Skip to main content

Diesseits des »Floating Gap«. Das kollektive Gedächtnis und die Konstruktion von Identität im wissenschaftlichen Diskurs

  • Chapter
Generation und Gedächtnis

Zusammenfassung

Jan Assmann hat in seinem Buch über das »kulturelle Gedächtnis«1 auf seine unnachahmlich kenntnisreiche, behutsame und entschiedene Weise jene Begriffe erarbeitet, über die ich im Rahmen dieser Tagung Geschichte und Gedächtnis — Zur Konstruktion kollektiver Identitäten zu sprechen gebeten worden bin. Er hat den Begriff des kollektiven Gedächtnisses bei jenem Soziologen, der ihn seit den 20er Jahren eingeführt hat, Maurice Halb wachs2, rekonstruiert und seinen Erfinder als den Begründer der Schule der »social construction of knowledge« avant la lettre ausgewiesen. Zur Präzisierung hat er dazu eine Unterscheidung eingeführt, nämlich zwischen einem kommunikativen und einem kulturellen Gedächtnis, wobei das erste gleichsam das soziale Kurzzeitgedächtnis ausmacht, insofern es die fluide und vergängliche Verständigung der Mitlebenden über ihre selbsterlebte Vergangenheit darstellt, während das kulturelle Gedächtnis jene Symbolisierungen überliefere und zu künftigen Lektüren bereithalte, in denen sich der sinnhafte Erfahrungsgehalt der Mitlebenden — bzw. dessen Deutung oder Zuschreibung durch Nachlebende — objektiviert hat. Des weiteren gehört Assmanns Interesse im Rahmen einer kulturellen Evolutionstheorie diesen kulturellen Symbolisierungen, welche vor aller historischen Distanzierung zur Vergegenwärtigung des Wir-Gefühls einer Gruppe dienen.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Chapter
USD 29.95
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
eBook
USD 49.99
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
Softcover Book
USD 64.99
Price excludes VAT (USA)
  • Compact, lightweight edition
  • Dispatched in 3 to 5 business days
  • Free shipping worldwide - see info

Tax calculation will be finalised at checkout

Purchases are for personal use only

Institutional subscriptions

Preview

Unable to display preview. Download preview PDF.

Unable to display preview. Download preview PDF.

Literatur

  1. Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992.

    Google Scholar 

  2. Halbwachs, Maurice: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen, Frankfurt a.M. 1985 (franz. 1925). — Ders.: Das kollektive Gedächtnis, Stuttgart 1967 (franz. 1950).

    Google Scholar 

  3. Die zuerst 1946 bis 1956 in USA erschienenen Beiträge sind auf deutsch zugänglich in den Sammlungen: Erikson, Erik H.: Identität und Lebenszyklus, Frankfurt a.M. 1966. — Ders.: Kindheit und Gesellschaft, Stuttgart 1957 (u.ö.).

    Google Scholar 

  4. Diesem (wie mir jetzt erscheint: berechtigten) Unbehagen bin ich nach der Tagung in einer begriffsgeschichtlichen Spurensuche nachgegangen, über deren erste Ergebnisse ich in meiner Jenaer Antrittsvorlesung über Konjunkturen und Konkurrenzen kollektiver Identität berichtet habe, siehe: Prokla 24, 1994, S. 378–99.

    Google Scholar 

  5. Vansina, Jan: Oral Tradition as History, Madison 1985 (franz. 1961), S. 23f.

    Google Scholar 

  6. Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 48ff.

    Google Scholar 

  7. Vgl. verschiedene Beiträge, z.B. den von Helmut Nolte, in: Identität in der Fremde, hrsg. von Mihran Dabag und Kristin Platt, Bochum 1993.

    Google Scholar 

  8. Vgl. z.B. die Studien zu den Konjunkturen des Gedächtnisses bei Pollak, Michael: L’Expérience concentrationnaire. Essai sur le maintien de l’identité sociale, Paris 1990. — Vgl. auch die Gemeindokumente zu seiner Säuberung im Spätstalinismus: Der »gesäuberte« Antifaschismus. Die SED und die roten Kapos von Buchenwald, hrsg. von Lutz Niethammer unter Mitarbeit von Karin Hartewig, Harry Stein und Leonie Wannenmacher, Berlin 1994.

    Google Scholar 

  9. Nachdrücklich betont dies Levi, Primo: Die Untergegangenen und die Geretteten, München/Wien 1990 (ital. 1986).

    Google Scholar 

  10. Nora, Pierre: Les lieux de mémoire, 5 Bde., Paris 1984ff. — Die Einleitung in Bd. 1 ist auch auf deutsch erschienen: ders.: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, Berlin 1990.

    Google Scholar 

  11. Solshenizyn, Alexander: Archipel GULag, 3 Bde., Reinbek 1978.

    Google Scholar 

  12. Besonders charakteristisch erscheint mir, daß auch die nach der Debatte defensiv ausufernden Legitimationsversuche Ernst Noites für sein Plädoyer der Vergleichbarkeit nationalsozialistischer und kommunistischer Massenvernichtung sich praktisch auf keinerlei empirische Forschung zum GULag stützten. Vgl. Nolte, Ernst: Das Vergehen der Vergangenheit, Berlin/Frankfurt a.M. 1987. — Ders.: Der europäische Bürgerkrieg, Berlin 1988. — Auch die Erfüllung seiner Forderung von links bei Armanski, Gerhard: Maschinen des Terrors. Das Lager (KZ und GULAG) in der Moderne, Münster 1993, leidet an dieser Theoretisierung des kaum Erforschten.

    Google Scholar 

  13. Vgl. Metz, Johann Baptist: Für eine anamnetische Kultur, in: Holocaust: Die Grenzen des Verstehens. Eine Debatte über die Besetzung der Geschichte, hrsg. von Hanno Loewy, Reinbek bei Hamburg, 1992, S. 35–41.

    Google Scholar 

  14. Sie wieder ausgegraben zu haben ist das Verdienst von Yates, Frances: Gedächtnis und Erinnerung, Weinheim 1990 (engl. 1966). — Vgl. auch: Gedächtniskunst. Raum-Bild-Schrift. Studien zur Mnemotechnik, hrsg. von Anselm Haverkamp und Renate Lachmann, Frankfurt a.M. 1991.

    Google Scholar 

  15. So im Anschluß an Sigmund Freud, z.B. in: Jenseits des Lustprinzips (1920), etwa Mitscherlich, Alexander: Der Kampf um die Erinnerung. Psychoanalyse für fortgeschrittene Anfänger, München 1974.

    Google Scholar 

  16. So im Anschluß an die Schule des radikalen Konstruktivismus etwa Siegfried J. Schmidt in dem von ihm herausgegebenen Reader: Gedächtnis. Probleme und Perspektiven der interdisziplinären Gedächtnisforschung, Frankfurt a.M. 1991.

    Google Scholar 

  17. Vgl. Lebenserfahrung und kollektives Gedächtnis. Die Praxis der Oral History, hrsg. von Lutz Niethammer unter Mitarbeit von Werner Trapp, Frankfurt a.M. 1980.

    Google Scholar 

  18. Vgl. Lutz Niethammer: Fragen — Antworten — Fragen. Methodische Erfahrungen und Erwägungen zur Oral History, in: »Wir kriegen jetzt andere Zeiten«. Auf der Suche nach der Erfahrung des Volkes in nachfaschistischen Ländern, hrsg. von Lutz Niethammer und Alexander von Plato, Berlin/Bonn 1985, S. 392–445.

    Google Scholar 

  19. Vgl. zusammenfassende Zwischenberichte wie Pöppel, Ernst: Grenzen des Bewußt-seins. Über Wirklichkeit und Welterfahrung, München 1987. — Rah mann, Hin-rich/Rahmann, Mathilde: Das Gedächtnis. Neurobiologische Grundlagen, München 1988. — Memory: Interdisciplinary Approaches, hrsg. von Paul R. Solomon u.a., New York/Berlin/Heidelberg 1988. — Oeser, Erhard/Seitelberger, Franz: Gehirn, Bewußtsein und Erkenntnis, Darmstadt 1988.

    Google Scholar 

  20. Jedenfalls hat sich dem Verfasser dieser Gesamteindruck aus den interdisziplinären Diskussionen der von Sigrid Weigel und ihm geleiteten Studiengruppe Gedächtnis, die von 1990 bis 1993 am Kulturwissenschaftlichen Institut im Wissenschaftszentrum NRW arbeitete, und deren ich hier mit Dankbarkeit »gedenken« möchte, eingeprägt.

    Google Scholar 

  21. Ich fasse im folgenden vor allem Einsichten aus zwei Forschungsprojekten zusammen. Vgl. auch Lebensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet. 1930–1960, hrsg. von Lutz Niethammer und Alexander von Plato, 3 Bde., Berlin/Bonn 1983–85ff. -Niethammer, Lutz/Plato, Alexander von/Wierling, Dorothée: Die volkseigene Erfahrung. Eine Archäologie des Lebens in der Industrieprovinz der DDR, Berlin 1991.

    Google Scholar 

  22. So definiert z.B. Meyers Großes Konversations-Lexikon, Leipzig/Wien °1906, Bd. 9, S. 738: »Identität (neulat.), Einerleiheit, herrscht im weiteren Sinne zwischen Begriffen, wenn sie miteinander vertauscht werden können (Wechselbegriffe), im engeren Sinne, wenn sie ein und derselbe Begriff sind.« — Dasselbe sagt vom »Identitätsnachweis«: »Der I. hatte zuerst eine Bedeutung erlangt für die Rückvergütung entrichteter Zölle bei der Wiederausfuhr eingeführter Waren oder der aus eingeführten Roh- oder Halbfabrikaten hergestellten fertigen Erzeugnisse.«

    Google Scholar 

  23. Grundlegend Levita, David J. de: Der Begriff der Identität, Frankfurt 1971, 1976 (engl. Den Haag 1965). — Krappmann, Lothar: Soziologische Dimensionen der Identität. Strukturelle Bedingungen für die Teilnahme an Interaktionsprozessen, Stuttgart 1975 (zuerst 1969). — Siehe auch Kanonische Kurzfassung bei Dubiel, Helmut: Identität, Ich-Identität, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. von Joachim Ritter und Karlfred Gründer, Bd. 4, Basel/Stuttgart 1976, Sp. 148–151.

    Google Scholar 

  24. Vgl. den köstlichen Begriffs-Krimi von Mackenzie, William J.M.: Political Identity, Manchester 1978. — Gleason, Philip: Identifying Identity. A Semantic History, in: Journal of American History 69, 1983, S. 910–931.

    Google Scholar 

  25. Habermas, Jürgen: Können komplexe Gesellschaften eine vernünftige Identität ausbilden?, in: ders.: Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus, Frankfurt a.M. 1990 (zuerst 1976), S. 92–126.

    Google Scholar 

  26. Vgl. dazu Niethammer: Konjunkturen und Konkurrenzen, S. 384ff.

    Google Scholar 

  27. Vorbereitet durch Beiträge zur Begründung einer konservativen Postmoderne wie Marquard, Odo: Identität: Schwundtelos und Mini-Essenz. Bemerkungen zur Genealogie einer aktuellen Diskussion. — Lübbe, Hermann: Zur Identitätspräsentationsfunktion der Historie, in: Identität, hrsg. von Odo Marquard und Karlheinz Stierle, München 1979, S. 347–369 und 277–292. — Dann, nach der »geistig-morahsehen Wende« Genschers, ideologisch proklamiert durch Sinnstifter wie Stürmer, Michael: Wem gehört die deutsche Geschichte?, in: Deutsche Identität, hrsg. vom Studienzentrum Weikersheim, Mainz-Laubenheim 1983, S. 48–64. — Ders.: Suche nach der verlorenen Erinnerung, in: Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament 36, 1986, Nr. 20/21, 17./24.6.1986.

    Google Scholar 

  28. Vgl. Pörsken, Uwe: Plastikwörter. Die Sprache einer internationalen Diktatur, Stuttgart 1992 (zuerst 1988), zu Identität siehe S. 17.

    Google Scholar 

  29. Levi, Primo: Ist das ein Mensch? Die Atempause, München 1988 (ital. 1958).

    Google Scholar 

Download references

Authors

Editor information

Kristin Platt Mihran Dabag

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 1995 Leske + Budrich, Opladen

About this chapter

Cite this chapter

Niethammer, L. (1995). Diesseits des »Floating Gap«. Das kollektive Gedächtnis und die Konstruktion von Identität im wissenschaftlichen Diskurs. In: Platt, K., Dabag, M. (eds) Generation und Gedächtnis. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95972-0_2

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-95972-0_2

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

  • Print ISBN: 978-3-8100-1233-3

  • Online ISBN: 978-3-322-95972-0

  • eBook Packages: Springer Book Archive

Publish with us

Policies and ethics