Zusammenfassung
Die DDR-Regierung unter dem Ministerpräsidenten Modrow hatte zum 1. März 1990 eine Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums (Treuhandanstalt) gegründet. 1 Die Aufgabe dieser Ur-Treuhandanstalt bestand im wesentlichen in der Umwandlung der Kombinate und Volkseigenen Betriebe in Kapitalgesellschaften — GmbHs und AGs — nach westdeutschem Privatrecht. Die eigentlichen Wirtschaftsverwaltungsstrukturen der DDR wurden durch die Gründung der Treuhandanstalt nicht berührt. Diese bestanden aus Industrieministerien mit branchenmäßigem Ressortzuschnitt, denen die zentralgeleiteten Kombinate und Volkseigenen Betriebe unterstanden. Die Industrieministerien waren der Plankommission beim Ministerrat der DDR berichtspflichtig. Einem besonderen Ministerium für bezirksgeleitete Industrie und Lebensmittelindustrie unterstanden die „Bezirkswirtschaftsräte“ bei den Räten der Bezirke der DDR. Den Bezirkswirtschaftsräten untergeordnet waren — ähnlich wie den Industrieministerien, nur in kleinerem Maßstab — Kombinate (die so genannten Bezirksgeleiteten Kombinate) und Volkseigene Betriebe (vgl. Materialien zum Bericht der Lage der Nation im geteilten Deutschland 1987, Bundestagsdrucksache 11/11 vom 18.2.1987, 111–118).
Wie saniert man eine marode Volkswirtschaft wie die der DDR, die zudem als staatseigener, zentral gelenkter Großbetrieb existierte? Wie einen maroden Großbetrieb auch: durch einen eisernen Sanierungskurs, mit Abstoßung unrentabler Betriebszweige, Entlassung von Arbeitskräften usf., sozial abgefedert durch einen großzügigen Sozialplan. Erfolgreich konnte ein solches Konzept nur sein, wenn die Entscheidungsbefugnisse und Verantwortlichkeiten strikt geregelt, autonom und zentral organisiert waren, ohne punktuelle Einflussmöglichkeiten von Politikern. Die „Treuhand“, die diese Aufgabe verrichtete, agierte an den politischen Strukturen der Bundesrepublik vorbei, verkörperte somit ein Stück DDR — und war gerade deswegen erfolgreich. Mehr noch: Wie jener Schweizer namens Winkelried in der Schlacht bei Sempach (1386) sich vor seine Mitkämpfer stellte, die gegnerischen Pfeile auf sich zog und damit erst den Sieg ermöglichte, so zog die „Treuhand“ im Sanierungsgeschäft alle Agressionen auf sich und schützte damit die politischen Institutionen der Bundesrepublik und bewahrte die Demokratie vor Legitimationsverlust angesichts einer schmerzhaften, aber unvermeidbaren Operation.
Red.
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Seibel, W. (2002). Die „Treuhand“ als „Winkelried“. In: Wehling, HG. (eds) Deutschland Ost — Deutschland West. Reihe: Der Bürger im Staat, vol 3. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-94933-2_9
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