s. die entsprechende Anordnung von Schirachs bei Brandenburg 1969: 283. Nach dem Gesetz über die HJ vom 1.12.1936 gehörten die Pfadfinder explizit zu den Gruppen, die in den Maßnahmen gegen die „bündischen Umtriebe“ genannt wurden.

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  5. Das gleiche Mittel des Stilbruchs charakterisiert ja auch die nationalsozialistischen Texte; s. o. 7., bei der Schirach-Rede Formulierungen wie „alte Tanten“. Hier allerdings nicht nur „jugendbewegt”, wie die von heute her gesehen nur noch als makaber zu empfindende „burschikose“ Goebbelsche Rhetorik in der Endphase des „totalen Krieges” zeigt, s. dazu Beispiele bei Klemperer (1946: 236–7).

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  6. S. dazu Klönne 1957, Peukert 1980; insbes. zu den Jugend-Konzentrationslagern auch Peukert 1981.

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  7. Dabei handelt es sich um eine recht bunte Szene, deren heutige Zeitschriften oft nur durch das Erscheinungsdatum auf der Titelseite von ihren Vorläufern vor 60 Jahren zu unterscheiden sind. Diese ungebrochene Fortschreibung des „bündischen“ Diskurses ist befremdlich genug, um eine Analyse zu verdienen. Die bei den bisherigen Analysen angesprochenen Topoi des jugendbewegten Diskurses, die ihn offen machten für die faschistische Instrumentalisierung, bestimmen auch die heutigen Zeitschriften (der eisbrecher, Stichwort. Bündische Führungsschrift,Die Buschtrommel, Puls. Dokumentationsschrift der Jugendbewegung usw.). Gewissermaßen fotographisch treu, in der gleichen Mischung von Erlebnisaufsatz, Landsknechtsromantik, verquältem Existenzialismus — und oberlehrerhaften Belehrung der Jungen. Am meisten befremdet der ungebrochene elitäre Gestus: Da heißt es bei den Nerothern: „Es bleibt der Kampf gegen die Masse… das aristokratische Prinzip” (der eisbrecher 1/1983: 181); im Stichwort (3/1983): 255–6) ist die Rede von einem „Abgrund… zwischen einer Minderheit, die die Ziele erkannt hat und danach zu leben versucht, und der Mehrheit, die sich psychisch noch immer in der Steinzeit… befindet“ usw. Ich verdanke Rüdiger Griepenburg Hinweise auf diese Schriften.

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  8. So vor allem bei von Hellfeld 1980. Gegen eine solche Funktionalisierung der Wilden Cliquen für jeden beliebigen politischen Standpunkt wendet sich vehement Buscher 1981/82 und 1984. Daß insbesondere die in Köln hingerichteten und jetzt in den Medien herausgestellten Kölner „Edelweißpiraten“ keineswegs homogen waren und eindeutig einzuschätzen, so daß ihre Kriminalisierung nicht nur Resultat der repressiven Taktik der Gestapo war, betonte schon Jovy 1952: 329 ff. — allerdings mit etwas befremdlichen elitär-intellektuellen Argumenten: Ihr „Mangel an intellektuellen Fähigkeiten und geeigneten Führern” zeigt sich für ihn an der fehlenden hinterlassenden Literatur!

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  9. Klönne 1957, jetzt auch 1981; Hinweise auch schon bei Brandenburg 1968: 210 ff. Zur Orientierung über das ganze Problemfeld möchte ich Stachura 1981 empfehlen, der versucht, die Wilden Cliquen in ihrem sozialgeschichtlichen Umfeld zu situieren und so Proportionenverzerrungen zu vermeiden; bei ihm im übrigen auch ausführliche Literaturhinweise.

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  10. Ein genauerer Vergleich mit dem „Liedgut“ der HJ ist aufschlußreich. Zugrunde zulegen sind die „Liederblätter der Hitlerjugend”, die die Reichsjugendführung als laufende Folge herausgab, die dann auch gesammelt als „Jahresbände“ erschienen. Eine Durchsicht des ersten Jahresbandes 1935 („Liederblatt der Hitlerjugend”, hg. vom Kulturamt der Reichsjugendführung, Folge 1–26, Wolffenbüttel u. Berlin: Kallmeyer 1936) zeigt eine charakteristische thematische Verteilung: Von 89 aufgenommenen Liedern variiert nahezu die Hälfte, nämlich 41, den Landsknechttopos: Kampf, Trutz, Draufgängertum in kriegerischen Auseinandersetzungen; und davon endet wiederum über die Hälfte (23 Lieder) mit der Aussicht des eigenen Todes (meist auch in ich-Form besungen: „eine Kugel kam geflogen, die traf mich viel zu gut…“, Die Dragoner von H. Löns, S. 11).

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  11. E. Köbel (der Gründer der dj. 1.11.) hat die „landsknechtliche“ Stilisierung von Maskulinität zur Abwehr der Geschlechtsrollenunsicherheit besonders „markant” mit jener Form pathetischer Opfergesinnung verquickt, die sich auch in diesen Texten ausdrückt, vgl. etwa seine Charakterisierung der „autonomen Jungen“: „Sie sündigen und töten bald leidenschaftlich, bald lassen sie ausgeliebte, traurige Mädchen (sic!, Hervorhebung von U.M.) zurück, bald opfern sie ihr Teuerstes für andere, bald erwürgt ihr Zorn Hindernde, bald scheinen sie am Ende und stehen dann doch immer wieder lächelnd auf zu unerklärlichen neuen Taten” (E. Kölbel, Der gespannte Bogen, Berlin 1931, S. 9 f.; zitiert nach Mogge 1981: 28–30 — dieser Aufsatz ist im übrigen sehr aufschlußreich in Hinblick auf die verbreitete Mystifizierung der Person Kölbels und der dj. 1.11.). Die Nähe von „Eros und Thanatos“ in dieser „expressionistischen Stilübung” reizt zu Interpretationen, die aber den Rahmen dieser Arbeit übersteigen, s. auch Theweleit 1977 für einschlägige Parallelen.

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  12. Aufschlußreich dazu, wenn auch für einen anderen (ländlichen) Kontext ist die Darstellung bei Poppinga u. a. 1977.

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  13. Allerdings reflektiert das auch den elitären Diskurs gerade der bündischen Tradition, zu der die Pfadfinder (aus deren Reihen die analysierten Flugblätter ja stammen) gehören. Dazu ein illustratives Beispiel aus Kind (1977, III: 370–371).

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  14. S. etwa Dohms 1977, der die Dokumente inventarisiert und meist auch Auszüge oder gar den ganzen Text abdruckt.

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  15. So ist z. B. Neumann 1942/44 als Regierungsgutachten erstellt, das die USA zum Kriegseintritt bewegen sollte.

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  16. Wieder abgedruckt bei Ebeling/Hespers 1968; s. dazu Klönne 1981a. Im übrigen kann in gewisser Weise auch die Entwicklung zum konservativen Widerstand („20. Juli 1944“) hierhergerechnet werden, dem viele ehemalige Bündische zuzurechnen sind.

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  17. S. von Hellfeld 1981. Nach Stachura 1981: 136 sind insgesamt von dem faschistischen Regime 131 Todesurteile gegen Jugendliche wegen oppositionellen Verhaltens unterschiedlicher Art vollstreckt worden.

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  18. Zitiert nach Ebeling/Hespers 1968: 37, die es dort mit dem „Rundbrief“ von 1937 abdrucken, der aus dem Exil an die Reste der vor allem (katholischen) bündischen Jugend gerichtet war. Nach den Angaben in Klusen (1980) ist das Lied 1916 zuerst in einer Liedersammlung gedruckt.

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  19. Mit zunehmender Repression gegen autonome Organisationsformen kam es allerdings zu Brüchen in dieser romantischen Traditionslinie. Daraus folgte keineswegs notwendig eine politische Analyse, wohl aber die Suche nach anderen Stilmitteln, vor allem auch um die Differenz zur HJ zu markieren, die sich der gleichen Requisitentradition bediente. Spätere Texte, sowohl der proletarischen „Wilden Cliquen“ wie der bündischen Gruppen sind von einem zunehmenden Griff in die Wild-West-Tradition bestimmt — dem „Undeutschen”; vgl. bei Peukert 1980: 72 ff.; z. B. Wenn der Büffel über die Prairie jagt/und der Cowboy sein Lasso schwingt,/hat ein Mädel noch niemals nein gesagt,/wenn der Johnny sein Liebeslied singt…, auf seiten der „Bündischen“ vgl. etwa den Bericht über eine heimliche Gedenkfeier in der verbotenen „Kluft” für einen der ihren, der sich aus Verzweiflung das Leben genommen hat: Auf Umwegen schleichen wir zu unserem Lagerplatz. Keiner fehlt. Ernste Jungengesichter. Ihr Herz schreit nach Rache für ihren toten Kameraden, für die Not, für ihr unfreies Leben, das ihnen jetzt besonders deutlich wird. Sie wollen kämpfen,doch sie wissen, daß sie allein stehen, verbluten werden. Der gesamte Text aus der Exil-Zeitschrift Kameradschaft 6–7 (1939) ist bei Ebeling/Hespers (1968: 178–9) wieder abgedruckt.

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  20. Nach Ebeling/Hespers (1968: 35–36), Abdruck in der sprachlich fehlerhaften Form wie dort; dort aus dem gleichen „Rundbrief“, in dem auch der vorige Text abgedruckt war, s.o. Anm. 26. Dieser Text wurde nach den dort gemachten Angaben in Speyer (Bischofs-sitz!) von der HJ als Flugblatt nach der Messe verteilt. Die katholischen Autoren sehen in diesem Angriff auf die Kirche ein besonders schlimmes Anzeichen für den moralischen Verfall des Nationalsozialismus.

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  21. Ich gebe den Text nur in Auszügen (s. Klusen 1980, Bd. I: 136–137). Nicht nur der Refrain Halli,Hallo!… ist beiden Texten gemeinsam, auch die Spannung von fröhlichen Jagdszenen und Schlußidylle (wenn „das Tagewerk getan ist“ bzw. in der Kontrafaktur „der Judas… am Galgen… baumelt”).

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  22. Darin liegt allerdings kein katholisches „Privileg“. Allerdings dürften die kulturellen Traditionen evangelischer Gebiete weniger drastische Formen der Auseinandersetzung nahegelegt haben. Ein entsprechendes Flugblatt aus dem J. 1939/40, in Duisburg gegen den dortigen Bekenntnispfarrer Otto Vetter, gerichtet, ist bei Dohms 1977: 568, erwähnt, der daraus einen Auszug zitiert: „Sieh mal an! Ist das ein netter,/lieber, guter Pfarrer Vetter!”. Der relativ umfangreiche Text von 8 Strophen (Hauptarchiv Düsseldorf, Signatur RW 58–16903) dokumentiert allerdings eine beträchtliche Sprachgewandheit, verweist auf Vorlagen à la Wilhelm Busch und insofern auf einen anderen sozialen Kontext — wohl einen akademisch kultivierten Antiklerikalismus.

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Maas, U. (1984). „Wir gliedern uns nicht ein“ Rebellion — gegen die HJ und mit ihr. In: „Als der Geist der Gemeinschaft eine Sprache fand“. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-96994-1_8

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