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Gemeinsamer Unterricht im Zusammenhang mit Humanitäts- und Demokratievorstellungen

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Part of the book series: Forschung ((FO ERZWISS,volume 84))

Zusammenfassung

Zielsetzung dieser Untersuchung ist es, mit Hilfe der Gruppendiskussionsmethode Aussagen über die politischen und ethischen Grundlagen der Einstellungen von Lehrern, die im Gemeinsamen Unterricht arbeiten, machen zu können. Während im zweiten Teil (B) der Untersuchung das methodische Vorgehen vorgestellt und begründet werden soll, ist in diesem ersten Teilstück (A) der Fokus primär auf den Gegenstand „demokratische und humane Vorstellungen respektive Theorien“ gerichtet. In einem ersten Schritt (Kap. 2) geht es darum, historische Leitbilder in integrationspädagogischer Literatur auszumachen und den theoretischen Diskussionsstand dieser pädagogischen Reformbewegung in seinen Veränderungen seit den 70er Jahren zu skizzieren. Aufgrund der Tatsache, daß mit der Fragestellung nach demokratischen und humanen Einstellungen die Grenzen der pädagogischen Disziplin überschritten werden und zentrale Fragestellungen angrenzender Nachbardisziplinen, wie etwa der Politologie, Philosophie und Geschichte, berührt werden, ist es in einem zweiten Schritt (Kap. 3) notwendig, den Gegenstand dieser Untersuchung sowohl begrifflich als auch inhaltlich zu konkretisieren. Die begriffliche und inhaltliche Explikation des Gegenstandes schafft zudem eine Folie, vor deren Hintergrund die für eine abschließende Auswertung der Gruppengespräche relevanten Kategorien (Kap. 2.3; Kap. 3.2) gebildet werden können. Darüber hinaus vermittelt dieses Vorgehen der Leserin bzw. dem Leser dieser Arbeit ein Verständnis davon, mit welchem theoretischen Vorverständnis der Verfasserin die im letzten Teil (C) erfolgende Interpretation der Gruppengespräche durchgeführt wird.

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Literatur

  1. Eine detailreiche Darstellung des Wechselverhältnisses von institutioneller Erziehung und gesellschaftlicher Entwicklung liegt mit der älteren Arbeit von Achim Leschinsky & Peter Martin Roeder (1976) vor. Empfehlenswert sind darüber hinaus zur Geschichte der Pädagogik die Monographien von Heinz-Elmar Tenorth (1988a) und Karl Knoop & Martin Schwab (1994).

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  2. Einen aktuellen Überblick über zentrale Fragestellungen neuerer historischer Bildungsforschung gibt der von Harney & Krüger (1997) herausgegebene Sammelband zur Geschichte der Erziehungswissenschaft und der Erziehungswirklichkeit.

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  3. Auch in der Erziehungs-und Bildungsgeschichte ist die Auseinandersetzung mit den pädagogischen Schriften der Revolutionszeit bis heute eher ein randständiges Phänomen geblieben. Für die 60er Jahre ist vor allem auf die Arbeit von Wiltrud Ulrike Drechsel (1969) zur „Erziehung und Schule in der Französischen Revolution“ zu verweisen und für die 70er Jahre auf die interessante Arbeit von Frauke Stübig (1974) zu den verschiedenen Konzepten der „education commune”. Neueren Datums sind die Arbeiten Detlef Oppermanns (1982) zu den gedanklichen Vorlaufem der Einheitsschulbewegung, Hans Christian Hartens (1990) Untersuchung zu Konzepten elementarer Bildung in der Französischen Revolution und der von Ulrich Herrmann & Jürgen Oelkers (1989c) herausgegebene Sammelband zur „Französischen Revolution und Pädagogik der Moderne“. Dabei liegen mit den zeitgenössischen Schriften Michel Lepeletiers, Louis Saint-Justs, Gracchus Babeufs, Fleury Pawlets, Antoine de Condorcets u. a. frühe Dokumente auch heute noch diskutierter Fragestellungen vor, wie etwa die Überlegungen zur Differenzierung und Integration in Erziehung und Bildung (Stübig 1974, 377ff.; Schepp 1989, 47ff.). Interessant wäre in diesem Zusammenhang eine Untersuchung über das politische und ethische Verständnis dieser Autoren, ihre Rezeption und inhaltliche Weiterentwicklung durch nachfolgende pädagogische Reformbewegungen, wie zum Beispiel die Einheitsschulbewegung oder die Gesamtschulbewegung bis hin zu aktuellen Konzeptionen des Gemeinsamen Unterrichts behinderter und nichtbehinderter Kinder in den 70er Jahren.

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  4. Aus heutiger Sicht ist das ausgehende 18. Jahrhundert besonders unter dem Gesichtspunkt eines sich formierenden und bis heute gültigen pastoralen Machtverhältnisses (Foucault) zwischen dem Individuum einerseits und dem Staatsgebilde andererseits interessant. Die Erziehungswissenschaftlerin Käte Meyer-Drawe hat in Anlehnung an Michel Foucault in dem Aufsatz „Versuch einer Archäologie des pädagogischen Blicks“ einen beachtenswerten Versuch unternommen, der Entstehung und andauernden Problematik dieses Machtverhältnisses näher zu kommen (Meyer-Drawe 1996a, 655ff.).

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  5. Unter dem Gesichtspunkt der „longue dureé“ sind die Ziele der Revolution sicher nicht erreicht worden, nicht nur nicht bei der Errichtung und Durchsetzung eines allgemeinen Schulwesens (vgl. Herrmann & Oelkers 1989).

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  6. Das Gedankengut der Aufklärung begann gegen Ende des 17. Jahrhunderts, ausgehend von den Niederlanden und England, auch das Denken in Frankreich zu beeinflussen. Als herausragende Vertreter der französischen Aufklärung gelten Charles de Secondat, Baron de la Bride et de Montesquieu (1689–1755), Francois Marie Arouet Voltaire (1694–1778), Denis Diderot (1713–1784), Jean-Baptiste le Rond, genannt d’Alembert (1717–1783), Julien Offray de Lamettrie (1709–1751) und vor allem Jean-Jacques Rousseau (1712–1778). In Deutschland erlebte die Aufklärung ihre stärkste Ausprägung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und ist eng verbunden mit der Person Immanuel Kants (1724–1804) (Tenorth 1988b, 125f.; Schmid 1997, 19f.; s. auch Störig 1955, 291ff.).

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  7. Eine gute Darstellung des seit dem 18. Jahrhundert prägenden bürgerlichen Einflusses in Frankreich und Deutschland gibt Herrmann (1985, 59ff.). Er zeigt auf, wie individuelle Leistungsfähigkeit und persönliche Vervollkommnung allmählich das Geburts-und Vorrechtsrecht ablösen und beim Durchsetzungsprozeß ökonomischer, kultureller und politischer Ansprüche unentbehrlich werden.

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  8. Insbesondere Kant, und dies ist bemerkenswert, der Zeit seines Lebens seine Geburtsstadt Königsberg kaum verlassen hat, gilt als ein Zeitgenosse, der das Gedankengut der Epoche der Aufklärung, vielleicht wie kein anderer Denker seiner Zeit, pointierend darstellen konnte. Eine gelungene Darstellung der pädagogischen Vorstellungen Kants findet sich in Kemper (1990, 84ff.). Zu den politischen Ansichten Kants, die hier nicht weiter berücksichtigt werden können, siehe Reiss (1989, 293ff).

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  9. Für Kant war es selbstverständlich, daß Frauen, Kinder und die „Wilden“ von der Aufhebung der Beschränkung bürgerlicher Freiheiten ausgeschlossen waren. Eine ausgezeichnete Darstellung des Geschlechterverständnisses im philosophischen Denken des 18. Jahrhunderts liegt seit 1994 in deutscher Übersetzung mit dem Artikel von Michèle Crampe-Casnabet (1994, 333ff.) vor.

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  10. Typisch für einen Spätaufklärer ist die bei Kant sich andeutende Unterscheidung zwischen „Erziehung“ und „Bildung”, die im weiteren historischen Verlauf zu einer immer größer werdenden Eigenständigkeit des Bildungsbegriffes mit weitreichenden Folgen führen sollte, die an dieser Stelle aber nur angedeutet werden können. Auf die Tatsache inhaltlicher und begrifflicher Differenzierungen seit der Aufklärung macht Preuss-Lausitz (1988, 401ff.) in dem Aufsatz „Auf dem Weg zu einem neuen Bildungsverständnis“ aufmerksam. Er verweist hier insbesondere auf die Kehrseite der Aufklärungsidee, „die die Abspaltung und Funktionalisierung des Getrennten möglich macht” (ebd., 404; s. auch Tenorth 1986, 7ff.). Umfangreiche Arbeiten zum Bildungsbegriff sind u. a. von Nieser (1992), Biller (1994) und Schäfer (1996) erschienen.

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  11. Erst im fünften und letzten Buch widmet sich Rousseau der Erziehung von Sophie, dem weiblichen Pendant zum Emile. Hier beschreibt Rousseau, der die Ideologie, der Mann sei der Endzweck der Frau, auf die Spitze trieb, die Frau als in erster Linie praktisch bildbar und unterstreicht besonders die „natürliche“ unterschiedliche Begabung der Geschlechter (Rousseau 1762/1987, 420f.). Zur Einordnung Rousseaus bezüglich des Verhältnisses der Geschlechter s. vor allem Crampe-Casnabet (1994, 333ff.).

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  12. Die Bedeutung entwicklungsgemäßer Erziehungsziele für Rousseaus Erziehungskonzepte hat Jörg Ruhloff (1986, 102ff.) in seinem Aufsatz zu den geschichtlichen Dimensionen pädagogischer Aufgabenkonzepte herausgearbeitet.

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  13. Auf die Problematik dieser Erziehungsutopien, die seit Mitte des 18. Jahrhunderts auf die ideale Welt oder den Gottesstaat verweisen, hat Jürgen Oelkers (1992, 88) hingewiesen. Insbesondere das Fehlen „negativer Utopien“ hat diese Erziehungs-und Gesellschaftsvorstellungen bis in die Gegenwart so attraktiv scheinen lassen.

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  14. Zum Menschen-und Gesellschaftsbild der Philanthropen siehe Nieser (1992, 152ff.).

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  15. Zur Rezeption Rousseaus und seinen Folgen in Deutschland s. auch Herrmann (1985, 60f.) und Tenorth (1992, 117ff.).

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  16. Beachtenswert sind in diesem Zusammenhang die Überlegungen von Hans Christian Harten (1992, 135ff.), der den bisher vernachlässigten Zusammenhang von Aufklärung, Öffentlichkeit und Terror in der Französischen Revolution untersucht hat. Harten stellt fest, daß die rationalistische Variante der Aufklärung in Frankreich, im Gegensatz zur pragmatischen Variante, eher auf das Totale gerichtet war und sich hierbei - wie beispielsweise im Zusammenhang des Erziehungsentwurfs von Lepeletier - die Forderung nach zwanghaften Reinigungsritualen gewissermaßen nahelag (s. auch Thiele 1990a, 35). „Immer mehr Menschen erfuhren, daß scheinbar ewige, gottgewollte Lebensformen und Rangordnungen veränderbar waren - durch eigenes freies Reden und Handeln gegenüber jedermann” (Thiele 1990a, 46).

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  17. Der bildungs-und erziehungspolitische Verlauf des Gesetzgebungsprozesses im Nationalkonvent in den Jahren von 1789 bis 1795 ist in jüngster Zeit sehr detailliert von Julia (1989, 71ff.), Schepp (1989, 47ff.) und Harten (1990, 25ff.) erarbeit worden und dient im Folgenden bei der historischen Einordnung der pädagogischen Reformentwürfe als Grundlage.

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  18. Honoré Gabriel de Riqueti, Graf von Mirabeau (1749–1791), ließ sich 1789 in die Nationalversammlung wählen. Nach englischem Vorbild plante Mirabeau, auch in Frankreich im Rahmen der Verfassung eine konstitutionelle Monarchie zu errichten. Als entschiedener Gegner feudaler Vorrechte war er vor allem daran interessiert, die Revolution zu stabilisieren und warnte frühzeitig vor den unübersehbaren ökonomischen Folgen einiger revolutionärer Erziehungsprogramme. Nach seinem frühen Tod schwand der Einfluß seines Denkens schnell. Seine zentrale pädagogische Schrift war der „Diskurs über die Nationalerziehung“ (1791) (Thiele 1990a, 53f.; Harten 1990, 28f.).

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  19. Marie Jean Antoine Nicolas Caritat, Marquis de Condorcet (1743–1794) ist im deutschsprachigen Raum der nach wie vor meist rezipierte französische Gelehrte der Revolutionszeit. 1791 wurde er, ebenso wie Mirabeau, als Abgeordneter in die Nationalversammlung gewählt. Als Vorsitzender des Unterrichtsausschusses verfaßte er 1792 seinen „Bericht und Entwurf einer Verordnung über die allgemeine Organisation des öffentlichen Unterrichtswesens“. Condorcet wurde von den radikalen Jakobinem um Robespierre verfolgt und 1794 verhaftet. Einen Tag nach seiner Verhaftung starb er aus bisher noch ungeklärter Ursache (Osterwalder 1992, 157ff.; Schepp 1966, 7ff.; Michael & Schepp 1973, 130).

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  20. Louis-Michel Lepeletier de Saint-Fargeau (1760–1793) war seit 1790 Mitglied des Nationalkonvents. Später schloß er sich den radikalen Jakobinern um Robespierre an und verfaßte mit dem „Plan einer Nationalerziehung“ (1794) die radikalste pädagogische Schrift der Revolutionszeit. Noch bevor dieser Plan im Nationalkonvent diskutiert werden konnte, wurde Lepeletier bei einem Attentat getötet. Vermutlich blieb aufgrund des frühen Todes die Wirkung seiner Erziehungsvorstellungen im weiteren Verlauf der Revolution eher gering (Michael & Schepp 1973, 135; Harten 1990, 44f.).

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  21. Inwieweit die Diskussionen über den Abbau der Herrschaft von Menschen über Menschen während der Französischen Revolution auch das Denken der frühen Sonderpädagogen beeinflußt haben, macht weitere Quellenstudien erforderlich, die allerdings im Rahmen dieser Untersuchung nicht geleistet werden können. Als sicher kann aber angenommen werden, daß beispielsweise sowohl Jean Itard (1774–1838) als auch seinem Schüler Edouard Séguin (1812–1880) die Schriften Jean-Jacques Rousseaus bekannt waren. Im Unterschied zu Itard, der die Erziehung des Wilden von Aveyron vornehmlich als philosophisches und medizinisches Problem ansah und seine Bemühungen nach sechs Jahren enttäuscht einstellte, ging Séguin von der grundsätzlichen Bildbarkeit seines Zöglings aus und verband mit seinen Arbeiten einen moralischen Anspruch (Hänsel 1974, 18ff.). Erkennbar wird in seinen Äußerungen eine kritische Haltung gegenüber selektiven Maßnahmen, wie sie etwa gemäßigte Liberale vertraten, „deren höchstes Ziel „Klassifikation nach der Kapazität und Belohnung nach der Produktivität“ war; Fortbestehen von Klassen, wenn nicht gar von Kasten; die Erziehung wie alles andere sei nur für den mutmaßlich Fähigen. In der Tat eine liberale Schule, die vom Embryo an klassifizierte, vom Fötus an ungleich machte” (Séguin 1866 zit. nach Hänsel 1974, 44).

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  22. Rang (1968, 1ff.); Michael & Schepp (1973, 104ff.); Oppermann (1985, 41ff.); Julia (1989, 63ff.); Keck (1989, 255ff.); Schepp (1989, 47ff.); Stübig (1989, 103ff.); Sünkel (1989,413ff.); Harten (1992, 135ff.); Osterwalder (1992, 157ff.); Hager (1993, 67ff.); Knoop & Schwab (1994, 59ff.).

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  23. Dies ist umso erstaunlicher, da gerade der Einfluß Mirabeaus auf die frühen Schriften Humboldts als bedeutend angesehen werden muß (Nieser 1992, 324).

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  24. Soziologische Forschung beschäftigt sich u. a. mit den Bewegungen einzelner Individuen und/oder sozialer Gruppen (Familien, ethnische Gruppen etc.) innerhalb unterschiedlicher Systeme. Zum Beispiel hat Annette Treibel in ihrer Einfilhrung in soziologische Theorien der Gegenwart die Ursachenfindung für sozialen Fortschritt oder soziale Stagnation als eine mögliche Aufgabe der Soziologie genannt (Treibel 1993, 10). Mirabeaus Bildungsentwurf, eher statuserhaltend als soziale Mobilität fbrdemd, ignorierte die Möglichkeit individueller und/oder sozialer Mobilität völlig.

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  25. Das Gesamtwerk Condorcets umfaßt insgesamt 12 Bände, die von A. Condorcet-O’Connor & Francois Arago unter dem Titel „Condorcet: Oeuvres“ 1847–1849 in Paris herausgegeben wurden. Die letzte Übersetzung des von Condorcet vorgelegten „Berichts und Entwurfs einer Verordnung über die allgemeine Organisation des öffentlichen Unterrichtswesens” leistete Schepp (1966). Ich werde mich aber weiterhin auf die von Alt herausgegebene Übersetzung beziehen.

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  26. Sicher ist aber gerade die Langfristigkeit der Condorcetschen pädagogischen Konzeption ein wesentlicher Grund dafür, daß seine Schriften bis in die Gegenwart hinein zu den meist rezipierten Schriften der Revolutionszeit gehören (vgl. Schepp 1966, 16f.; Harten 1992, 141).

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  27. Bildung - von Condorcet zu einem Bürgerrecht erhoben - wird im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts zunehmend zu einem demokratischen Grundrecht erklärt. Erst in jüngster Zeit ist zu beobachten, daß Bildung nunmehr zu einem menschlichen oder auch humanen Grundrecht erklärt wird (vgl. z. B. die UNESCO-Deklarationen „World Declaration an Education for All (1990)“; „Review of the present situation of special needs education (1995)”.

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  28. Von der insgesamt 17 Artikel umfassenden Erklärung der Menschen-und Bürgerrechte scheinen insbesondere die ersten beiden Artikel das Denken Condorcets beeinflußt zu haben: Artikel 1. Die Menschen sind und bleiben von Geburt frei und gleich an Rechten. Soziale Unterschiede dürfen nur im gemeinen Nutzen begründet sein. Artikel 2. Das Ziel jeder politischen Vereinigung ist die Erhaltung der natürlichen und unveräußerlichen Menschenrechte. Diese Rechte sind Freiheit, Eigentum, Sicherheit und Widerstand gegen Unterdrückung (Die deutsche Übersetzung stammt von Grab 1989, 12; vgl. auch Schepp 1990, 16ff.).

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  29. Condorcet setzte sich 1790 in fünf Denkschriften mit dem Verhältnis der Geschlechter auseinander und erhob, anders als seine Zeitgenossen, weitreichende Forderungen für eine egalitäre Mädchenerziehung. Stübig u. a. sind der Frage nachgegangen, wie sich dieser „Feminismus“ Condorcets erklären ließe und kommen zu dem Ergebnis: „Und schließlich entstammt der weitestreichende Einfluß aus Condorcets Ehe mit Sophie de Grouchy. Der Salon der Madame de Condorcet, 1787 eröffnet, ist einer der wichtigsten der Epoche. Condorcet liebte seine Frau - in einer Zeit, in der Ehen ausschließlich auf der Grundlage von Besitz gestiftet werden, eine bemerkenswerte Beziehung, die Condorcet offensichtlich auch mancherlei Spott eingetragen hat. […J; für die Begründungen des Mädchenbildungskonzepts dürften die persönlichen Glückserfahrungen der Eheleute, ihr gegenseitiger geistiger Austausch und die gemeinsame Übersetzung einer Arbeit von Adam Smith nicht unerheblich gewesen sein” (Stübig 1989, 140). In seinem offiziellen Bericht ist Condorcet jedoch wesentlich zurückhaltender und erklärt für den Fall, daß in einer Gemeinde zwei Primärschulen eingerichtet werden, eine zur Mädchen-und eine zur Jungenschule (vgl. Condorcet 1792/1949, 108).

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  30. Auf die Bedeutungsvielfalt der Begriffe Menschheit/Humanität und Demokratie werde ich aufgrund ihrer zentralen Bedeutung im 3. Kapitel dieses ersten Teils gesondert eingehen. revolutionäre Staat haben zu allererst die Aufgabe, aus der allen zuerkannten politischen Gleichheit eine wirkliche politische Gleichheit zu machen, den Homme zum Citoyen zu konkretisieren“ (Keck 1989, 267).

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  31. Auf die Vorläuferbewegungen der schulischen Integration im Elementarbereich kann an dieser Stelle nur kurz hingewiesen werden. Eine aktuelle Aufarbeitung der Entwicklungen und Konzepte integrativer Erziehung im Elementarbereich findet sich bei Hossl (1997, 147ff.) und Kron (1997, 156). Weitere beachtenswerte Darstellungen sind: Klein (1984), Dichans (1990), Ziller & Saurbier (1992), Heimlich (1993), (1995) und (1998).

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  32. Mittlerweile verwalten mehrere Integrationsdatenbanken, u. a. der Arbeitsstelle „Integrative Förderung schulschwacher/behinderter Kinder und Jugendlicher“ an der Technischen Universität (http://www.tu-berlin.de), BIDOK in Österreich (http://bidok.uibk.ac.at), das „Berliner Institut far Lehrerbildung” (BIL - ehemals: Pädagogisches Zentrum) und neuerdings die Arbeitsstelle Integration der Universität Hamburg die stetig wachsende Anzahl von Publikationen. Besonders seit Anfang der 80er Jahre ist eine starke Zunahme an Veröffentlichungen erkennbar, die sich mit den verschiedensten Aspekten des Gemeinsamen Unterrichts befassen (s. auch Scholz 1993, 124).

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  33. Ich beziehe mich in der folgenden Darstellung der 70er, 80er und 90er ausschließlich auf die Diskussion um den Gemeinsamen Unterricht behinderter und nicht behinderter Kinder und Jugendlicher in den alten Bundesländern. Ein Vergleich der parallelen Entwicklung in der ehemaligen DDR ware interessant, ist aber im Zusammenhang dieser Arbeit nicht sinnvoll.

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  34. Im Bereich des allgemeinbildenden Schulwesens waren bereits seit den 50er Jahren Diskussionen zu Fragen der Bildungsbeteiligung, aber auch zur Bildungsplanung und zu den Lehrplänen gefuhrt worden, auf die hier nicht weiter eingegegangen werden kann. Die Diskussionen sollten eine zunehmende Aussonderung von Kindern mit Behinderungen im deutschen Schulwesen zur Folge haben, was wiederum nicht ohne Konsequenzen für die Ausweitung des Sonderschulwesens in den 70er Jahren sein sollte (s. bereits Muth 1973a, 231 ff. und Tenorth 1988a, 270f).

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  35. Die Eltern behinderter Kinder schlossen sich dann zwar erst 1984 beim 1. Bundeseltern-treffen in Bremen, das Datum des 6. Oktobers - dem Gesundheitstag - war von ihnen bewußt ausgewählt, zu einer bundesweiten Bürgerrechtsbewegung zusammen. Obwohl die Eltern nicht so gut organisiert waren wie andere Bürgerrechtsbewegungen, sind sie nach Wolfgang Jantzen doch auf einer Stufe mit anderen großen Bürgerrechtsbewegungen der 80er Jahre (Friedensbewegung, Anti-AKW-Bewegung, Frauenbewegung, Ökologiebewegung) zu sehen. Kontakte der neuen sozialen Bewegungen untereinander und „der Einbruch der „Grünen“ in das etablierte Parteienspektrum [brachten] einen deutlich veränderten politischen Resonanzboden für die Problematik” (Jantzen 1998a, 20).

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  36. In seiner Dissertation mit dem Titel „Behinderung - Phänomen oder Faktum?“ hat Christian Lindmeier (1993) den Versuch unternommen, den seit den 50er Jahren diesen Jahrhunderts geradezu inflationär gebrauchten pädagogischen Schlüsselbegriff „Behinderung” in seiner Bedeutungsvielfalt zu beleuchten. An dieser Stelle kann in Anlehnung an Lindmeier nur auf die Vielschichtigkeit und generelle Problematik des auch in dieser Untersuchung verwendeten Begriffs „Behinderung“ hingewiesen werden. Die Schwierigkeit der Verwendung des Behinderungsbegriffs wird meines Erachtens in folgendem Zitat deutlich: „Da, wo es also anthropologisch wie pädagogisch um die Herausbildung der „Eigenstruktur” geht, muß die Normativität zurückstehen, damit die „Norm“ des Eigenen, die demgegenüber nicht anspruchsloser, sondern anspruchsvoller ist, gefunden werden kann. […] Damit wollen wir allerdings nicht behaupten, daß eine Behinderung überhaupt nicht in existenzieller Weise für den Menschen Bedeutung erlangen kann, sondern nur, daß sie weder a priori ein Grundphänomen noch eine anhaltende Grenzsituation menschlichen Daseins darstellt” (Lindmeier 1993, 249f.).

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  37. In Deutschland sollte nach Möckel mit der Errichtung von Gesamtschulen an eine schulpolitische Tradition angeknüpft werden, die ihren Ausgang in der Französischen Tradition hatte. „Liberale preußische Verwaltungsbeamte (Humboldt, Süvem) wollten eine Nationalschule, die liberale Lehrerschaft (Wander, Tews) kämpfte für die Allgemeine Volksschule und später mit der Sozialdemokratie (H. Schulz) um die Einheitsschule“ (Möckel 1970, 659; s. auch Rang 1968, 1f.).

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  38. Schöler (1998, 109ff.); hierzu auch Flitner (1987, 23f.). Warum es in den 70er Jahren nicht zu einer Ausweitung des integrativen Denkens über die Gruppe der Kinder mit Lernbehinderungen hinaus kommen konnte, erklärt Schumann (1994) folgendermaßen: „Das Lernen wird weiter eindimensional über Wissenserwerb definiert und weniger als soziales Lernen in der Vielfältigkeit verschiedenartiger Kinder miteinander. Dieser Logik entsprechend erscheint das Nichtzulassen von Kindern mit Behinderungen, d. h. mit leistungsunterschiedlichen oder leistungseingeschränktem „Lemprofil“, mit individuellen und partikularen Fähigkeiten und Bedürfnissen, konsequent” (Schumann 1994, 7). An der Diskussion um die Integrationsfähigkeit der Grund-und Gesamtschulen beteiligten sich in den 70er Jahren u. a. Hans Eberwein (1970, 311; 1973, 129ff.; 1975, 72ff.); Grunwald et al. (1975, 368ff.); Alfred Sander (1973, 34ff.), Reimut Jochimsen (1974, 236ff.), Ulf Preuss-Lausitz/Barbara Schaeffer/Wilhelm Quitzow (1976, 32ff.), Preuss-Lausitz (1971, 183ff; 1977, 113ff.). Eine gute Quellensammlung findet sich bei Romey (1977, 129ff.).

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  39. Der Ausschuß Sonderpädagogik des Deutschen Bildungsrates verwies in seiner Diskussion um die historischen Zusammenhänge gesellschaftlicher Aussonderung von Menschen mit Behinderungen auch auf die „moralische Katastrophe der Zeit des Nationalsozialismus“ (Deutscher Bildungsrat 1973, 26f.). Auf die kritisch zu hinterfragende Rolle der deutschen Sonderpädagogik im Nationalsozialismus geht die Kommission interessanterweise explizit aber nicht ein (s. hierzu Rudnick 1985; Rosenberger 1998b, 12ff.).

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  40. Das Gutachten des Deutschen Bildungsrates lag in seiner allgemeinen Ausrichtung vor allem konträr zu zwei Empfehlungen der Kultusministerkonferenz aus den Jahren 1960 und 1972. Beide Empfehlungen mit dem gleichlautendem Titel „Zur Ordnung des Sonderschulwesens“ hatten sich fur eine separierte Förderung von Kindern mit Behinderungen in entsprechenden Sonderschulen ausgesprochen. Entsprechend kontrovers wurde die Empfehlung des Deutschen Bildungsrates gleich nach ihrem Erscheinen diskutiert. In die Lernprozesse der Nichtbehinderten gehören deshalb neben Curricula über Behindertenprobleme vor allem die tägliche Erfahrung und der dauernde Umgang mit Behinderten. Das heißt mit anderen Worten: Die Nichtbehinderten müssen das Zusammenleben mit Behinderten lernen” (Muth 1973b, 264f.; Herv. P. G.). 489ff.; Preuss-Lausitz 1972, 3ff.; Schultheis 1974, 563ff.).

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  41. Auf die Bedeutung der Unterscheidung zwischen Sein und Sollen im Zusammenhang moderner Demokratietheorien ist u. a. Giovanni Sartori (1992) ausführlich eingegangen. Die hieraus abgeleitete Diskussion über die Unterscheidung zwischen Tatsachen und Werten erfolgt ausführlicher in Kapitel 3.1.2.

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  42. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein bereits 1977 erschienener Aufsatz von Alfred Sander, der der Frage nachgeht, ob der Unterricht behinderter Kinder in allgemeinen Klassen eine Verlegung oder Ausweitung der Sonderpädagogik mit sich bringen werde. Sein vorläufiges Fazit war: „“Ausweitung oder Verlegung” erweist sich als unechte Alternative. Nur die praktische Behindertenerziehung kann verlegt werden, und dies geschieht auf der institutionellen Ebene. Dabei erfährt sowohl die sonderpädagogische Praxis als auch die Sondererziehungswissenschaft eine Ausdehnung ihres Gegenstandes durch Erweiterung des Kreises der zu färdernden Kinder“ (Sander 1974, 99).

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  43. Aus heutiger Sicht ist es verwunderlich, daß die Verfasser des 73er Bildungsratgutachtens an keiner Stelle ihres Gutachtens auf die Diskussionen und Entwicklungen in anderen Ländern eingegangen sind. Zeitgleiche schulische Reformbestrebungen in Großbritannien, Skandinavien, Italien wurden offensichtlich ignoriert (vgl. Schöler 1993b, 21ff.; Schöler 1998a, 109).

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  44. Siehe z. B. bei Eberwein (1984, 678); (1989a, 44); Jantzen (1981, 99); Muth (1981, 512); (1982, 12ff.); (1985, 165ff.); (1986, 31ff.); (1988b, 13f); Preuss-Lausitz (1981, 91ff.); (1986, 114); Sander (1983, 280ff.). Jakob Muth, der als Vorsitzender der Arbeitsgruppe Sonderpädagogik stets sehr beharrlich an die Empfehlung erinnerte, sah ihre Bedeutung vor allem in bildungspolitischen Begründungszusammenhängen, etwa bei der Einrichtung eines Schulversuchs. Daß sich bei der Umsetzung des Gemeinsamen Unterrichts größtenteils andere und viel weitergehendere integrative Konzepte entwickelt haben, wertete Muth im Sinne einer prozeßhaften Entwicklung als ausdrücklich positiv und plädierte in diesem Zusammenhang mehrmals für eine Fortschreibung der Empfehlung (Muth 1982, 17; 1985, 167).

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  45. Viel Beachtung haben hier vor allem die abschließenden Berichte aus Berlin, Hamburg und Bremen gefunden: Projektgruppe Integrationsversuch (1988); Heyer/Preuss-Lausitz & Zielke (1990); Wocken & Antor (1987); Wocken/Antor & Hinz (1988); Feuser & Meyer (1987).

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  46. Eine erste ausführliche Darstellung wurde 1983 als Exkursionsbericht unter dem Titel „Schule ohne Aussonderung in Italien“ von der Berliner Schulpädagogin Jutta Schöler herausgegeben. Bei der Veröffentlichung handelt es sich um die gesammelten Eindrücke einer 40 Personen umfassenden Gruppe, die sich aus Lehrerinnen, Müttern behinderter Kinder und Studenten der Berliner TU zusammensetzte. Bereits Ende der 70er Jahre waren in Deutschland vereinzelt Berichte über die Schulsituation in Italien erschienen, zu Beginn der 80er Jahre häuften sich diese Praxisberichte und bezogen sich auf unterschiedliche Regionen Italiens (Thiel 1980, 60f; Roser 1981, 18ff.; Netzbrand 1983, 181ff.; Hofer 1984, 152ff.; Schüler 1984, 36ff.; 1986a, 10f.; 1986b, 42ff.; 1986c, 36ff. u. 1987, 2ff.).

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  47. Frühe vergleichende Darstellungen sind hier erschienen von: Fischer/Schöler (1981, 35); Göbel (1981, 50ff.); Iben (1981, 35ff.); Bürli (1982, 226ff.).

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  48. Als prägnantes Beispiel für die Etablierung des Begriffs „Integrationspädagogik“ in der zweiten Hälfte der 80er Jahre kann das 1988 herausgegebene Handbuch der Integrationspädagogik von Hans Eberwein angesehen werden. Auf die zentrale Bedeutung des thematischen Zusammenhangs von Gleichheit und Verschiedenheit haben sowohl Annedore Prengel als auch Andreas Hinz hingewiesen (Prengel 1988, 370ff., 1995 (2. Aufl.); Hinz 1993).

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  49. Daß die Einrichtung und Ordnung des Sonderschulwesens (Gutachten der KMK 1960) vor allem von den Hilfsschullehrem begrüßt wurde und hingegen von den Vertretern der sog. Sinnesbehinderten eher abgelehnt wurde, zeigt die damalige Diskussion im Verband Deutscher Sonderschulen und in den nachfolgenden Jahren in der Zeitschrift für Heilpädagogik (Schade 1961, 507f.; Matthes 1961, 239ff.; Garbe 1962, 39ff). Vgl. auch Preuss-Lausitz (1981, 79ff.) zur Diskussion in den 70er Jahren und Kolonko & Kramer (1992, 41ff.).

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  50. Feuser (1989, 5) geht davon aus, daß radikale Ansätze im Gegensatz zu reformistischen Ansätzen nach ihrem eigenem Selbstverständnis auch die Wurzeln des Erziehungs-und Bildungssystems kritisch untersuchen.

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  51. Titel wie „Schafft die Sonderschule ab!“ (Jantzen 1981, 96) oder „Statt Sonderschulen: Schulen ohne Aussonderung” (Preuss-Lausitz 1982, 17) oder „Fördern ohne Sonderschule“ (Preuss-Lausitz 1981) haben am Beginn der 80er Jahre dazu geführt, daß der Fortbestand des Sonderschulwesens zur zentralen Frage werden konnte.

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  52. Die theoretischen Positionen der genannten Autoren bedürfen in nächster Zeit, möglicherweise in einer eigenen wissenschaftlichen Untersuchung, einer genaueren Untersuchung. Bisherige Einteilungen, wie sie auch hier erfolgen, sind als ein erster Versuch der zweiten oder dritten Generation von Integrationsforschem zu verstehen, die eigenen Wurzeln zu klaren (vgl. auch Krämer 1993, 11).

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  53. Die im zweiten Kapitel aufgearbeitete Diskussion um die schulische Integration von Kindern mit Behinderungen spiegelt den veränderten Reflektionsstand über gesellschaftliche Aussonderungsprozesse im Vergleich zur Diskussion Ende des 18. Jahrhunderts (s. Kap. 2.1) wider.

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  54. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß der Sonderpädagoge Winfried Baudisch kurz vor der Wende in der ehemaligen DDR, im Gegensatz zu Preuss-Lausitz, der vor dem Hintergrund eines kapitalistisch-demokratischen Systems argumentiert, in bezug auf die Bedeutung des Gemeinsamen Unterrichts zu ganz anderen Schlußfolgerungen kommt: „Hauptmotive für integrative Forderungslinien liegen in reformistischem Gedankengut zur Demokratisierung der bürgerlichen Schule, zur Gleichheit aller, zur Unverletztlichkeit der kindlichen Seele. Individualpsychologisches Gedankengut ist latent vorhanden. Die Illusion von der Vermeidung einer Stigmatisierung und einer Erhöhung der sozialen Chancen drückt diesen Zusammenhang aus. […] Das Integrationskonzept der spätbürgerlichen Sonder-bzw. Heilpädagogik trägt klar erkennbar Klassencharakter, weil es die dem Kapitalismus wesenseigene Benachteiligung von Schwachen und Randgruppen kaschieren soll, ohne sie in ihren Wurzeln beseitigen zu können, […]“ (Baudisch 1989, 5) (vgl. auch Lie-bers 1998, 53ff.; Rosenberger 1998b, 14).

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  55. Ausgehend von der Kritik an der Sonderschule fUr Lernbehinderte (Preuss-Lausitz 1981) weitete Preuss-Lausitz in der zweiten Hälfte der 80er Jahre, nachdem er seine Hoffnungen auf eine Überwindung des Sonderschulsystems scheinbar aufgegeben hatte (1986, 102), seine Kritik aus und setzte sich nunmehr in kritischer Betrachtung mit dem aufklärerischen Bildungsverständnis auseinander (1988, 405ff.).

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  56. Die Vertreter des humanistischen Marxismus (oder auch: des sozialistischen Humanismus) orientieren sich vor allem an den Frühschriften Marx, die unter dem Einfluß der Junghegelianer und des Frühsozialismus entstanden sind. Dieser später vor allem im ehemaligen Jugoslawien und der Tschechoslowakei weiterentwickelte marxistische Ansatz verfolgte vor allem die Zielsetzung der Aufhebung menschlicher Entfremdung (s. auch Ritter & Gründer 1974, 1219ff.).

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  57. Auf die Entwicklung der Feuserschen Didaktik des Gemeinsamen Gegenstandes kann hier leider nicht näher eingegangen werden. Es soll nur noch einmal betont werden, daß ohne die Verwirklichung einer entwicklungslogischen Didaktik es nach Feuser nicht zu einer Humanisierung und Demokratisierung des schulischen Lernens kommen könne (Feuser 1989, 39). Ausführlich stellt Feuser seine didaktischen Thesen noch einmal in dem 1995 erschienenen Buch „Behinderte Kinder und Jugendliche zwischen Integration und Aussonderung“ dar (s. auch v. Borstel & Gehrmann 1996, 25ff.).

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  58. In den zahlreichen Gesprächen, die ich als studentische und später wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Jakob Muth führen konnte, wurde der Gemeinsame Unterricht von Menschen mit und ohne Behinderungen auch für mich zu einem zentralen menschlichen und gesellschaftspolitischen Anliegen. Als Lehrer - auch als Hochschullehrer - war es Jakob Muths zentrales Anliegen, im Sinne Johann Friedrich Herbarts „Gedankenkreise“ zu öffnen. „Das Wort Kreis ist eine Metapher, die zum Ausdruck bringt, daß das Wissen geordnet sein muß, rund und abgeschlossen, aber zugleich auch offen und erweiterungsfähig” (Muth 1987, 4).

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  59. Sander (1984, 33) bezeichnet sich selbst als humanistischen Pädagogen, wobei in der 2. Hälfte der 80er Jahre jedoch eine vorsichtige Hinwendung zur Systemtheorie erkennbar wird: „Schulische Integration ist in komplexer und fortschreitender Wechselwirkung mit weiteren Komponenten des Systems Schule, des Systems Bildungswesen und darüber hinaus des Gesellschaftssystems zu sehen. Schulische Integration stellt einen planvollen Eingriff in die Entwicklung des Systems Bildungswesen dar, einen Eingriff, der gewissen Aussonderungstendenzen, wie sie in „natürlichen“ Systemen beobachtet werden können, entgegensteuert, um den besonderen Charakter eines „menschlichen” Systems zu wahren und herzuleiten“ (Sander 1990, 20).

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  60. Bei genauerer Analyse der Veröffentlichungen von Jakob Muth und Alfred Sander fällt auf, daß nur in ein oder zwei Fällen eine Abgrenzung der Begriffe human/inhuman von demokratisch/undemokratisch vorgenommen wird. In aller Regel sind beide Autoren bestrebt, humanes und demokratisches (pädagogisches) Handeln positiv zu setzen; Kontroversen und Konflikte können und sollen nicht diskutiert werden. Stattdessen sollen positive Beispiele zur Ermutigung beitragen und zur Nachahmung auffordern (Sander 1980, 292).

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  61. Muth (1980, 22f.) kritisiert hier die Auswirkungen und tiefere Bedeutung des BSHG, will aber gleichzeitig keineswegs - und dies ist typisch für diesen Ansatz - gegen Gesetze etc. Stellung nehmen. Er verweist in diesem Zusammenhang auf die Antinomie karitativer Hilfe. Die Fähigkeit zur Kommunikation markiert für Muth bis Mitte der 80er Jahre die Grenzen des Gemeinsamen Unterrichts. Es sollten nur Kinder in den Gemeinsamen Unterricht aufgenommen werden, deren Kommunikationsthhigkeit sich verbessern ließe (Muth 1982, 29). Erst später wehrte Muth sich gegen eine Trennungslinie innerhalb der Gruppe behinderter Menschen (Muth 1988a, 22; 1988b, 16).

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  62. Sander (1985, 29) spricht in diesem Zusammenhang u. a. von der Wahrung der Personenwürde und Muth (1989a, 32; 1989b, 74) von der humanen Akzeptanz des Menschen mit Behinderungen.

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  63. Sowohl Muth als auch Sander haben in allen ihren Veröffentlichungen immer wieder auf die zentralen bildungspolitischen Dokumente und Entwicklungen hingewiesen. Seit 1986 hat Sander die Ausbreitung des Gemeinsamen Unterrichts im Saarland in umfangreichen Jahresberichten dokumentiert (s. auch Sander & Christ 1985, 176ff).

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  64. Bemerkenswert ist hier insbesondere ein Aufsatz aus dem Jahre 1975 (!), der ausführlich das neue Aufgaben-und Selbstverständnis des Sonderschullehrers durch den Gemeinsamen Unterricht thematisiert (Eberwein 1975, 72ff.).

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  65. Nicht aufgearbeitet werden können in dieser Untersuchung die politischen Veränderungen durch den Mauerfall und die anschließende Auflösung des DDR-Staates. Veränderungen in den neuen Bundesländern, aber auch insbesondere in den grenznahen alten Bundesländern führten zu bildungspolitischen Erschütterungen. Ein Beispiel dieser Entwicklungen ist für das Land Brandenburg dokumentiert, welches in bezug auf das bildungspolitische Anliegen des Gemeinsamen Unterrichts durch die Berliner Schulpädagogen Jutta Schöler, Peter Heyer und Ulf Preuss-Lausitz beraten wurde (Heyer/Preuss-Lausitz & Schöler 1997).

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  66. Gemeint sind hier die Autoren, die bereits in den 70er und frühen 80er Jahren zum Gemeinsamen Unterricht veröffentlicht haben, wie z. B. Hans Eberwein, Georg Feuser, Ulf Preuss-Lausitz, Helmut Reiser, Alfred Sander, Jutta Schöler, Hans Wocken und bis 1993 auch Jakob Muth.

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  67. Zentrale forschungsmethodische Problemstellungen nach größerer Gegenstandsnähe und stärkerer Beteiligung „beforschter“ Personen am pädagogischen Forschungsprozeß, hier Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen und Lehrer im Gemeinsamen Unterricht, haben jedoch auch in integrationspädagogischer Forschung bisher keinen zentralen Stellenwert einnehmen können. Eine Ausnahme bilden hier z. T. die Veröffentlichungen von Benkmann, Boban, Hinz, Schöler, Schildmann, Wocken und neuerdings von Schumann (1997, 188ff.). Ein Bemühen, die forschungsmethodische Diskussion wieder zu beleben, ist in den Arbeiten von Eberwein (1995) und Friebertshäuser & Prengel (1997) erkennbar.

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  68. Einzelne der hier genannten Autoren lassen sich durchaus mehreren Themenkomplexen zuordnen, so z. B. bei Alfred Sander und Jutta Schöler. Verweisen möchte ich an dieser Stelle auch auf einige Veröffentlichungen, die aus Qualifikationsarbeiten von Nachwuchswissenschaftler hervorgegangen sind und Teilaspekte integrativer Erziehung bearbeiten: Bews (1996), Demmer-Dieckmann (1991), Filippini Steinemann (1995), Hinz (1993), Jülich (1996), Krämer (1993), Müller (1994).

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  69. Im englischen Original heißt es: „Supplementary alternative programmes can help meet the basic learning needs of children with limited or no access to formal schooling, provided that they share the same standards of learning applied to schools, and are adequately supported“ (World Declaration 1990, 6; vgl. hierzu auch Schöler 1998a, 113ff.).

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  70. Sicher ist die Kraft einer solchen gesetzlichen Weiterentwicklung weniger anhand plötzlicher Veränderungen festzumachen, vergleichbar den Wirkungen der Empfehlung des Deutschen Bildungsrates aus dem Jahre 1973, sondern vor allem in der argumentativen Unterstützung bei der Formulierung kurz-und mittelfristiger Zielsetzungen (vgl. Dahesch 1995, 16; Heiden 1996; Das Buch zur Aktion Grundgesetz 1997). Auch Sander stellt 1996 in einem Aufsatz über Formen sonderpädagogischer Förderung fest: „200 Jahre Separierungskonzept können kaum durch 20 Jahre Integrationskonzept ausgeglichen werden. Ich vermute, daß erst die nächste Generation von Pädagogen den Paradigmenwechsel in der Schulpraxis voll verwirklichen wird. Es ist anzunehmen, daß dann nicht mehr über Formen der sonderpädagogischen Förderung gesprochen wird, sondern über solche der integrationspädagogischen Förderung oder, besser noch, über Formen der optimalen pädagogischen Entwicklungsanregung“ (Sander 1996, 187).

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  71. Jutta Schüler hat seit den 80er Jahren in zahlreichen Fallbeschreibungen versucht, die Umwelt von Kindern mit Behinderungen durch Interviews mit möglichst vielen Personen aus dem Umfeld eines Kindes zu rekonstruieren. In den 90er Jahren sind folgende Darstellungen erschienen: Kleine bunte Wedel (1994a, 103ff.); Lars - irgendwann wird der Knoten im Kopf schon platzen (19946, 121ff.); Nurgül - Der Duft der Rose kehrt zurück (1995, 323ff.); Falk: Du mußt Deine Schuhe ausziehen! (1997a, 271ff.); Marianne: Jetzt will ich auch mit dem Langstock laufen! (1997b, 305ff.); Christian: Du mußt an die Regeln denken (1998b, 269ff.).

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  72. Diese Veränderung muß möglicherweise in ursächlichem Zusammenhang mit den während der wissenschaftlichen Begleitungen in der Uckermark-Grundschule (1982–1988) und im Land Brandenburg (1992–1996) gemachten praktischen Integrationserfahrungen gesehen werden. Feuser, der wenig auf eigene praktische Erfahrungen setzt, hält hingegen seine Position bei. In seinem 1995 erschienenen Buch „Behinderte Kinder und Jugendliche. Zwischen Integration und Aussonderung“ erneuert er in einer umfangreichen Darstellung seine theoretischen Aussagen und begründet sie noch radikaler (im Sinne: zu den Wurzeln vordringend). Auf zahlreiche Pädagogen der Vergangenheit (Makarenko, Suchomlinski etc.) eingehend, stellt Feuser mehr oder weniger kategorisch fest: „Bei aller Kürze der anskizzierten Quellen kann deutlich und zusammenfassend festgestellt werden, daß sich Bestrebungen der Veränderung und Weiterentwicklung von Pädagogik, aber auch die ihrer Verbesserung und Neuerung nur dann als Reformpädagogik qualifizieren lassen, wenn ihnen als Ziel und Weg in gleicher Weise die „Humanisierung” und „Demokratisierung“ des Erziehungs-, Unterrichts-und Bildungssystems Anliegen und Praxis ist” (Feuser 1995, 146).

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  73. Ich möchte an dieser Stelle nicht naher auf die Feststellung Wockens eingehen, daß die didaktische Theoriebildung nicht ausreichend fortgeschritten sei, weil diese Diskussion für den weiteren Gedankengang dieser Arbeit nicht wesentlich ist. Mir ist seine These zunächst so noch nicht einsichtig. Vielleicht geht es aber auch darum, daß nur Forschung allein bisher nicht weitergeführt hat und jetzt neue Wege der reflektierten Praxis weiterführen würden. Einige gute Ansätze bieten meines Erachtens zum Beispiel die Arbeiten von Bews (1996), Demmer-Dieckmann (1991), Vukan & Rutte (1993) und zum Verhältnis von pädagogischer Tat und pädagogischer Theorie auch Schöler (1994, 25).

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  74. Der Titel des Aufsatzes weist bereits auf die ideologische Entwicklung der Autorin hin. Wurde in der Erstausgabe 1988 Integration noch im „Widerspruch von Ökonomie, Politik und Pädagogik“ betrachtet, so geht es in der aktualisierten Ausgabe allgemein um „Integration im gesellschaftlichen Widerspruch” (Deppe-Wolfinger 1997, 25). Auch im Literaturverzeichnis findet sich kein Hinweis mehr auf eine marxistische Theoriebildung, wenngleich sich im Text selber noch deutliche Hinweise auf die ideologische Position der Autorin erkennen lassen. Insgesamt ist der Tenor aber weniger kämpferisch und in der soziologischen Analyse z. B. der Armutsproblematik und der Risiken moderner Gesellschaften weniger radikal und ideologisch wertgeleitet. Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangte kürzlich Wolfgang Jantzen, der für die aktuelle Integrationsdebatte ein fehlendes gesellschaftstheoretisches Instrumentarium beklagt! (Jantzen 1998b, 188)

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  75. Dies ist im übrigen in der von Christian Lindmeier (1993) erschienenen Arbeit zum Behinderungsbegriff ganz genauso. Inhaltliche Grundlage seiner ausgezeichneten begrifflichen Analyse sind einzig und allein Texte von Sonderpädagogen und gesetzliche Grundlagentexte. Lehrer und ihr begriffliches Verständnis haben für Lindmeier überhaupt keine Bedeutung.

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Gehrmann, P. (2001). Gemeinsamer Unterricht im Zusammenhang mit Humanitäts- und Demokratievorstellungen. In: Gemeinsamer Unterricht — Fortschritt an Humanität und Demokratie. Forschung Erziehungswissenschaft, vol 84. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95158-8_2

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