Zusammenfassung
Das Verhältnis von Psychoanalyse und Homosexualität war von Anfang an schwierig. Die Psychoanalyse, angetreten mit dem Anspruch “die Unterwelt zu bewegen” und kulturelle Tabus einer aufklärerischen Kritik zu unterziehen, sah sich recht früh mit dem Problem der Homosexualität konfrontiert. Bis heute lautet die zentrale Frage, die wie ein roter Faden die Beschäftigung mit der Homosexualität durchzieht: Ist sie eine Krankheit bzw. das Symptom einer Krankheit oder sind homosexuelle Objektwahl und Lebensstil mit einer relativen Freiheit von pathogenen unbewußten Konflikten vereinbar? Anders ausgedrückt: Gibt es so etwas wie normale Homosexualität? Angesichts der Tatsache, daß gerade die Psychoanalyse bisher herrschende Normalitätsvorstellungen in Frage stellte und Pathologisches und Normales näher zusammenrückte, mag es verwundern, daß diese Frage zu so hitzigen Debatten führt(e). Mit der Antwort scheint mehr auf dem Spiel zu stehen als bloße wissenschaftliche Lehnneinungen. Stellungnahmen zur Homosexualität sind nicht nur, wie solche zu Zwangsneurosen oder Depression, medizinische Angelegenheiten, sondern, wie alle sexuellen Fragen, zugleich politische Programme (s.a. Künzler, 1992, S. 202).
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Literatur
Einer anderen Quelle zufolge (Marmor, zit. in Friedman, 1986, S. 82) soll Freud sich zweimal für die Aufnahme von Homosexuellen in die psychoanalytische Vereinigung ausgesprochen haben, wenn nicht andere zwingende Gründe dagegen sprächen.
Seit 1991 gibt es einen Beschluß der amerikanischen psychoanalytischen Vereinigung, der eine Zulassung Homosexueller grundsätzlich ermöglicht (s. Journ. Amer. Psychoanal. Assn., 39, 1991, S. 1010). Die derzeitige Situation in Deutschland, Österreich und der Schweiz beschreibt Rauchfleisch (1993).
Die weibliche Homosexualität hat unter Psychoanalytikern keine vergleichbare Aufmerksamkeit gefunden. In jüngster Zeit haben sich Siegel (1988), Rohde-Dachser (1992) und Zeul (1993) damit befaßt.
Einen ersten kurzen Überblick gibt Ohlmeier (1993).
Glasser (1986, 1990) hat diese Kombination von Symbiosewünschen und Verlustängsten als Kernkomplex der Perversion beschrieben. Wir erwähnen diese Formulierung nur zögernd, weil sie die alte Verknüpfung von Homosexualität und Perversion wiederzubeleben scheint, die u.E. nur für bestimmte Formen von Homosexualität Gültigkeit beanspruchen kann. Der Genauigkeit halber sei darauf hingewiesen, daß Glasser in seinen Arbeiten keine Gleichsetzung von Homosexualität und Perversion vornimmt. Der Kernkomplex ist für ihn eine universelle Erfahrung, die verschiedene “Lösungen” zuläßt. Die Art der Lösung determiniert dann das entstehende Krankheitsbild. Der Kernkomplex kann also mit verschiedenen pathologischen Zuständen einhergehen, nicht nur mit Homosexualität oder Perversion.
Vgl. auch Goldberg/Frankham (1990); dort führte die Aufnahme eines HIV-infizierten Mitglieds in eine Gruppe Nichtinfizierter zu unbearbeitbaren Ängsten und Abwehrmaßnahmen, die die Gruppe schließlich scheitern ließen.
Allerdings scheint uns die gesamte Vorgehensweise ein Beispiel für die Abwehrfunktion stark strukturierender therapeutischer Angebote zu sein: angsterregendes Material darf gar nicht erst aufkommen, weil es — wie man hier vermuten muß — die Therapeuten/Forscher allzusehr belasten könnte.
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Dornes, M., Beier, C. (1995). Psychoanalytische Therapie, Homosexualität und Aids: ein Überblick. In: Ohlmeier, D., Dornes, M., Beier, C. (eds) Trauma AIDS. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95641-5_4
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
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