Zusammenfassung
Es spricht einiges dafür, daß die Rolle der Religion als Garant der Hoffnung auf ein besseres Leben in der ehemaligen DDR gar nicht so sehr vom staatlich verordneten Religionsersatz, vom Marxismus-Leninismus übernommen worden war. Die ohnehin von Anfang an prekäre Reichweite des DIAMAT oder HISTMAT hinein in die individuellen Kammern des Unbewußten war mindestens im letzten Jahrzehnt des Staatssozialismus stark eingeschränkt. Neben dieser offiziellen Ersatzreligion dürfte eine zweite quasireligiöse Überzeugung von wesentlich größerer Alltagsrelevanz gewesen sein. Die Überzeugung nämlich, daß „drüben“, jenseits der Mauer, das „gelobte Land“ liege, wo Milch und Honig fließen, bzw. wo Bananen und Reisefreiheit auf die geschundenen Kreaturen warten. Natürlich handelte es sich hier um eine „unsichtbare Religion“, insofern sie zum einen nicht öffentlich bekannt wurde und zum zweiten auch keinen Beitrag, zumindest keinen sichtbaren Beitrag zum Funktionieren des sozialen Getriebes leistete. Gleichwohl kann ich meinen ostzonalen Freunden kaum widersprechen, wenn sie vermuten, daß viele, wenn nicht alle (einschließlich der „DDR-Bonzen“), aus der geheimen Überlegung, „rüberzumachen“ ins „heilige Jenseits“, wenn mal gar nichts mehr ginge, immer wieder das notwendige Quentchen Lebensmut bezogen, das nochmal durchzuhalten half. Man könnte sogar fragen, ob diese stille Hoffnung, ob dieser „Hoffnungsstrahl im Jammertal“ des real existierenden Sozialismus nicht eine tragende Säule der verkappten Religion der offiziellen DDR war. Jedenfalls staunten nicht wenige Bürger des Beitrittsgebietes, als sie schließlich darüber sprechen konnten, wer da alles bereits seit Jahren irgendwo im Westen einen bundesdeutschen Paß „für alle Fälle“ bereit liegen hatte.
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© 1993 Leske + Budrich, Opladen
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Barz, H. (1993). Ausblick: Im Osten Nichts Neues ?. In: Postsozialistische Religion. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95884-6_7
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-95884-6_7
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-8100-0995-1
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