Zusammenfassung
Weber hatte geplant, über das Urchristentum eine eigene Abhandlung zu schreiben, ist jedoch nicht mehr dazu gekommen. Aus verstreuten Bemerkungen in seinen religionssoziologischen Studien läßt sich dennoch ein Bild seiner Vorstellung urchristlicher Gemeinschaftsbildung gewinnen. Das Phänomen, von dem Weber sich leiten ließ und für das er eine soziologische Erklärung suchte, war die Abtrennung christlicher Gemeinschaften vom Judentum und die Herausbildung eigener christlicher Identität und Organisation. Seine Position zum Verhältnis beider Religionsgemeinschaften und zum Hervorgehen der christlichen Tochter- aus ihrer jüdischen Mutterreligion läßt sich auf folgende vier Thesen reduzieren (vgl. RS III 7, RS II 39–41):
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1.
Universalgeschichtlich-soziologische Relevanz erlangt die jüdische Religion durch zwei nichtjüdische Entwicklungen: durch das Christentum und durch den Islam. Gegen Sombart448 hält Weber die ökonomische Eigenbedeutung des mittelalterlichen und neuzeitlichen Judentums dagegen für gering im Vergleich zu der über Paulus und Mohammed vermittelten Kulturwirkung des Judentums.
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2.
Den Juden selber blieb die weltgeschichtliche Eigenbedeutung als Religion im Weberschen Sinne einer Weltreligion versagt wegen ihrer Pariavolkslage und deren ritueller Abstützung.
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3.
Die Abschaffung ethnischer und ständischer Barrieren der religiösen Vergemeinschaftung und die Einführung eines rein konfessionellen Mitgliedschaftskriteriums bildet den kulturellen Keim, aus dem mehr als ein Jahrtausend später die freien Schwurverbrüderungen von Stadtbürgern entstehen konnten, die dann zu einer Grundlage des spezifischen okzidentalen Rationalismus wurden (RS II 39f).
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4.
Das Urchristentums modifiziert den jüdischen Dualismus von Binnen- und Außenmoral in Richtung auf eine Universalisierung sozialer Verhaltensnormen.
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Literatur
Diese Schätzungen stammen von Robert L. Wilken 1984: The Christians as the Romans Saw Them. New Haven: Yale Univ. Press. P..31 und sind hier zitiert nach Bendix 1988: Der Anspruch auf absolute Wahrheit: 140.
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Giesing, B. (2002). Gemeinschaftsbildung im Urchristentum — die pneumatische Gemeinde?. In: Religion und Gemeinschaftsbildung. Forschung Soziologie, vol 178. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-94999-8_8
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-94999-8_8
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-8100-3673-5
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