Zusammenfassung
„Frauen sind die Verliererinnen der Einheit“, dieses Diktum war spätestens zwei Jahre nach der deutschen Vereinigung quer durch alle politischen Lager zu hören. Selbst diejenigen, die ansonsten die Erfolge des Vereinigungsprozesses oder genauer des System- und Strukturwandels in den neuen Bundesländern hervorhoben, kamen um die Erkenntnis nicht herum, dass die Frauen in den neuen Bundesländern die Hauptlast der Veränderungen zu tragen hatten. Kaum ein Thema des deutschen Vereinigungsprozesses wurde zunächst so ausgiebig erforscht und bei kaum einem anderen herrschte in der Beurteilung scheinbar so weitgehend Einigkeit. Im Zuge des ökonomischen Transformationsprozesses waren und sind Frauen noch wesentlich stärker als ihre männlichen Kollegen von Arbeitslosigkeit und Armut bedroht und betroffen. Für viele Frauen folgte auf die von ihnen mehrheitlich begrüßte deutsche Einheit die Konfrontation mit dem Verlust des Arbeitsplatzes und damit einhergehend wichtiger sozialer Kontakte, mit beruflicher Dequalifizierung, mit dem Abbau von Kinderbetreuungseinrichtungen und dem Verlust sozialer Sicherheit. Sie erlebten, dass das in der DDR propagierte und von ihnen praktizierte Frauenleitbild einer vollzeiterwerbstätigen Mutter nicht der gängigen Praxis des westdeutschen Markt- und Gesellschaftsmodells entsprach. Kurz, Frauen in den neuen Bundesländern erfuhren in noch größerem Ausmaß als Manner das Jahr 1990 als einen massiven Einschnitt in ihr Erwerbs- und Privatleben.
Sind die Frauen in den Neuen Bundesländern die eigentlichen Verliererinnen der deutschen Vereinigung? Ganz offensichtlich sind sie stärker von der Arbeitslosigkeit betroffen als Männer, was u.a. damit zusammenhängt, dass Branchen mit hohem Frauenanteil wie etwa die Textilindustrie sich als weniger lebensfähig erwiesen haben. Hinzu kommt, dass die Erwerbsquote von Frauen in der ehemaligen DDR deutlich höher war als im Westen. Der Wunsch nach Erwerbsfähigkeit ist entsprechend hoch geblieben. Frauen in Deutschland Ost unterscheiden sich von Frauen in Deutschland West immer noch darin, dass Vollerwerbstätigkeit in ihrer Lebensplanung, verbunden mit gleichzeitiger Mutterschaft, eine stärkere Rolle spielt. Gegen das traditionelle „westdeutsche Familienmodell“ mit dem Mann als Haupternährer und der Frau als Zuverdienerin mit familienbedingten Auszeiten und Teilzeitbeschäftigung sind die Frauen in Deutschland Ost bislang weitgehend resistent geblieben.
Red.
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Literatur
Vgl. Hildegard Maria Nickel (1997): Der Transformationsprozess in Ost- und Westdeutschland und seine Folgen für das Geschlechterverhältnis. In: APuZ 51 (1997), S. 20–29.
Vgl. auch dies. (1995): Frauen im Umbruch der Gesellschaft. Die zweifache Transformation in Deutschland und ihre ambivalenten Folgen. In: APuZ 36–37 (1995), S. 23–33 und dies.(1999): Industriegesellschaft am Ende — Arbeit abgeschafft? Frauen und der Ge-schlechterkampf um Erwerbsarbeit. In: Stolz-Willig, BrigitteNeil, Mechthild (Hg.)(1999): Es rettet uns kein höhres Wesen. Feministische Perspektiven der Arbeitsgesellschaft, Hamburg, S. 9–28.
Vgl. Ingrid Kurz-Scherf (1995): Backlash? Oder: Feministische Perspektiven jenseits der Arbeitsmarktgesellschaft. In: Jansen, Mechthild M. u.a. (1995) (Hg.): Frauen in der Defensive. Zur backlash-Debatte in Deutschland, Münster, S. 130–156.
Vgl. Frederike Maier (1991): Erwerbstätigkeit von Frauen. Geschlechtsspezifische Umbrüche im Arbeitsmarkt und Beschäftigungssystem. In: Westphal, Andreas/Herr, Hans-Jörg/Heine, Michael u.a. (Hg.) (1991): Wirtschaftspolitische Konsequenzen der deutschen Vereinigung, Frankfurt am Main, S. 295–318, hier S. 308.
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Ebd. S. 401f.
Allerdings ist die Zahl der Frauen ohne Ausbildung in Ostdeutschland verschwindend gering, während im Westen 1998 immerhin noch 18% der erwerbstätigen Frauen ohne Ausbildung waren, Arbeitsmarkt für Frauen, a.a.O., S. 396.
Stellvertretend für die Auffassung, Frauen in Ostdeutschland würden sich allmählich vom Arbeitsmarkt zurückziehen, sei hier eine Prognose des Instituts der Deutschen Wirtschaft von Mai 1997 wiedergegeben. Nach einer Meldung in der Badischen Zeitung vertrat des Institut der Deutschen Wirtschaft die Auffassung, die höhere Arbeitslosenquote in den neuen Bundesländern sei vor allem dadurch zu erklären, dass Frauen in Ostdeutschland eher auf den Arbeitsmarkt strömten als ihre westdeutschen Geschlechtsgenossinnen. „Dieser Arbeitseifer werde angesichts schlechter Chancen im Erwerbsleben voraussichtlich“, so die Prognose des Kölner Instituts, „bald nachlassen.” Und, „so manches Problem könnte sich so,von allein’ lösen.“ Badische Zeitung vom 9. Mai 1997, WIR 1.
Vgl. Gerhard Engelbrech/Jungkunst, Maria (1999): Die Zukunft der Frauenbeschäftigung. In: IAB Werkstattbericht, Nr. 20, 31.12.1999, S. 22. Vgl auch Arbeitsmarkt für Frauen, a.a.O., S. 389f. und Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (1996): Erwerbstätigkeit von Frauen in Ost-und Westdeutschland weiterhin von steigender Bedeutung. In: DIW Wochenbericht 63 (1996), S. 461–469.
Vgl. Ingrid Kurz-Scherf (1995): Krise der Arbeitsmarktgesellschaft — Patriarchale Blockaden. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 8 (1995), S. 975–984, hier S. 978.
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (1995): Aspekte der Arbeitsmarktentwicklung in Ostdeutschland. Berufliche Aufstiege vorwiegend von Männern verwirklicht, öffentlicher Dienst bislang wichtiger Stabilisator für Beschäftigung von Frauen. In: DIW Wochenbericht 62 (1995), S. 405.
Vgl. Elke Holst/Schupp, Jürgen (1995): Zur Erwerbsorientierung von Frauen nach der deutschen Vereinigung — Umverteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern notwendig. In: DIW Vierteljahresheft 1/64 (1995), S. 61.
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Ebd.
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Vgl. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (1998): Arbeitszeitpräferenzen in West-und Ostdeutschland 1997. Potenzial für Verkürzung der Arbeitszeit gesunken. In: DIW Wochenbericht 65 (1998), S. 667–677, hier S. 675f.
Arbeitsmarkt für Frauen, a.a.O., S. 389.
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Gunnar Winkler (Hg.) (1990): Frauenreport ‘80, 2. Auflage, Berlin, S. 63, diese Zahlen umfassen auch Lehrlinge und Studierende.
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Ebd., S. 88.
Ebd., S. 138ff.
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Vgl. Christine Eifler (1998): Die deutsche Einheit und die Differenz weiblicher Lebensentwürfe. In: APuZ 41–42 (1998), S. 38ff.
Christine Ochs (1990): „Nicht alles, was die Partei der Frau zusammenbraute, gehört gleich in den Gully der Vereinigung“. Frauen in der DDR. In: WSI-Mitteilungen 5/1990, S. 302.
Hildegard Maria Nickel: Der Transformationsprozess in Ost-und Westdeutschland und seine Folgen für das Geschlechterverhältnis. In. APuZ 51 (1997), S. 23f.
Christine Eifler (1998): Die deutsche Einheit und die Differenz weiblicher Lebensentwürfe. In: ApuZ 41–42 (1998), S. 37. Vgl auch Rohnstock, Katrin ( 1994 ) (Hg.): Stiefschwestern. Was Ost-Frauen und West-Frauen voneinander denken, Frankfurt am Main.
Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.) (1996): Gleichberechtigung von Frauen und Männern — Wirklichkeit und Einstellungen in der Bevölkerung 1996, Stuttgart, S. 73.
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Ebd., S. 8.
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Ebd.
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Vgl. Manuela Badur (1999): Junge Frauen in Ostdeutschland. Individualisierungsprozesse im Zuge der deutschen Einigung. In: APuZ 12 (1999), S. 2733. Vgl. auch Angelika Puhlmann ( 1998 ): Arbeitslosigkeit und berufliche Neuorientierungen von Frauen in Ostdeutschland: Berufsbiografien und berufliche Qualifizierung im Umbruch, hg. vom Bundesinstitut für Berufsbildung, Bielefeld.
Hübner, Conchita/Gerdes, Johann/Genschow, Barbara (1998): Lebensplanung von Mädchen und jungen Frauen in Mecklenburg-Vorpommem. Studie im Auftrag der Frauen-und Gleichstellungsbeauftragten des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Rostock.
Nickel (1999), a.a.O., S. 16.
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Rosenzweig, B. (2002). Opfer, Verliererinnen, ungleiche Schwestern?. In: Wehling, HG. (eds) Deutschland Ost — Deutschland West. Reihe: Der Bürger im Staat, vol 3. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-94933-2_8
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