Zusammenfassung
Es sollte deutlich geworden sein, daß eine Position des agnostistischen Kulturrelativismus, wie sie in der Diskussion über die politische Zielsetzung einer multikulturellen Gesellschaft und einer darauf bezogenen Interkulturellen Erziehung und Bildung oft vertreten wird, im praktischen Umgang der Menschen miteinander auf Dauer nicht haltbar, nicht lebbar und praktizierbar ist. Deshalb konnten ja auch etliche Wege ausfindig gemacht werden, auf denen versucht wird, eine solche Position zugunsten von mehr Gewißheit zu überwinden.
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Literatur
Wolfgang Klein (1985) führt ein ausführlich analysiertes und kommentiertes Beispiel eines moralischen Diskurses unter Kindern vor. Es wurde zwar experimentell evoziert und unter anderen Gesichtspunkten betrachtet als denen des Diskurses, zeigt aber in seltener Deutlichkeit das reichhaltige Potential an Argumentationsstrategien auf, das bereits Kindern für solche Diskurse entwickeln können. — Peter Jansen (1984) legt einen Versuch vor, im Anschluß an Apel das „vernünftige Gespräch“ zum „Medium und Thema schulischer Sprachreflexion“ (S. 128 f.) zu machen und eine darauf bezogene Sprachdidaktik zu formulieren.
Beide Wege der Begründung für Ungleichheit gelten im übrigen auch in den Industriegesellschaften des Nordens, gleichzeitig zur abstrakten Norm der Gleichheit aller Individuen, wofür man nicht nur auf die gegenwärtig aktuell thematisierte Ungleichheit der Geschlechter hinzuweisen braucht, sondern auch auf die Ungleichbehandlungen etwa von Erwachsenen im Berufsleben nach dem Lebensalter. Dahinter steht eine Vorstellung von abnehmender Leistungsfähigkeit mit zunehmendem Alter, und zwar unbeschadet der tatsächlichen Leistungsfähigkeit des einzelnen, so daß es als weithin selbstverständlich und gerechtfertigt gilt, für bestimmte Berufspositionen Höchstaltersgrenzen aufstellen zu dürfen und für die Teilnahme am Berufsleben überhaupt eine Höchstgrenze. Da das Lebensalter durch eigene Anstrengung nicht beeinflußt werden kann, handelt es sich auch hierbei um eine Ungleichheit durch Zugehörigkeit (vgl. auch Nieke 1993). An dieser Stelle ist nicht der Ort einer Diskussion über die Angemessenheit oder Unangemessenheit solcher Ungleichheiten und ihrer Rechtfertigungen; hier kommt es lediglich darauf an, zu zeigen, daß die abstrakte Norm der Gleichheit der Individuen alles andere als selbstverständlich ist und ihre wesentlichen Einschränkungen durch gerechtfertigte und akzeptierte Formen institutionalisierter Ungleichheit hat.
Diesem Einwand kann ich nach dem bisher Dargelegten und noch zu Erörterten nur zustimmen; allerdings sind die von Oelmüller im einzelnen vorgebrachten Stützungen dieser These aus hier nicht näher zu erläuternden Gründen nicht überzeugend.
Diese Grundform des Arguments arbeitet auch Alfred Berlich (1982) heraus und erklärt sie als eine Variante von „elenktischer Argumentation“, einer indirekt durch die Unmöglichkeit der Negation beweisenden Form, die bereits Aristoteles von der üblichen des deduktiven Argumentierens als unterschiedliche Form unterschieden habe: „Die elenktische Begründung ist indirekt. Sie beweist das zu Begründende nicht durch seine Herleitung aus Prämissen, sondern durch die reductio ad absurdum seiner Negation. Sie zeigt, daß sich die Bestreitung des zu Begündenden selbst aufhebt, was mit dem tertium non datur dessen Geltung zur Konsequenz hat.“ (S. 259)
Dabei wird die fundamentale Kritik von Ilting an Apels Begründungen seiner Fassung des Diskursmodells als „intellektualistischer Fehlschluß“ hier nicht weiter berücksichtigt. Das würde eine sehr eingehende Auseinandersetzung erfordern, die in diesem Zusammenhang nicht geleistet werden kann. Nur soviel sei hier angedeutet: Bei seinem Versuch einer Kritik an Apel versucht Ilting die universale Geltung materialer Normen zu begründen, etwa der Anerkennung der Einschränkung menschlicher Freiheit durch Normen als Grundbedingung menschlichen Zusammenlebens. Damit setzt er sich der Gefahr aus, einem ähnlichen „naturalistischen Fehlschluß“ durch Rückgriff auf anthropologische Konstanten zu erliegen, den er selbst Kant zum Vorwurf macht; vgl Ilting 1972.
Apel setzt bei den Zuhörern dieses Vortrages und Lesern dieses Textes voraus, daß der Name geläufig ist. Paul Feyerabend hat die Konsequenzen des mangelnden universal geteilten Bezugspunkte in der Wissenschaftstheorie auf den eingängigen Slogan „anything goes“ gebracht und damit entweder einen höchstmöglichen Pluralismus von möglichen Paradigmen wissenschaftlicher Zugänge zur Welt oder das Scheitern dieses Theorieprogramms demonstriert. Letzteres nimmt Apel als gegeben.
Dieser Fachterminus der philosophischen Ethik leitet sich von der griechischen Wortbedeutung von „to deon“ — das Erforderliche, die Pflicht — ab und charakterisiert in Abgrenzung zu teleologischen Ethiken solche Begründungsansätze von Moral, in denen keine vorgängigen Zwecke oder Folgen von Handlungen Grundlage der Argumentation sind, sondern Prinzipien, denen unabhängig von jeder solchen konkreten inhaltlichen Festlegung zu folgen ist.
Dieser Begriff wird von Apel nicht näher erläutert. Er meint in dem verwendeten Zusammenhang etwa: nicht notwendige, wenngleich nicht zufällige, weil geschichtlich gewordene und anthropologisch faßbar durch die Grundbedingungen menschlicher Existenz bestimmte Einflüsse und Determinanten des jeweils Betrachteten.
Diese Grundnorm findet sich auch bei Schwemmer als „Primär-Zweck“ (1971, S. 220), wie überhaupt im Ergebnis große Ähnlichkeiten zwischen der Position von Apel und der von Schwemmer bestehen, wie sie in der „Philosophie der Praxis“ dargelegt worden ist, obwohl beide Autoren von ganz unterschiedlichen theoretischen Grundpositionen aus argumentieren und auch verschiedene Wege der Argumentation einschlagen.
Kohlberg hat diese Erweiterung seines Schemas akzeptiert und inzwischen übernommen.
Hier verweist Habermas auf die Fundstelle: The Norm of Reciprocity. In: ASR, 1960, S. 161–178
Das ist hier für theoretische Diskurse formuliert, die auf Wahrheit abzielen, gilt aber im Grundsatz auch für praktische Diskurse, welche die Geltungsansprüche von Normen für richtiges Handeln zum Inhalt haben.
Von einer solchen unvermeidlichen Eingebundenheit in die Grundannahmen der jeweils eigenen Kultur geht auch Clifford Geertz aus: „Ich meine mit Max Weber, daß der Mensch ein Wesen ist, das in selbstgesponnene Beziehungsgewebe verstrickt ist, wobei ich Kultur als dieses Gewebe ansehe.“ (1983, S. 9)
Karl Mannheim, 1969: Ideologie und Utopie. Frankfurt: Schulte-Bulmke (5. Aufl.), S. 77
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Nieke, W. (2000). Versuch einer Weiterführung: Ethik der Verständigung bei interkulturellen Konflikten. In: Interkulturelle Erziehung und Bildung. Reihe Schule und Gesellschaft, vol 4. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95076-5_7
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