Zusammenfassung
Die theoretische Verfassung bundesdeutscher kriminologischer Forschung bedarf grundlegender Diskussion. Während hierzulande gegenwärtig eine Form der Kontrollpolitik betrieben wird, die an den Grundfesten des rechtsstaatlichen Gemeinwesens rüttelt, verharrt die Kriminologie in einer Art Lauerstellung, die mit kritischer Reflexion nicht sehr viel gemein hat. Das deutliche Theorie- und Kritikdefizit mußte kürzlich erst von einem Strafrechtswissenschaftler auf den Punkt gebracht werden: „Ich will aber doch darauf aufmerksam machen, daß die Rattenfänger derweil Politik machen, während die Kriminologen zu Hause an ihren Forschungsergebnissen feilen. Auf deutsch: Es ist eine Aufgabe verantwortlicher Kriminologie, sich — auch öffentlich — einzumischen, sobald Hobby-Kriminologen auf einem wichtigen Feld mit kriminologischen Behauptungen Schindluder treiben“ (Hassemer 1995: 6). Das Ärgerliche daran ist primär also nicht, daß die professionellen Kriminologen nichts theoretisch Fundiertes mehr zum aktuellen gesellschaftlichen Kontrollzusammenhang beitragen, sondern daß selbsternannte Sicherheitsspezialisten ihr ideologieträchtiges Pseudowissen von der Kriminologie unbehelligt unter das Volk streuen können.
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Beste, H. (1996). Kontrollpolitik zwischen Privatisierung und staatlicher Herrschaftssicherung. In: Bussmann, KD., Kreissl, R. (eds) Kritische Kriminologie in der Diskussion. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95639-2_10
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