Zusammenfassung
„Ungleichheit für Alle“ konnte Heinz Joachim Heydorn (1969) noch einen Artikel überschreiben, in dem er seine Kritik am deutschen Bildungssystem formulierte. Die Lage hat sich verändert. Heute muß bei Ungleichheit gleichzeitig immer auch Gleichheit mitgedacht werden — so unsere These. Wir spitzen die darin enthaltene Dynamik in der Formulierung von der „Ungleichheit der Subjekte und der Gleichheit der Zumutungen“ zu. Es geht uns in diesem Beitrag um Ungleichheitsreproduktion und Ungleich- heitsverteilung durch Erwachsenenbildung im beschleunigten Modernisierungsprozeß.1
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Heydorn hat sich in seinen „bildungstheoretischen Schriften“ (1980) primär mit der Schule, weniger mit Erwachsenenbildung beschäftigt. Mit diesem Versäumnis tut er unserem Thema Gutes, weil es seine Aktualität anschlußfiihig macht: Heute ist die Schule nicht mehr nur wichtig, sondern wichtig und unwichtig zugleich. Sie ist wichtig, um an den Start jenes Rennens zu gehen, bei dem die Plätze unserer Gesellschaft verteilt werden, und sie wird immer unwichtiger bei der Verteilung dieser Plätze. Das gleiche gilt für die Inhalte. Die Grundlagen unseres Wissens und Könnens werden in der Schule gelegt, die wirklich relevanten Inhalte, die Spezialqualifikationen, die Einfluß, Macht und Geld bringen, jedoch später, speziell in der beruflich-betrieblichen Erwachsenenbildung. Die aktuelle Gleichwertigkeitsdiskussion der Bedeutung allgemeiner und beruflicher Bildung für berufliche Karrierewege ist ein beobachtbares Indiz dieser Tendenz. Ungleichheit wird in der Schule nur grundgelegt, verteilt wird sie üüber Erwachsenenbildungsprozesse. Heydorn (1969, 387) analysiert im Zusammenhang seiner Gesamtschulkritik die Funktion dieser Bildungsprozesse: „Der Mensch soll Täter und Verantworter seiner eigenen Taten sein.“
Vgl. den Beitrag von Egger/Pfeuffer/Schultheis in diesem Jahrbuch.
Vgl. zu den krisenartigen Folgen der Entwertung von Bildungstiteln Bourdieus Analyse im „homo academicus“ (Bourdieu 1988, besonders 259ft) und, was die Beschleunigung der Verfallszeiten der Inhalte betrifft, Geißßler/Dietrich 1995.
Vgl. dazu auch Bolder u.a. (1994, 1995) mit sehr detailliertem Datenmaterial. In dieser Sudie wird deutlich, daß die Mehrheit der Bevölkerung nicht unbedingt und immer nach mehr Bildung sucht, sondern (dies steht dort nicht so) nach Möglichkeiten, parken, überholen, billig einkaufen und schnell von dort jeweils wieder weg sein zu können, wo man sich gerade befindet. Auch darf man nicht übersehen, daß ein sicherer Arbeitsplatz wichtiger als die meisten Bildungsveranstaltungen ist und daß die Sicherheit des Arbeitsplatzes nicht nur von besuchten Bildungsmaßnahmen abhängt.
Die Erwachsenenbildungslandschaftist gespalten. Einerseits ist sie marktförmiger geworden, das heißt sie unterliegt zunehmend den Selektionseffekten des Marktmechanismusund schließt jene aus, die nicht marktfähig sind, und sie differenziert innerhalb der Marktfähigkeiten nach der Marktpotenz der Nachfrager. Andererseits ist die berufliche Erwachsenenbildung, die als betriebliche Weiterbildung firmiert, dem Markt dadurch entzogen, daß sie in der Verfiigungsgewalt des Unternehmens belassen wird. Innerbetriebliche Weiterbildungen bedürfen in den meisten Fällen positiver Vorgesetztenentscheidungen, wenn sie realisiert werden sollen, denn das arbeitende Individuum hat keinen Rechtsanspruch und ist auch nicht frei in seiner Entscheidung zugunsten der Weiterbildungsteilnahme. Jene, die die Marktwirtschaft repräsen- tieren, realisieren diese gerade nicht in ihrem internen Machtbereich. Die Funktion der betrieblichen Erwachsenenbildung ist primär die Reproduktion sozialer Ungleichheit und Legitimation dieser Ungleichheit (vgl. dazu Heidenescher 1991). Von Autonomie des Bildungssystems ist in diesem Bereich nichts zu sehen. Bildung winkt — von ferne.
Hradil nimmt hier insbesondere Bezug auf die Studie von Vester u.a. (1993). Diese Studie geht von der „öffnung des sozialen Raumes aus“, was sich u.a. im überproportionalen Zuwachs „neuer Dienstleistungsberufe“ (Bildungs-, Wissenschafts-, Kulturvermittlungs- und künstlerische Berufe, sozialpflegerische, medizinisch-soziale Dienstleistungsberufe, Freie Berufe, technische Intelligenz- und qualifizierte Verwaltungsberufe) ausdrückt (Hradil 1993, 278f). Das füihrt zwar zur Veränderung der Mobilitätswege und der gesamtgesellschaftlich verbreiteten Sozialmilieus, nicht jedoch zu einer grundsätzlichen Veränderung des relativen Gefiiges des Feldes sozialer Ungleichheit.
Îhnliche Tendenzen finden wir im Beratungssektor, wo die Folgen von Beratung zum Gegenstand von Beratung werden. Anzeichen von sogenannter Überkommunikation werden durch kommunikative Angebote zu bearbeiten versucht. Man nennt diese in der Sprache der Systemtheorie „Inklusion“ und meint damit den trivialen Sachverhalt, daß es in der Erwachsenenbildung keine Nicht-Teilnehmer gibt, sondern allerhöchstens Noch-nicht-Teilnehmer.
.. übrigens anläßlich einer Reportage über die Ford-Werke in Detroit. Möglicherweise hat Kisch diese passende Formulierung von Henry Ford selbst. Der nämlich warb fffr sein Modell T mit dem Slogan: „Dieses Auto ist in jeder Farbe erhältlich, solange sie schwarz ist.“ Dies gilt auch für das Modell Erwachsenenbildung.
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Geißler, K.A., Orthey, F.M. (1996). Die Ungleichheit der Subjekte und die Gleichheit der Zumutungen. Erwachsenenbildung als Einheit von Differenzen. In: Bolder, A., et al. Die Wiederentdeckung der Ungleichheit. Jahrbuch Bildung und Arbeit, vol 1996. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95964-5_11
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