Zusammenfassung
In einer Zeit, in der die Selbstverwirklichung idealisiert und die Individualisierung zur ersten Direktive erklärt wird, muten Wahlentscheidungen, die aufgrund von langfristigen Gruppenbindungen getroffen werden, anachronistisch an. Dennoch gibt es in der Bundesrepublik zwei sozialstrukturell bestimmbare Gruppen der Bevölkerung, die sich diesem Trend der Individualisierung entziehen. Hartnäckig beharrt eine starke Mehrheit der Arbeiter darauf, die SPD zu wählen, und ebenso beharrlich stimmt eine Mehrheit der katholischen Wähler fir die CDU/CSU. Ausgelöst durch den ökonomischen Wandel in der Industriegesellschaft, rechnen sich immer weniger Beschäftigte der Berufsgruppe der Arbeiter zu und immer mehr bezeichnen sich als Angestellte. Damit geht vielfach eine Abkehr von den Gewerkschaften sowie eine Trennung von den Traditionen und Milieus der Arbeiterklasse einher, die sich auch in einer Ablösung von der SPD als der alleinigen politischen Vertretung äußert. Die CDU/CSU hat ebenfalls einen Rückgang ihres Potentials an Stammwählern zu beklagen. Unter den kirchlich gebundenen Wählern werden insbesondere die Bindungen der Katholiken an ihre Religionsgemeinschaft schwächer, und der Anteil derjenigen, die keiner Kirche angehören, nimmt in Westdeutschland seit Jahren beständig zu. Es scheint, als hätten viele Katholiken und Protestanten in Westdeutschland nur aus Bequemlichkeit den Austritt aus den Amtskirchen noch nicht vollzogen. Hinzu kommt, daß auch die traditionellen Milieus der Arbeiter und Katholiken den cross pressures der modernen, mobilen, informierten Gesellschaft ausgesetzt sind, wodurch die Neigung, unabhängig von der aktuellen Lage eine politische Partei dauerhaft zu unterstützen, stark abgeschwächt wird.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Arzheimer, Kai/Falter, Jürgen W., 1998: „Annäherung durch Wandel?“ — Das Wahlverhalten bei der Bundestagswahl 1998 in Ost-West-Perspektive, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B52/98, 33–43.
Bürklin, Wilhelm/Klein, Markus, 1998: Wahlen und Wählerverhalten. 2. Auflage. Opladen.
Conover, Pamela Johnston/Feldman, Stanley, 1981: The Origins and Meaning of Liberal/Conservative Self-Identifications, in: American Journal of Political Science 25, 616–645.
Dalton, Russell J./Bürklin, Wilhelm, 1995: The two German Electorates: The Social Bases of the Vote in 1990 and 1994, in: German Politics and Society 13, 79–99.
Emmert, Thomas/Jung, Matthias/Roth, Dieter, 1998: Zwischen Konstanz und Wandel — Die Bundestagswahl vom 16. Oktober 1994, in: Kaase, M./Klingemann, H.-D., (Hg.): Wahlen und Wähler — Analysen aus Anlaß der Bundestagswahl 1994. Opladen, 45–84.
Hartmann, Klaus/Pollack, Detlef, 1998: Gegen den Strom — Kircheneintritte in Ostdeutschland nach der Wende. Opladen.
Inglehart, Ronald, 1989: Kultureller Umbruch — Wertwandel in der westlichen Welt, Frankfurt et al.
Inglehart, Ronald, 1997: Modernization and Postmodernization — Cultural, Economic, and Political Change in 43 Societies. Princeton.
Jagodzinski, Wolfgang/Greeley, Andrew, 1997: The Demand for Religion: Hard Core Atheism and „Supply Side“ Theory, in: http://www.agreeley.com/articles/hardcore. html vom 06. 11. 1997.
Jagodzinski, Wolfgang/Quandt, Markus, 1997: Wahlverhalten und Religion im Lichte der Individualisierungsthese, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 49, 761–782.
Jung, Matthias/Roth, Dieter, 1998: Wer zu spät geht, den bestraft der Wähler — Eine Analyse der Bundestagswahl 1998, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B52 /98, 3–18.
Klingemann, Hans-Dieter, 1979: Ideological Conceptualization and Political Action, in: Barnes, S./Kaase, M., (Hg.): Political Action: Mass Participation in five Western Democracies. Beverly Hills.
Lukatis, Ingrid/Lukatis, Wolfgang, 1989: Protestanten, Katholiken und Nicht-Kirchenmitglieder: Ein Vergleich ihrer Wert-und Orientierungsmuster, in: Daiber, K.-F., (Hg.): Religion und Konfession. Hannover, 17–71.
Marks, Jürgen et al., 1998: Des Kanzlers überdrüssig, in: Focus Wahl-Spezial 1998, 43–46.
Mielke, Gerd, 1991: Des Kirchturms langer Schatten, in: Wehling, H.-G., (Hg.): Wahlverhalten. Stuttgart, 139–165.
Miller, Arthur H./Hesli, Vicki L./Reisinger, William M., (1995): Comparing Citizen and Elite Belief Systems in Post-Soviet Russia and Ukraine, in: Public Opinion Quarterly 59, 1–40.
Müller, Walter, 1997: Sozialstruktur und Wahlverhalten, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 49, 747–760.
Pappi, Franz Urban, 1979: Konstanz und Wandel der Hauptspannungslinien in der Bundesrepublik, in: Matthes, J., (Hg.): Sozialer Wandel in Westeuropa. Frankfurt am Main/New York, 465–479.
Pappi, Franz Urban, 1985: Die konfessionell-religiöse Konfliktlinie in der deutschen Wählerschaft: Entstehung, Stabilität und Wandel, in: Oberndörfer et al., (Hg.): Wirtschaftlicher Wandel, religiöser Wandel und Wertwandel — Folgen für das politische Verhalten in der Bundesrepublik. Berlin, 263–290.
Pollack, Detlef, 1994: Kirche in der Organisationsgesellschaft. Zum Wandel der gesellschaftlichen Lage der evangelischen Kirchen in der DDR. Stuttgart.
Pollack, Detlef, 1996: Zur religiös-kirchlichen Lage in Deutschland nach der Wiedervereinigung, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 93, 586–615.
Rattinger, Hans, 1994: Parteiidentifikation in Ost-und Westdeutschland nach der Vereinigung, in: Niedermayer, 0./von Beyme, K., (Hg.): Politische Kultur in Ost-und Westdeutschland. Opladen, 77–104.
Roth, Dieter, 1999: Die Zeiten langer Regierungsperioden sind vorbei, in: Das Parlament 49 /16, 11.
Schmidtchen, Gerhard, 1973: Protestanten und Katholiken. Soziologische Analyse konfessioneller Kultur. Bern/München.
Schmitt, Karl, 1985a: Religiöse Bestimmungsfaktoren des Wahlverhaltens: Entkonfessionalisierung mit Verspätung?, in: Oberndörfer, D. et al., (Hg.): Wirtschaftlicher Wandel, religiöser Wandel und Wertwandel — Folgen für das politische Verhalten in der Bundesrepublik. Berlin, 291–329.
Schmitt, Karl, 1985b: Inwieweit bestimmt auch heute noch die Konfession das Wählerverhalten — Konfession, Parteien und politisches Verhalten in der Bundesrepublik, in: Der Bürger im Staat, 95–107.
Süddeutsche Zeitung vom 29.09. 1998: Wahl 1998, 6–11.
Veen, Hans-Joachim/Gluchowski, Peter, 1988: Sozialstrukturelle Nivellierung bei politischer Polarisierung — Wandlungen und Konstanten in den Wählerstrukturen der Parteien 1953–1987, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 19, 225–248.
Wolf, Christof, 1996: Konfessionelle versus religiöse Konfliktlinie in der deutschen Wählerschaft, in: Politische Vierteljahresschrift 37, 713–734.
Editor information
Rights and permissions
Copyright information
© 2000 Leske + Budrich, Opladen
About this chapter
Cite this chapter
Jacobs, J. (2000). Die konfessionell-religiöse Spannungslinie am Beispiel der Bundestagswahlen 1994 und 1998. In: Pollack, D., Pickel, G. (eds) Religiöser und kirchlicher Wandel in Ostdeutschland 1989–1999. Veröffentlichungen der Sektion „Religionssoziologie“ der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, vol 3. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95198-4_8
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-95198-4_8
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-8100-2477-0
Online ISBN: 978-3-322-95198-4
eBook Packages: Springer Book Archive