Zusammenfassung
Zu den vorgängig dokumentierten Sozialkundestunden existieren keine ausgearbeiteten schriftlichen Unterrichtsplanungsentwürfe, die etwa den Konventionen entsprechen, die für Lehrprobenstunden in der zweiten Phase der Lehrerausbildung (Referendariat) gelten. Dies liegt daran, daß es sich in allen drei Fällen nicht um Musterlektionen oder gar Prüfungsstunden handeln sollte, sondern um „landläufigen Unterricht“ (Wolfgang Hilligen), der so weit wie möglich die Handlungsstrukturen und Routinen des Alltags wiedergibt (vgl. die Hinweise zu den Aufnahmesituationen am Beginn der Wortprotokolle).
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Anmerkungen
Gotthard Breit, Die Kurzvorbereitung im politischen Unterricht, in: Gegenwartskunde 1984, 4, S. 489–494.
Vgl. Randolf Oggel /Gerd-Bodo Reinert, Prinzipien klassischer und komplexer Unterrichtsplanung, in: Gerd-Bodo Reinert (Hg.), Praxishandbuch Unterricht. Grundwissen für Lehrer, Reinbek 1980, S. 213–253, bes. S. 222ff.;
vgl. Walter Gagel, Unterrichtsplanung: Politik/Sozialkunde. Studienbuch politische Didaktik II, Opladen 1986.
Der Versuch, Unterrichtseinheiten zu einem Thema („Müll“) nach drei unterschiedlichen fachdidaktischen Konzeptionen zu planen (vgl. Metzler Handbuch zum politischen Unterricht, Stuttgart 1988) liefert daher auch keine trennscharfen Ergebnisse. Dies wiederlegt das Modell „Programmexekution“ und belegt, daß kein lineares Ablaufmuster zwischen angewandter Konzeption und Unterricht besteht — eine Vorstellung, die dennoch in den Köpfen spukt: Es müßte nur endlich die „richtige“ Didaktik geschrieben werden und alles würde besser. Aber solange diese nicht geschrieben ist, brauche man die anderen gar nicht zur Kenntnis zu nehmen.
Ein empirischer Beleg dazu Tiiman Grammes, Unpolitischer Gesellschaftskundeunterricht? Anregungen zur Verknüpfung von Lebenskunde und Politik, Schwalbach 1991 (Bibliographie Nr. 2).
Die terminologische Analogie zur musikalischen Kompositionstechnik (Phrasierung, Artikulation) wie später zum Schachspiel (Eröffnung, Partie) im Zusammenhang mit Planungsdidaktik ist bewußt gewählt.
Dies sind wichtige Kriterien, die von Fachseminarleitern bei der Analyse von Stunden angelegt werden. Diese Beurteilungskriterien müßten durch empirische Unterrichtsforschung genauer herausgearbeitet und transparent gemacht werden.
Diese Hypothese äußert auch Manfred Wissel in seiner Besprechung der Bürgerbewegungsstunde in diesem Band.
Walter Gagel (Anm. 2), S. 90 und S. 166ff. ; vgl. Wolfgang Klafki, Zum Verhältnis von Didaktik und Methodik, in: Zeitschrift für Pädagogik 1976, S. 77–94 und die sich anschließende Kontroverse (S. 437–452);
Reinhard Unie, Verständnisarbeit in unterrichtlichen Interaktionen, in: Unterrichtswissenschaft 1977, S. 197–206.
Am nächsten kommt diesem Methodenverständnis in der Fachdidaktik immer noch Hermann Giesecke, Methodik der politischen Bildungsarbeit, München 1973, der von Methoden als „Modalitäten der Bearbeitung politischer Themen“ spricht und damit die methodischen Denkprozesse von Lehrern und Schülern zentral einschließt. Dadurch kommt der inhaltskon-stitutive Charakter von methodischer Planungstätigkeit des Lehrers angemessen zur Geltung. Vgl. Peter Menck, Unterrichtsinhalt oder Ein Versuch über die Konstruktion der Wirklichkeit im Unterricht, Frankfurt/Main u.a. 1986 sowie Bijan Adl-Amini / Theodor Schulze /Ewald Terhart (Hg.), Unterrichtsmethode: Theorie und Forschung, Weinheim /Basel 1992.
Die Kontroverse, ob Lehren eine (lehrbare) Technik oder eine (auf Begabung und Intuition beruhende) Kunst sei, hat eine lange Tradition.
Vgl. Erving Goffman, Rahmenanalyse. Ein Versuch über die Organisation von Alltagserfahrungen, Frankfurt / Main 1973.
Z.B. ist ein Schülerparlament dem Bundestag ähnlich und doch etwas strukturell anderes, „Macht“ in der Lehrer-Schüler-Beziehung etwas anderes und doch ähnliches wie Bankenmacht usw.
Dieses Experiment fand im Rahmen einer Vorlauftagung der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn in Zusammenarbeit mit der Deutschen Vereinigung für politische Bildung (DVPB) zum Bundeskongreß der DVPB 1991 in Hannover statt. Insbesondere die Planungssituation vor Lehrproben entspricht der Experimentalsituation: Gerade der Referendar ertrinkt schnell in einer Flut alternativ möglicher Materialien. Es fällt schwer, sich für ein Material zu entscheiden. Dies führt dann meist zu Kompromissen und zu vollen Stunden.
Vgl. Lothar Klingberg, Einführung in die Allgemeine Didaktik. Vorlesungen, Frankfurt/Main 1975.
Vgl. Tiiman Grammes, Kommunikative Fachdidaktik, in: Wolfgang Sander (Hg.), Konzepte der Politikdidaktik, Stuttgart 1992, S. 79–100; dort wird der Planungsprozeß einer kommunikativen Didaktik am Themenbeispiel „Jugendschutz“ durchdekliniert.
Die Kritik an Rezepten (Hilbert Meyer) richtet sich nicht gegen deren handlungsentlastende Funktion (Routinenbildung), sondern gegen Generalisierungen in der situativen Anwendung, so daß nicht-intendierte Nebenwirkungen, die kontraproduktiv gegen die eigenen Intentionen sein können, nicht mehr der Reflexion zugänglich sind. Interpretative Fachunterrichtsforschung kann z.B. zeigen, daß Rezepte wie „Schüler dort abholen, wo sie stehen“ (Bibliographie Nr. 34) oder „Perspektivenwechsel vornehmen fördert die Urteilsfähigkeit“ (Bibliographie Nr. 6) schlechten Unterricht legitimieren können.
Vgl. Sibylle Reinhardt, Unterricht, Didaktik und Lehrerausbildung in Politik und Sozialwissenschaften in Nordrhein-Westfalen, in: Klaus Rothe (Hg.), Unterricht und Didaktik der politischen Bildung in der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 1989, S. 199–231, hier S. 229f. Vgl. auch den Beitrag von Reinhardt /Lutter-Link in diesem Band.
Zu diesem informationstheoretischen Planungsverständis allgemein Terry Winograd / Fernando Flores, Understanding Computers and Cognition: a New Foundation for Design, New Jersey 1986 (dt. Berlin 1989).
Vgl. das Wortprotokoll in Kapitel 5.1.
Die Videotechnik liefert ein ausgezeichnetes Medium nicht nur, um Unterrichtswirklichkeit öffentlich zu dokumentieren, sondern auch, um gesellschaftliche Realität in die Weltferne der Schulstube zu transportieren. Die Methode „Erkundung“ wird so auch in größeren Lerngruppen im Alltag praktikabel.
Vgl. die andere Wahrnehmung und Wertung dieser Sequenz durch Gerhard Heidt in diesem Band (5.3.2.).
Tiiman Grammes/ Ari Zühlke, Partizipation: Willensbildung im SED-Staat als Gegenstand des politischen Unterrichts, in: Adolf Noll / Lutz Rainer Reuter (Hrsg.), Politische Bildung im vereinten Deutschland, Opladen 1993.
Manichäismus bezeichnet eine auf den Perser Mani (215–273 n. Chr.) zurückgehende religiöse Lehre, die den Kampf zwischen Licht und Finsternis, Gut und Böse lehrt. Sie unterscheidet zwischen Laien und Erwählten.
Man vergleiche nur die Diskussion über Sinn oder Unsinn Olympischer Spiele.
Martin Buber; vgl. Grammes 1991 (Anm. 4), bes. S. 28ff. Ähnlich ließe sich für die Themenbeispiele der anderen Protokolle in diesem Band diskutieren: Sind deren Konflikte wirklich offen? Wer möchte schon potentielles Militärmaterial ins Ausland liefern? Besteht der grundlegende moralische Konflikt in der Risikogesellschaft nicht darin, daß man bei vielen Produkten nicht vorab weiß, ob sie sich für militärische Zwecke eignen? Und wer möchte nicht lieber Tagesspiegel- als BZ-Redakteur sein? (vgl. die Wortprotokolle in 3.3. und 4.1.)
Der Fortgang des Unterrichts, die kleine Befragung der Lehrerin auf der Straße nach Einstellungen zu Bürgerbewegungen, liefert Hinweise, daß selbst Erwachsene häutig auf dieser apolitischen Entwicklungsstufe stehengeblieben sind (Retardierung, Plateaubildung): „Bürgerbewegung, na das sind ja alles totale Spinner, die wissen nichts mit ihrer Freizeit anzufangen, und wenn wir da an die Leute denken mit Stirnband und hier und so, also die wollen sich nur irgendwie in den Mittelpunkt stellen. “
Der SED-Staat ist mit seinen autoritären Mechanismen den Schülern auch 1991 ansonsten recht fremd, wie die vorgeschlagenen Protestformen zeigen. In dem Interview erwähnt Herr Dalk Eingaben gegen staatliche Entscheidungen als wichtige Protestform. Dies dürften die Schüler in ihrer Bedeutung kaum verstanden haben.
Diese Recherche ist nur möglich gewesen dank der Unterstützung durch Herrn Otmar Weber vom Amt fur Aussiedler und Asylbewerber in Lebach, der die Pressedokumentation zur Verfügung stellte. RTL-Plus stellte das Video-Band der Sendung „Explosiv“ unbürokratisch zur Verfügung.
Das Wortprotokoll dieser Stunde ist ausführlich dokumentiert in Walter Gagel / Tiiman Grammes/Andreas Unger (Hg.), Politikdidaktik praktisch. Mehrperspektivische Unterrichtsanalysen, Schwalbach 1992 (Bibliographie Nr. 1).
Hella Mandt, Antipolitik, in: Politische Studien 1987, 4, S. 383–395.
Ist es Zufall, daß Claudia nicht Klaus heißt? Vorliegende Unterrichtsprotokolle müßten dringend unter dem Aspekt unterschiedlicher verständigungsorientierter bzw. strategisch orien-tierter kommunikativer Herangehensweisen von Jungen und Mädchen reinterpretiert werden. Konstruiert Unterrichtskommunikation eine soziale Differenz der Geschlechter (Gertrud Nunner-Winkler)? Vgl. Helga Jungwirth, Unterschiede zwischen Mädchen und Buben in der Beteiligung am Mathematikunterricht, in: Hermann Maier/Jörg Voigt (Hg.): Interpretation Unterrichtsforschung, Köln 1991. Sie gelangt zu dem beachtenswerten Befund, daß Mädchen im fragend-entwickelnden Unterrichtsverfahren deutlich mehr Schwierigkeiten haben, da aus ihrer Perspektive betrachtet das Unterrichtsgespräch anders verlaufen sollte, während Jungen sich mit Versuch-Irrtum-Strategien strategisch auf das Räteisraten einlassen. Diese Befunde sind bedeutsam, da alle in diesem Band dokumentierten Sozialkundestunden ebenfalls dem Erarbeitungsmuster („Rätsellösen“) folgen. In Vorbereitung dazu befindet sich ein Unterrichtsforschungsprojekt von Karin Lück, Berlin.
Zur Unterscheidung von verständigungsorientierter versus strategischer Kommunikation im Politikunterricht vgl. Frank Nonnenmacher, Politisches Handeln von Schülern. Eine Untersuchung zur Einlösbarkeit eines Postulats der Politischen Bildung, Weinheim 1984, S. 48f. mit Bezug auf Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Frankfurt/Main 1981; „Anders als im verständigungsorientierten Handlungsmodell werden im strategisch orientierten Modell Jnterakt ions Situationen so interpretiert, daß die widerstreitenden Normvorstellungen einem Kompromiß gar nicht zugänglich sind. Im Konzept ,strategischen Lernens‘ werden deshalb gerade solche Situationen zu Lernsituationen erklärt, in denen es nicht um den Diskurs zwecks Erzielens von Übereinkünften geht, sondern in denen ,Strukturwidersprüche vor dem Hintergrund der gesamtgesellschaftlichen Bedingungen erfahrbar und durchschaubar‘ gemacht werden sollen. “ Zur Unterscheidung von strategischer und verständigungsorientierter pädagogischer Haltung vgl. den Beitrag von Hembd/Kuhn in diesem Band (S. 52 ff.); vgl. auch Peter Henkenborg, Die Unvermeidlichkeit der Moral, Schwalbach 1991.
Dies gilt auch für einen Folgeartikel in DER SPIEGEL (1990, Nr. 33).
In: Der SPIEGEL 32/1990 v. 6.08.1990.
Die als solche wahrgenommen werden müssen, auch wenn sie vor dem Hintergrund traditioneller europäischer Protestformen nicht als solche erscheinen, vgl. Theodor Ebert, Gewaltfreie Aktion, Frankfurt/Main 1973.
Hervorragend dargestellt bei Gotthard Breit, Mit den Augen des anderen sehen, Schwalbach 1991.
Zum Kulturbegriff als sozialer Ausschlußmechanismus („racisme differentialiste“ in Anlehnung an Etienne Balibar, Gibt es einen neuen Rassismus? in: das Argument 1989, Heft 175, S. 369–381), vgl. Helma Lutz, Welten verbinden, Frankfurt /Main 1991, S. 49ff.
Inwieweit Trägermaterial überhaupt noch „authentisch“ sein kann, wird zu einem Grundproblem der Informationsgesellschaft, die ihre Bilder industriell produziert, vgl. die Kontroverse um nachgestellte Fotos von rechtsradikalen Schlägertrupps in der Boulevardpresse. Die Produktions-, Distributions- und Rezeptionsbedingungen journalistischer Information sind ansatzweise Thema der ersten Sozialkundestunde, die der Beitrag von Hembd / Kuhn in diesem Beitrag dokumentiert.
Die Nicht-Repräsentanz von Asylbewerbern ist symptomatisch. Auch in dem ansonsten sehr durchdachten Planspiel (Heinz Klippert, Planspiel: „Bergstadt“ soll 20 weitere Asylbewerber bekommen. Didaktisch-methodische Hinweise, in: Bundeszentrale für politische Bildung, Erfahrungsorientierte Methoden der politischen Bildung, Schriftenreihe Bd. 258, Bonn 1988, S. 147–168) kommen die 20 Asylbewerber nur als Objekt der Fürsorge vor (nur stellvertretend ein Arbeitskreis Asyl). Ein Gegenbeispiel habe ich versucht zu entwickeln in T.G. : Politische Bildung als Begegnung — Interview mit jugendlichen Asylbewerbern aus Rumänien, in: Forum Politikunterricht 1993, 3, S. 18–33; Kritisch gegenüber der dominanten Unterrichtstradition T.G. : Asyl-Unterricht zwischen Moralisieren, Politik und Selbstreflexion, in: Politisches Lernen 1992, 3, S. 57–63.
Als „Tippel-Tappel-Tour“, formulierte einmal ein Gesellschaftskundelehrer.
Vgl. die Reportage von Herrn Dalk in der Bürgerbewegungsstunde.
aus: Günter Bierbrauer, Asyl und Rechtskultur, in: Zeitschrift für Rechtssoziologie 1991, 1. Vgl. ders., Asyl im Spannungsfeld unterschiedlicher Rechtskulturen, in: T. Raiser/Rüdiger Voigt (Hg.), Durchsetzung und Wirkung von Rechtsentscheidungen, Baden-Baden 1990.
W. Kälin, Troubled Communication: Cross-cultural misunderstandings in the asylum hearing, in: International Migration Review 1986, 2, S. 230–241.
Zur wissenssoziologischen Grundlegung vgl. Peter L. Berger/Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt/Main 1974.
Peter Menck, Der Gegenstand alltäglichen Unterrichts, in: Dieter Lenzen (Hrsg.), Pädagogik und Alltag. Stuttgart 1980, S. 113–124, hier: S. 123f.
Reinhardt, a.a.O., S. 229.
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Grammes, T. (1993). Vorüberlegungen zu Planungsdidaktiken von Lehrern Die Trägerfunktion des Materials bei der Konstruktion von Wirklichkeit im Unterricht. In: Grammes, T., Weißeno, G. (eds) Sozialkundestunden. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95957-7_6
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