Zusammenfassung
Wer sich wissenschaftlich mit den Leistungen von Rundfunkveranstaltern und der Qualität von Fernsehprogrammen beschäftigt, sieht sich schnell mit zwei zentralen Problembereichen konfrontiert. Die erste Schwierigkeit ist eine philosophisch-erkenntnistheoretische. Ist (Programm-)qualität überhaupt eine meßbare Größe? Was ist Qualität, welches ist der Bewertungsmaß stab, wer darf und kann sie festlegen oder messen? Diese Fragen kreisen um einen ontologischen Kern, der mutatis mutandis das Gravitationszentrum der Ästhethik und Gestaltungskunst von der Antike bis zur Moderne ist. Angefangen bei Aristoteles Poetik über die Regelpoetiken der europäischen Aufklärung, beispielsweise Lessings, Breitingers oder Gottscheds, bis zur amerikanischen Soziologie dieses Jahrhunderts mit ihren innovativen Überlegungen zur Klassifikation von Kultur reicht die Traditionslinie derer, die sich der oft undankbaren Kunst der Beurteilung in theoretischer Weise verschrieben haben. Undankbar ist Kritik, d.i. das Treffen einer Unterscheidung, deshalb, weil sowohl ihr Subjekt als auch ihr Objekt, vor allem aber ihr Instrument naturgemäß angreifbar ist. So trifft alle Versuche in nuce der gleiche Vorwurf. Um beim Beispiel zu bleiben: Ob nun Aristoteles Abhandlung Von der Dichtkunst 1, in der er die Literatur scheidet in die Nachahmung von „Gemeinerem..., des Lächerlichen, das ein Teil des Häßlichen ist“ (Komödie) und die Mimesis „einer edlen und abgeschlossenen Handlung“ (Tragödie), Gottscheds Versuch einer Critischen Dichtkunst 2, der nur in der Fabel das Postulat einer nützlichen moralischen Wahrheit verwirklicht sieht, den Roman dagegen als „verliebte Geschichte“ nur auf die unterste Stufe der Poesie stellte, oder Edward Shils Klassifikationssystem „superior, mediocre and brutal culture“ 3, das die verfeinerte Kultur durch die Ernsthaftigkeit ihres Hauptinhaltes definiert, die rohe Kultur dagegen ihrem zirzensischen Charakter nach als direkte expressive Handlung mit einem minimalen symbolischen Gehalt abwertet – stets ist eines diskutabel, fragwürdig: Äußerliche, Gattungs- oder Genreunterscheidungen stehen unvermittelt neben, zuweilen sogar vor inhaltlich-substantiellen Merkmalen. Aber auch Mängel wie Subjektivität der Wahrnehmung und Bewertung, der Einfluß des sozio- und ethnokulturellen Hintergrundes sowie der Ruch des Geschmäcklerischen und Kritikasterischen, der jeder Güteprüfung eines Produktes anhaftet, werden als gewichtige Argumente ins Feld geführt, wenn es darum geht, die Fragwürdigkeit und Sinnlosigkeit von generellen Qualitätsuntersuchungen deutlich zu machen.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Die Werke des Aristoteles. Eingeleitet und neu übertragen von Olof Gigon, Zürich 1950.
Vgl. Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst, 4. sehr vermehrte Auflage, Leipzig 1751 (fotomechanischer Neudruck 1962 ).
Shils, Edward: Mass Society and its Culture. In: Jacobs, Norman (Hing): Culture for the Millions? Boston 4 1971, S. 4–6.
Vgl. Gehrke, Gemot, Ralf Hohlfeld: Wege zur Theorie des Rundfunkwandels. Fernsehorganisationen zwischen publizistischen Zielvorstellungen und systemischem Eigensinn (= Studien zur Kornmunikationswissenschalt, Band 12, zugleich Dissertation von Gernot Gehrke im Fach Publizistik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster), Opladen 1995. Künftig zitiert: Gehrke/Hohlfeld 1995.
Zur wissenschaftsgeschichtlichen Spurensuche des Aphorismus “Ein Zwerg, der auf den Schultern von Riesen steht, sieht weiter als der Riese selbst”, der gemeinhin (wenn auch in abgewandelter Form) Isaac Newton zugeschrieben wird, vgl. Robert King Merlons kunstfertigen Essay Auf den Schultern von Riesen. Ein Leitfaden durch das Labyrinth der Gelehrsamkeit. Aus dem Amerikanischen von Reinhard Kaiser. Frankfurt am Main 1989. In diesem Zusammenhang sollte auch auf die potentiellen Untiefen eines solchen Bildes hingewiesen werden; gefährlich ist ein seichter, schlammiger Untergrund einer derartigen Wissenspyramide ebenso wie das Wanken und Stürzen der Riesen infolge höhenbedingten Schwindels.
Author information
Authors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 1995 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen
About this chapter
Cite this chapter
Hohlfeld, R., Gehrke, G. (1995). Einleitung. In: Wege zur Analyse des Rundfunkwandels. Studien zur Kommunikationswissenschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95643-9_1
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-95643-9_1
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-531-12770-5
Online ISBN: 978-3-322-95643-9
eBook Packages: Springer Book Archive