Zusammenfassung
Interkulturelle Erziehung und Bildung in der Schule könnte als interkultureller Unterricht konzeptualisiert werden, wie es in Anlehnung an eine entsprechende Diskussion und Begrifflichkeit in den Niederlanden naheliegen könnte (vgl. dazu Fase/van den Berg 1989, auch das Stichwort interkultureller Unterricht im Glossar in Hohmann/Reich 1989, S. 297). Aber anders als in dem in den Niederlanden inzwischen eingeführten Begriffsgebrauch, in dem damit auch unterrichtsübergreifende Prinzipien und sogar außerschulische Aktivitäten benannt werden können, würde dieser Terminus im Deutschen sehr eng an die Didaktik des Unterrichts in den einzelnen Unterrichtsstunden des jeweiligen Fachunterrichts gebunden sein. Das erklärt sich aus dem Begriffsbegrauch von Unterricht in der deutschen erziehungswissenschaftlichen und pädagogisch praktischen Fachsprache. Da es bei dem, was hier mit Interkultureller Erziehung und Bildung bezeichnet wird, um eine Konzeption geht, die zweckmäßigerweise nicht nur an den Unterricht in diesem engen Sinne gebunden sein sollte, empfiehlt es sich nicht so sehr, von interkulturellen Unterricht zu sprechen, sondern gegebenenfalls von Interkultureller Erziehung und Bildung im Unterricht.
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Literatur
So argumentiert zum Beispiel Hans Göpfert 1985.
Diese Aussage stützt sich auf eigene Beobachtungen von Versuchen einiger Autoren und Schulbuchverlage, in Lehrwerken für den Deutschunterricht Elemente Interkultureller Erziehung im hier erörterten Sinne aufzunehmen. Die Schwierigkeiten mit der Genehmigung in den Bundesländern haben dazu geführt, daß solche Versuche gescheitert sind oder frühzeitig wieder zurückgenommen werden mußten, um den ökonomischen Erfolg der Projekte nicht in für die Verlage unzumutbarer Weise zu gefährden.
Ähnliche Wechsel in der Perspektive führen de Jong (1984) für das Frauenbild in Nordwesteuropa und im Islam und Fohrbeck/Wiesand 1981 für die Sichtweise von Nordwesteuropa auf die unterentwickelten Gesellschaften und umgekehrt vor.
So wies etwa Aysel Özakin einmal während einer Lesung aus ihren Werken in Essen jede Erwartung der Zuhörerinnen zurück, daß sie in ihren Texten irgend etwas über die Lebenswirklichkeit türkischer Frauen aussage. Die beschriebenen Situationen von gewanderten türkischen Frauen seien ihr nur Anlaß, zu allgemeinmenschlichen Fragen und Problemen auf dichterische Weise Stellung zu nehmen.
Vgl. Rawls 1979, S. 105ff.; zur Differenzierung des Begriffs der Chancengleicheit herangezogen bei Engel/Hurrelmann 1987.
Vgl. Rolff 1988, der diese Zielsetzung als utopisch ansieht und nur eine Minderung von Chancenungleichheit für realistisch hält.
Auch wurde bisher nie besonders deutlich über die Konsequenz dieser Zielsetzung diskutiert, daß den Aufstiegsprozessen aus der Unterschicht Abstiegsprozesse in Mittelschicht (und Oberschicht?) korrespondieren müssen, wenn es zu einer in der Dimension gleichen Repräsentanz der Arbeiterkinder bei höheren Bildungsabschlüssen kommen soll. Heid zeigt (1988) auf, daß mit Chancengleichheit nicht mehr soziale Gleichheit erreichbar ist und intendiert wurde, sondern lediglich die gegebene Ungleichheit besser legitimiert werden kann. Tatsächlich ging es ja bei dem Bemühen um Chancengleichheit zunächst nicht um mehr soziale Gleichheit, sondern um das Ausschöpfen von Begabungsreserven im Blick auf die internationale Konkurrenz der Volkswirtschaften und der Gesellschaftsordnungen, d. h. um die Ermöglichung individuellen Aufstiegs; ein kollektiver Aufstieg ganzer Bevölkerungsgruppen war nicht intendiert.
Während Muttersprache eine Konnotation an eine — biologisch oder sozial gedachte — Vererbung der Sprache von der Mutter auf das Kind nahelegt, wird mit dem Terminus Familiensprache der Akzent auf die kommunikative Funktion und Situation gelegt: diese Sprache wird in der Familie gesprochen. Sie kann sich unter den Einflüssen der Lebenssituation und Wanderungsgeschichte verändern, ist also kein unverlierbares Erbe. Die Familiensprache ist auch nicht identisch mit der Verkehrssprache des Herkunftslandes, sondern wird sogar meist davon abweichen, sei es als Regiolekt oder Soziolekt, sei es als Minderheitensprache.
Seit dem Zerfall des Staates Jugoslawien wird der Muttersprachliche Ergänzungsunterricht nicht mehr in dieser Einheitsstaatsprache, sondern in den verschiedenen Sprachen der Herkunftsregionen erteilt.
Besonders folgenreich war eine tiefenpsychologisch orientierte Studie von Bingemer u. a. 1972, deren Einteilung verschiedener Typen von Integration — monistisch, pluralistisch, interaktionistisch — in der Rezeption aus ihrem theoretischen Hintergrund in eine pseudo-soziologische, meist aber normative Funktion transformiert wurde, sowie die Einteilung von Sozialisationsschicksalen nach dem Einreisealter bei Schrader u. a. 1979, welche in Anlehnung an die ältere Migrationssoziologie und einen theoretischen Ansatz von Ciaessens drei typische Identitäten als Folge unterschiedlicher Einreisealter annahmen und voraussagten: Ausländer, Fremder oder Neu-Deutscher.
So fanden Untersuchungen zur familialen Kommunikationsstruktur in türkischen Familien im Blick auf die Berufsorientierung der Jugendlichen keine übermäßig starken Orientierungs- und Identitätskonflikte, sondern im Gegenteil schöpferische und produktive Formen des Umgangs mit den widersprüchlichen Normen der beiden Lebenswelten (Yakut u. a. 1986, Boos-Nünning/Nieke 1982). Andererseits gibt es aber auch eindrucksvolle Belege für dramatische Zuspitzungen von Konflikten zwischen weiblichen Jugendlichen und ihren Eltern, wobei die Lösung in der Flucht von der Familie gesucht wird (Böge 1989).
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© 1995 Leske + Budrich, Opladen
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Nieke, W. (1995). Interkulturelle Erziehung und Bildung in der Schule. In: Interkulturelle Erziehung und Bildung. Reihe Schule und Gesellschaft, vol 4. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95997-3_9
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-95997-3_9
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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