Zusammenfassung
Der unfreiwillige Kontakt verschiedener Kulturen innerhalb eines Territoriums, eines Staates und einer Gesellschaft geht selten ohne Spannungen ab. Im Blick auf die betroffenen Menschen konkretisieren sich diese Spannungen als Befremdung, Angst und als die Formen des Umgangs mit diesen Gefühlen der Ablehnung — „Ausländerfeindlichkeit“ — gegenüber den als andersartig wahrgenommenen Angehörigen einer anderen Kultur im Sinne einer Fremdwelt, gegen die sich die Heimwelt, d. h. die eigene Lebenswelt abgrenzt und zur Aufrechterhaltung ihrer selbstverständlichen Geltung auch abgrenzen muß.
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Literatur
Die männliche Form ist beabsichtigt; denn Fremdheit und Konkurrenz werden überwiegend gegenüber männlichen Personen empfunden, und zwar wiederum stärker von Männern als von Frauen.
Damit fallt auch ein neues Licht auf die universal anzutreffende Ablehnung des Fremden als „schmutzig“ und übelriechend. Möglicherweise steckt dahinter weniger eine bestimmte Sozialisation als Gewöhnung an übliche und vertraute Gerüche und Reinlichkeitsvorstellungen als vielmehr ein solcher quasi mentaler Waschzwang zur rituellen Wiederherstellung der Richtigkeit der eigenen Weltsicht.
Das wird im Alltag von binationalen und bikulturellen Ehen immer wieder deutlich. Elschenbroich faßt diese Erfahrungen aus Interviews so zusammen: „Man erlebt, wie tief das eigene Wertsystem verankert ist, ja, man erlebt es in mancher Hinsicht zum ersten Mal. Ohne diese Konfrontation bleibt das eigene Wertsystem meist unauffällig, unbewußt — und erscheint gerade deshalb als ‚normal‘“ (1988, S. 368).
Hier wird immer wieder auf die griechische Tradition der Gastfreundschaft verwiesen, so etwa von Karg 1989. Dabei muß man sich allerdings vor einer dilettantischen Halbbildung hüten; denn kundigere Analysen des altgriechischen Schrifttums erweisen, daß dieselbe Kultur, die dem durchreisenden Gast gegenüber freundlich zu sein riet, enthält auch das Deutungsmuster des Barbaren, der dadurch definiert war, daß er keine menschliche Sprache sprach, sondern redete wie Tiere (nämlich Vögel), und die menschliche Sprache war selbstverständlich Griechisch oder eine der sonst bekannten hochkulturellen Sprachen. Und mit den Barbaren war keineswegs gastfreundlich umzugehen. Vgl. dazu Duala-M’Bedy 1977.
Solche Topoi, d. h. sprachlich verfestigten Fassungen von Deutungsmustern (entsprechend der Begriffsbestimmung von Negt 1971) wurden in Befragungen geäußert, die ich mit ausländischen Jugendlichen in Bielefeld durchgeführt habe. Vgl. auch W. Graf 1984, S. 101.
Eine solche Assimilationserwartung steckt auch in einigen migrationssoziologischen Konzepten, die zumeist in Analysen der Situation von europäischen Einwanderern in den USA entwickelt wurden. Sie orientieren sich an dem Deutungsmusters des „melting pot“, des Schmelztiegels, in dem sich alle neu hinzukommenden Substanzen so mit dem bereits Vorhandenen vermischen, daß eine Amalgamation mit neuen Eigenschaften herauskommt: „American way of life“. Diese Assimilationserwartung enthält weniger eine normative Zumutung an die Zuwanderer als vielmehr einen Glauben an eine quasi naturgesetzliche Entwicklung der unvermeidlichen Assimilation der Zuwanderer an die Umstände der Aufnahmegesellschaft. Das wird in einigen soziologischen Untersuchungen über die „Integration“ der Wanderarbeitnehmer in die westdeutsche Gesellschaft ziemlich direkt so ausgesprochen. Erst die neueren soziologischen Untersuchungen über die Situation der Zuwanderer in den USA stellen das Konzept des „melting pot“ in Frage und konstatieren ein Wiedererstarken von kollektiven Identitäten bei Minderheiten, die längst als eingeschmolzen gegolten hatten. Diese Forschungen über „Ethnizität“ werden hierzulande aber erst ansatzweise zur Kenntnis genommen; vgl. Elschenbroich 1985.
Die Begriffe „Integration“ — „Assimilation“ — „Akkulturation“ werden zwar zur Unterscheidung verschiedener Inhalte verwendet, aber leider nicht einheitlich. In diesem Zusammenhang meint „Integration“ die Eingliederung der Zu-wanderer in das sozialstrukturelle Gefüge der Aufenthaltsgesellschaft, vor allem in das ökonomische, das politische und das System der öffentlichen Daseinsvorsorge (also vor allem das Bildungssystem), und zwar unabhängig von einer kulturellen Anpassung. Eine vollständige Integration wäre erreicht, wenn die Zuwanderer den Einheimischen in den Chancen gleichgestellt wären, alle attraktiven Positionen zu erreichen, wenn also nicht nur formale, sondern faire Chancengleichheit gewährleistet wäre (vgl. dazu Rawls 1979). „Assimilation“ meint den Prozeß der vollständigen Anpassung der Zuwanderer an die Lebensformen der Einheimischen unter Aufgabe der eigenen, so daß am Ende jeder Unterschied verschwunden ist. „Akkulturation“ bezeichnet die — freiwillige oder auch unter Druck unfreiwillige — Übernahme von Elementen der Majoritätskultur durch die Individuen der Minoritätskulturen, ohne daß es deshalb zu Integration oder zu Assimilation kommen muß. Eine Akkulturation kann auch zur Herausbildung einer neuen Migrantenkultur führen, wenn Elemente der Majoritätskultur mit der Minoritätskultur verbunden werden. Allerdings entsprechen sich häufig die Prozesse der Assimilation und der Akkulturation, was erklären kann, warum es in der Verwendung dieser Begriffe so viel Unklarheit gibt. Zum Begriffsgebrauch in der Migrationssoziologie vgl. Esser 1980, vor allem S. 11–33
Ohne den Begriff des Deutungsmusters zu verwenden, argumentieren auch Hoffmann und Even in ihrer Soziologie der Ausländerfeindlichkeit (1984) in dieser Weise.
Aus dem Kontext der interkulturellen Kontakte im Weltmaßstab, vor allem solcher zwischen sogenannter Erster und Dritter Welt, unterscheidet Renate Nestvogel (1987) fünf Varianten der Kulturbewertung, wie sie in den Kulturen der Ersten Welt gegenüber denen der Dritten angewandt werden. Diese Varianten haben eine hohe Affinität zu den hier erörterten vier Formen des Umgangs mit Zuwanderern. Bemerkenswerterweise entspricht der sozialromantischer Verklärung der anderen Kulturen im Blick auf die Dritte Welt keine vorkommende Form des Umgangs mit Zuwanderern hierzulande.
„Nur leider kommt der Begriff ,Volksgeist‘ bei Herder nirgends vor, wie Lothar Baier auf seinem Rundgang durch die Firma Frankreich festgestellt hat. Ebenso macht Baier klar, daß Herder kaum zum Urvater gegenaufklärererischer Begriffsmuster taugt.“ (Rossum 1990).
B. Rensch, 1964: Die philosophische Bedeutung der Evolutionsgesetze. In: H. Kuhn/F. Wiedemann (Hrsg.): Die Philosophie und die Frage nach dem Fortschritt, S. 199; vgl. 179 ff.; vgl. ders., 1959: Homo sapiens, bes. S. 143 ff.
Es muß immer wieder betont werden, daß die hier erörterten Phänomene in ihrer Struktur zwar weltweit anzutreffen sind, in ihrer konkreten Ausprägung aber kulturspezifisch sind. So sind die Debatten über die ungeliebten Fremden in Großbritannien, Frankreich und in den Niederlanden weitaus stärker vom dort stattfindenden alltäglichen Rassismus geprägt als in Deutschland. Dementsprechend besteht die politische und pädagogische Reaktion dort zunächst in Konzepten antirassistischer Aufklärung und Bildung, und erst an zweiter Stelle folgen Bemühungen um multikulturelle und interkulturelle Erziehung im engeren Sinne. In Deutschland hingegen wird der Rassismus nur selten thematisiert, und im Vordergrund steht das Problem der Kulturdifferenz.
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Nieke, W. (2000). Kampf der Kulturen: Universalismus oder Kulturrelativismus?. In: Interkulturelle Erziehung und Bildung. Reihe Schule und Gesellschaft, vol 4. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95076-5_4
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