Zusammenfassung
Als die Väter der nordamerikanischen politischen Ordnung in Philadelphia darangingen, die Verfassung der Vereinigten Staaten auszuarbeiten, war der Begriff der natürlichen Rechte allgemein anerkannt. Die Rechte, die die englische Declaration of Rights aus dem Jahre 1689 allgemein nur empfohlen hatte, waren in einige Verfassungen der Kolonien aufgenommen worden. Teilweise aus Achtung vor solchen örtlichen Bekundungen der verfassungsgebenden Gewalt, die als Volkssouveränität verstanden wurde, aber auch wohl deshalb, weil die Bedeutung dieser Grundrechte noch nicht voll und ganz erkannt worden war, hatte man ursprünglich fast alle Rechte außer den alten Verfahrensrechten (habeas corpus, Petitionsrecht, Geschworenengerichte) aus der Verfassung fortgelassen. Die Überzeugung, eine Verfassung habe das Individuum gegen die Regierung durch eine Bill of Rights zu schützen, war jedoch so weitverbreitet— und war durch die französische Revolution so verfestigt worden — daß eine solche Erklärung der Grundrechte sogleich hinzugefügt werden mußte.
Dieses Kapitel ist eine veränderte und gekürzte Fassung eines Aufsatzes, der 1963 unter dem Titel »Rights, Liberties, Freedoms — A Reappraisal« in der American Political Science Review erschienen ist.
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Literatur
Carl J. Friedrich und Robert G. McCloskey, From the Declaration of Independence to the Constitution: The Roots of American Constitutionalism (1954); Carl J. Friedrich, »Rights, Liberties, Freedoms«, University of Pennsylvania Law Review, XCI (1942), S. 312 ff.
Aus der riesigen Literatur über die Menschenrechte mag folgendes angegeben werden: H. Lauerpacht, International Law and Human Rights (1951); B. Mirkine-Guétzévitch & M. Prélot, »Chrestomathie des Droits de 1’ Homme«, Politique (1960), das eine Anzahl von Essays historischer und vergleichender Natur enthält; Zechariah Chafee, Jr., Three Human Rights in the Constitution (1956); vom gleichen Autor: How Human Rights Got into the Constitution (1952); Chafee hat auch einen Sammelband mit dem Titel Documents on Fundamental Human Rights (3 Schriften, 1951–1952) veröffentlicht; Roscoe Pound, The Development of Constitutional Guarantees of Liberty (1957); 1959 hat die United States Commission on Civil Rights einen Bericht veröffentlicht und eine gekürzte Fassung davon unter dem Titel With Liberty and Justice for All — der sich mit dem Wahlrecht, der Erziehung und dem Wohnungsproblem befaßt, d. h. in unserer Terminologie, mit einem Bürgerrecht und zwei sozialen Freiheiten.
Carl L. Becker, The Declaration of Independence (1951); Ursula M. von Eckhardt, The Pursuit of Happiness (1959). Das ist auch weiterhin die Vorstellung vieler Fachleute, z. B. des amerikanischen Richters Hugo L. Black, der in einem neueren Beitrag zu einem Sammelband mit dem Titel The Great Rights, Hrsg. Edmond Cahn (1963), von Rechten als von Vorschriften spricht, die »die individuelle Freiheit schützen, indem sie die Regierung von einem bestimmten Bereich ausschließen oder ihre Aktivität nur unter genau vorgeschriebenen Bedingungen erlauben« (S. 43). Das war genau die Formel der französischen Declaration von 1789.
John Stuart Mill, On Liberty (1861); und Bd. V von Nomos, der den Titel Liberty trägt und einer Untersuchung von Mills Denken gewidmet ist. Man beachte auch, daß die hier gegebene Definition natürlich nicht erschöpfend sein kann; vgl. mein Buch Der Verfassungsstaat der Neuzeit, 1953, S. 320 ff.
Maurice Cranston, Human Rights (1963); vgl. auch Leonard Krieger, »Stages in the History of Freedom«, Nomos IV (1962), der einen historischen Überblick gibt.
Cranston, a. a. O. S. 66 ff., möchte das nicht zugeben, sondern argumentiert für das Gegenteil. Eine ähnliche Haltung nimmt Isaiah Berlin in seinem Buch Two Concepts of Liberty (1958), S. 44–45 ein. Tatsächlich wurde sie bereits während der französischen Revolution anerkannt, die sie von Rousseau übernommen hatte.
Artikel 22–28.
Das Recht auf Arbeit ist eigentlich nicht neu; es ist ausdrücklich und dringend schon vor der französischen Revolution von Turgot gefordert worden, der in dem Edit sur l’abolition des jurandes (1776) schrieb: »Dieu, en donnant à l’homme des besoins, en lui rendant nécessaire la ressource du travail, a fait du droit de travailler la propriété de tout l’homme, et cette propriété, est la première, la plus sacrée et la plus imprescriptible de toute.« Es erscheint in Robespierres Vorschlag vom 24. April 1793, die Droits de l’homme et du Citoyen umzuformulieren. Die Texte finden sich in »Chrestomathie des Droits de l’Homme«, in Politique: Revue Internationale des Doctrines et des Institutions (1960), Nr. 10–13, S. 179–180 und 248. Die klassische Declaration ist dort auf S. 246–249 abgedruckt. In dieser Sammlung findet sich auch die nächste Declaration von 1793. Vgl. dazu als Gegensatz die interessante Arbeit von Robert M. McCloskey, »Economic Process and the Supreme Court», The Supreme Court Review (1962), S. 34 ff.
In The Great Rights, hrsgg. von Cahn (1963), arbeiten die bekannten Autoren immer noch größtenteils mit diesem Begriff, besonders Bundesrichter Black.
Art. 24 der Universal Declaration.
Vgl. besonders W. Y. Elliot, »The Constitution as the American Social Myth« in The Constitution Reconsidered, hrsgg. von C. Read (1938). Der Autor verwendet jedoch den Ausdruck »Mythos« nicht in dem abwertenden Sinn, in dem er oft gebraucht wird. Vgl. auch Friedrich, Der Verfassungsstaat der Neuzeit, 1953, Kap. IX, »Die Verfassung als politische Macht«. Der Mythos heftet sich hauptsächlich an die Abfassung der Verfassungsordnung; vgl. Friedrich, Man and His Government (1963), Kap. V.
Vgl. Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches… ein Kommentar (14. Auflage; 1933), bes. S. 505 ff. und die dort angegebene Literatur.
Das Redit bezieht sich natürlich auf die Freiheit der Selbstverwirklichung. In der Geschichte der Philosophie gilt diese Freiheit als eine von dreien, die beiden anderen sind die Freiheit der Selbstvervollkommnung und die der Selbstbestimmung; ich möchte die erste Freiheit hier als die beiden anderen einschließend verstanden wissen; denn Selbstbestimmung hat mit Selbstverwirklichung zu tun, wenn man sie vom Standpunkt des handelnden Ich aus betrachtet, und Selbstvervollkommnung ist die besondere Form, die die Selbstverwirklichung in jenen Menschen annimmt, die die Fähigkeit zum überzeugenden Weg auf ein höheres Schicksal hin haben. Vgl. Mortimer J. Adler, The Idea of Freedom (1958), I, 606 ff. über die Tri-chotomie. Sie ist kürzlich von C. W. Cassinelli in einer Arbeit mit dem Titel Freedom, Control and Influence; An Analysis, bes. Kap. I und III, interessant kommentiert worden. Cassinelli behält jedoch die Trichotomie bei und entwickelt die Vorstellung, daß die Selbstverwirklichung die beiden anderen Freiheiten mit enthält, nicht. Das Gegenteil dieser vorherrschenden Meinung findet sich bei Isaiah Berlin, Two Concepts of Liberty (1958), S. 25 ff., der die »Selbstverwirklichung« auf den Freiheitsbegriff der idealistischen Philosophen beschränken möchte als in der Tat eine Form der Lehre von der Selbstvervollkommnung.
Gottfried Dietze, In Defense of Property (1963), argumentiert zugunsten einer Rückkehr zu einem früheren Begriff.
Die Jugoslawische Verfassung, Art. 23 und 25. Vgl. auch den Kommentar von Edvard Kardelj, »On the Principles of the Preliminary Draft of the New Constitution of Socialist Yugoslavia« in The New Yugoslav Law (1962), bes. S. 16–17. Ein Versuch, diese Entwicklung zu rechtfertigen, wird mit dieser Unterscheidung zwischen »privatem« und »persönlichem« Eigentum unternommen.
Vgl. Page Smith, John Adams (1963), I, 79.
Oliver Brown v. The Board of Education of Topeka, 347 US 483 (1954), der die Entscheidung im Fall Plessy v. Ferguson (1896) außer Kraft setzt, der das Prinzip gleicher aber getrennter Ausbildung eingesetzt hatte. Die Lage unter diesem Prinzip ist bewunderswert analysiert und im Zusammenhang behandelt von Gunnar Myrdal (mit Richard Sterner und Arnold Rose), An American Dilemma (1944), Kap. xli. Vgl. auch die Diskussion in The Report of the United States Commission on Civil Rights (1959) und die nützliche Kurzfassung mit dem Titel With Liberty and Justice for All (1959), besonders Teil III, S. 101–137.
Vgl. zu dieser Bewegung und ihrer Literatur meinen Aufsatz »The Political Thought of Neoliberalism« American Political Science Review XLIX (1955), S. 509 ff.; übersetzt in: »Das politische Denken des Neoliberalismus«, in Zur Theorie und Politik der Verfassungsordnung, 1963.
Vgl. Ziff. 9 oben.
Der amerikanische Bundesrichter William O. Douglas in Cahn, Hgg. a.a. O., S. 149.
Eine ausführliche Behandlung darüber siehe in dem in Fu. 1 angeführten Artikel.
Artikel 29.
Kants Formulierung ist vielleicht am besten bekannt, aber sie findet sich auch bei Locke und vielen anderen in ähnlicher Form; vielleicht verdankt Kant diesen Ruhm der ausdrücklichen Imperativform: »Handle so, daß…« Die Metaphysik der Sitten (Immanuel Kants Werke, Hrsg. E. Cassirer, Band VII, 1. Teil, Rechtslehre, Einleitung, S. 17). Vgl. auch die umfassende Übersicht von Mortimer Adler, die in Fu. 13 angegeben ist. Deshalb sind alle Versuche, die Idee der Freiheit bloß als das Fehlen von Beschränkungen, Behinderungen oder Einmischungen zu definieren, immer an einem moralischen Einwand gescheitert: Freiheit darf nicht mit Zügellosigkeit gleichgesetzt werden. Wenn jedoch der Mißbrauch der Freiheit nicht ausgeschlossen wird kann die Freiheit von jedem preisgegeben, nach seinen Vorstellungen über den richtigen Gebrauch pervertiert werden. Dies ist die Schwierigkeit, die Felix E. Oppenheim, Dimensions of Freedom (1961) zu überwinden versucht, wie Cassinelli in dem unter Fu. 13 angegebenen Werk ebenfalls.
Karl Loewenstein, Verfassungslehre (1959), S. 153 ff. hat den Begriff einer semantischen Verfassung entwickelt; analog dazu könnte man von »semantischen« Menschenrechten sprechen. Vgl. Fu. 13.
Man braucht nicht bis zu Spinoza zurückzugehen, der dazu neigte, den Bereich von Recht und Macht als nebeneinander bestehend anzusehen, wie sein wohlbekanntes und oft falsch gedeutetes Wort, daß »die großen Fische die kleinen Fische mit dem vollsten natürlichen Recht fressen«, beweist. (Tractatus Theologico-Politicus [1670], Kap. XVI). Aber es gibt manchen konkreten Beweis für die Wechselbeziehung zwischen Macht und der Durchsetzung von Rechten. So wies in seinem nun berühmten Letter from Birmingham Jail Martin Luther King darauf hin: »Wir haben nicht einen einzigen Fortschritt bei den Bürgerrechten erlangt, ohne entschlossene gesetz-liche und gewaltlose Druckmaßnahmen… Wir wissen aus schmerzlicher Erfahrung, daß die Freiheit niemals freiwillig vom Unterdrücker geschenkt wird; sie muß von den Unterdrückten gefordert werden.« Dieser Brief ist in verschiedenen Zeitschriften erschienen; ich habe die Veröffentlichung im The New Leader, Juli 1963, benutzt. Es besteht eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zwischen diesem Brief und einigen der Argumente in James Baldwins Nobody Knows My Name (1954), bes. Teil I, Abschnitt 3–6.
C. J. Friedrich und 2. K. Brzezinski, Totalitarian Dictatorship and Autocracy (1956, 1965; Deutsch 1957, Die Totalitäre Diktatur), Kap. xx und die dort angegebene Literatur. Es ist behauptet worden, daß die Versammlungsfreiheit in einigen totalitären Staaten, vor allem in Polen, größer würde, aber die Beweise sind mager und nicht überzeugend.
Vgl. C. J. Friedrich, Man and His Government (1963), Kap. xx und xxi für eine ausführliche Darstellung.
Der amerikanische Bundesrichter war unter denen, die das forderten; vgl. seinen Essay in Great Rights, Hrsg. Cahn, a. a. O.
Everson v. Board of Education, 330 US 1, 1947; vgl. auch Alexander Meiklejohn, »The First Amendment Is an Absolute«, The Supreme Court Review (1961), S. 255.
Benjamin Cardozo, The Nature of the Judicial Process (1921) war vielleicht die erste maßgebende Stimme, die die Überbetonung der Gerichtsbarkeit im amerikanischen Recht anzweifelte; seither ist die Literatur über dieses Thema angewachsen. Eine Gesamtdarstellung der in Frage kommenden Streitpunkte enthält Friedrich, Man and His Government (1963), Kap. XXIV und die dort angegebene Literatur.
Letztlich kann nur der gewöhnliche Bürger der Wächter seiner Rechte sein, der Rechte, die allen Menschen gemein sind. Was die Intellektuellen behalten sollten und oft vergessen, ist, daß sie auch gewöhnliche Menschen sind (d. h. Bürger im Gegensatz zu Massenmenschen), wenn sie auf den Marktplatz gehen und an den Angelegenheiten der Gemeinschaft teilnehmen. Vgl. mein Buch The New Belief in the Common Man (1942), in welchem der destruktive Pessimismus von Erich Fromm Escape from Freedom (1941) abgelehnt wird, obgleich ich das Buch zu jener Zeit noch nicht kannte.
So der amerikanische Bundesrichter Black in Great Rights, Hrsg. Cahn, bes. S. 57 ff. Vgl. auch die Angaben unter Fu. 30.
Vgl. mein Staatsräson im Verfassungsstaat (1961), das eine ausführlichere Darstellung aus der Sicht der Geschichte der politischen Theorie enthält.
Thomas Jefferson, Writings (1859), Bad VIII.
Die British Public Order Act stammt vom 16. November; der Text ist in The Law Reports (1937), I, 60–67 enthalten.
Vgl. den unter Fu. 18 angeführten Report der Commission, der eine ausführliche und überzeugende Darlegung des Falles enthält.
Das bedeutet eine ehrliche Wertschätzung der Rolle des Militärs in einer freien Gesellschaft und eine klare Würdigung der Gefahren, die ein unpolitisches Militär mit sich bringt. Nur wenn der Soldat ein klares Verständnis für die Verfassung und ihre theoretischen Erwägungen besitzt, kann angemessene Sicherheit gewährleistet werden. Deutschlands Irrtum muß unter allen Umständen vermieden werden, und man sollte ihn nicht zur Grundlage einer Fragestellung machen, wie Samuel P. Huntington in The Soldier and the State (1957), besonders in Kap. V und VI es getan hat. Vgl. dagegen Frederick Martin Stern, The Citizen Army (1957), der als Motto George Washington zitiert: »Als wir Soldaten wurden, haben wir nicht aufgehört, Bürger zu sein.
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Friedrich, CJ. (1967). Grundrechte, Bürgerrechte, Freiheiten: Der humanistische Kern des Konstitutionalismus. In: Christliche Gerechtigkeit und Verfassungsstaat. Demokratische Existenz heute, vol 14. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-96223-2_5
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