Zusammenfassung
Schlagartig wurden die unterschiedlichen verfassungspolitischen Konzeptionen und Absichten in der Auseinandersetzung zwischen dem Berliner Arbeiter- und Soldaten-Rat und dem Rat der Volksbeauftragten sichtbar. 134 Dieser erklärte sich in der legendären Versammlung im Zirkus Busch zum „provisorischen Parlament“,135 den Vollzugsrat zum Hauptausschuß und den Rat der Volksbeauftragten zu den „Beauftragten“ dieses Vollzugsrats. Abgesehen von den Schwierigkeiten, die sich aus der föderalistischen Struktur des Reiches ergaben und dahin führten, daß selbst der bayerische „humane“ Revolutionär Eisner 136 die preußisch-berlinerische Eigenmächtigkeit ablehnte, handelte es sich bei der versuchten Beeinflussung der Volksbauftragten um einen Bruch mit vertrauten Organisationsstrukturen gewaltenteiliger Herrschaft, die von prinzipiell anderer Bedeutung waren, als die übergriffe lokaler Räte. Hier drohte revolutionäres Recht eigener Art zu entstehen, wie Otto Landsberg klar erkennen mußte. Nicht mehr das Volk war der Souverän, sondern ein zufällig entstandenes Organ. Der Sozialist Ledebour drückte seine Überzeugung unüberhörbar aus, wenn er betonte, die „ganzen Souveränitätsrechte“ seien keineswegs durch die Ernennung eines ’Kabinetts‘ delegiert worden:
„Wir haben das Kabinett der Republik und das Kabinett der Preußischen Regierung in ihren Kabitnettsfunktionen in derselben Weise bestätigt, wie der frühere Träger der Souveränität. Weiter ging die Übertragung nicht. Indem wir das Kabinett eingesetzt haben, haben wir nicht auf das Recht verzichtet, das Kabinett abzusetzen.“ 137
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Literatur
Vgl. dazu parallel Eberhard Kolb und Reinhard Rürup, Bearb., Der Zentralrat der Deutschen Sozialistischen Republik 19.12.1918 — 8.4. 1919, Leiden 1968; Miller und Potthoff, Rat der Volksbeauftragten (Anm. 125 ).
Matthias, Zwischen Räten und Geheimräten (Anm. 11), S. 96.
Zu diesem vielgeschmähten demokratischen Sozialisten vgl. jetzt Freya Eisner, Kurt Eisner: Die Politik.ies libertären Sozialismus, Frankfurt/M. 1979.
Miller und Potthoff, Rat der Volksbeauftragten Nr. 15 b, Sitzung von Kabinett und Vollzugsrat 18.11. 1918, S. 88 f.
Ebda., S. 89 f.
Ebda., S. 91: das weitere auf den folgenden Seiten.
Die Kritik an den Nebenregierungen waren die Kehrseite der Auseinandersetzung mit dem ,persönlichen Regiment’ Wilhelms H.
Bereits im Aufruf der Reichsregierung vom 9.11.1918 hatte es geheißen: „Menschenleben ist heilig. Das Eigentum ist vor willkürlichen Eingriffen zu schützen“.
Huber, Verfassungsgeschichte Bd. 5, S. 721 ff.
Winkler, Sozialdemokratie und Novemberrevolution (Anm. 9), S. 32 u.ö.
Freiheit 370 v. 5.8.1919.
Georg Kotowski, Hg., Historisches Lesebuch Bd. 1: 1914 — 1933, Frankfurt/M. 1968, S. 17.
Jesse/Köhler, Revolution (Anm. 9).
Vgl. dazu Peter-Christian Witt, Friedrich Ebert: Parteiführer — Reichskanzler — Volksbeauftragter — Reichspräsident, Bonn 1971, S. 21 ff. (Schriften der Bundeszentrale für politische Bildung).
Eberhard Kolb, Rätewirklichkeit und Räte-Ideologie in der deutschen Revolution von 1918/19, in: Helmut Neubauer, Hg., Deutschland und die russische Revolution, Stuttgart 1968, S. 94 — 110.
Vorwärts’ 46 v. 15.2.1918.
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Steinbach, P. (1983). Realisierung liberaldemokratischen Verfassungsverständnisses durch die Sozialdemokratie. In: Sozialdemokratie und Verfassungsverständnis. Kleine politische Texte. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95470-1_11
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