Zusammenfassung
Uns allen sind Bilder und Beschreibungen von Dürrekatastrophen im Sahel vertraut: verendetes Vieh auf einem ausgedörrten Land, Menschen ohne jede Habe auf der Flucht vor der Dürre, Bettler in den Städten, ausgemergelte Kinder, Lager, in denen Lebensmittel verteilt werden. Diese Bilder spiegeln nicht einfach eine Realität wider, sondern in ihnen wird eine Auswahl und Interpretation getroffen. In ihnen drückt sich eine ganz spezifische Sicht aus: Wir haben es mit einer Katastrophe und ihren Opfern zu tun.
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Literatur
Aus dem von J. Copan herausgegebenen Sammelwerk „Sècheresses et Famines du Sahel“ (2 Bde., Paris 1975) seien besonders die Beiträge von P. Bonte, S. Lallemand,C. Raynaut und J. Swift in Bd. 2 genannt. Weiter wären zu nennen: S. Baier, An Economic History of Central Niger, Oxford 1980; P.E. Lovejoy und S. Baier, The Desert-Side Economy of the Central Sudan, in: M.H. Glantz (Hrsg.), The Politics of Natural Disaster, S. 145–175; E. Bernus, Touaregs Nigériens, Paris 1981; J. Swift, Disaster and a Sahelian Nomad Economy, in: D. Dalby und R.J. Harrison Church (Hrsg.), Drought in Africa, London 1973, S. 71–78; J. Swift, Sahelian Pastoralists: Underdevelopment, Desertification and Famine, in: Annual Review of Anthropology, 6, 1977, S. 457–478. Zusammenfassend: G. Klute, Der Aspekt der Risikominderung in der Wirtschaft der Air-Tuareg, Göttingen 1986.
Die beiden konträren Positionen werden von vielen Autoren durch die These verknüpft, daß die erfolgreichen vorkolonialen Anpassungsmechanismen während der Kolonialzeit zerstört wurden.
Dabei erscheint mir der Vergleich mit Hungerkrisen im vorindustriellen Europa besonders aufschlußreich. Hungerkrisen in Agrargesellschaften weisen bestimmte Gemeinsamkeiten auf und unterscheiden sich von Hungerkrisen in Industriegesellschaften. Die letzteren werden hier nicht berücksichtigt.
R. Dirks unterscheidet in einer Literaturübersicht universell drei Phasen: alarm, resistance, exhaustion (R. Dirks, Social Responses during Severe Food Shortages and Famine, in: Current Anthropology, 21, 1980, S. 21–44 ).
Im kaiserlichen China scheinen Wanderungsbewegungen in einer Hungerkrise besonders häufig gewesen zu sein. Sie basierten aber auf einer schon zuvor bestehenden Mobilität. (P.-E. Will, Bureaucratie et Famine en Chine au 18e Siècle, Paris 1980, Kap. Mouvements migratoires).
Als Beispiele für die lokale Bewältigung einer Hungerkrise und die Weigerung abzuwandern, siehe die Arbeiten von R. Firth, Social Change in Tikopia, London 1959, Kap. III und C. Tumbull, Das Volk ohne Liebe, Reinbek 1973.
So werden z.B. in Tikopia die zerstörerischen Hurrikane durch „Geister“ oder „Götter” gesandt (R. Firth, a.a.O., S. 80).
W. Abel, Massenarmut und Hungerkrisen im vorindustriellen Deutschland, Göttingen 1972, S. 37.
Vor allem in seinem ausführlichen Werk „Massenarmut und Hungerkrisen im vorindustriellen Europa. Versuch einer Synopsis“, Göttingen 1974.
So wie das seit eh und je Ethnologen tun, z.B. Firth in seiner in Fußnote 6 zitierten Arbeit, oder P.R. Greenough, Prosperitiy and Misery in Modem Bengal. The Famine of 1943–1944, New York 1982.
Siehe dazu auch Firth, a.a.O., S. 79.
Diese Kritik gilt auch für die Kritiker an Abel, die ihm vorwerfen, er vernachlässige die politischen Aspekte von Hungerkrisen. Sie interessieren sich jetzt vor allem für die politischen Aspekte der zeitgenössischen Berichte. Die religiöse Dimension wird aber von ihnen in derselben anekdotischen Weise herangezogen wie bei Abel.
So z.B. noch im Odenwald des 19. Jahrhunderts: „Viele in den Quellen zitierte Äußerungen belegen, daß die Menschen das Notjahr 1816/17 als ein Gottesurteil hinnahmen. Nachdem sie nun so viele Wirren überstanden hatten, konnte dies nur der allgemeine Untergang sein, dem alle entgegengingen“ (R. Wirtz, Der „ohnehin” notleidende Odenwald, in: Beiträge zur Historischen Sozialkunde, H. 15, 1985, S. 48 ).
Dies scheint — in einem anderen religiösen Kontext — der Fall bei der bengalischen Hungerkrise von 1943/44 gewesen zu sein. Sie wurde zwar nicht als Weltuntergang interpretiert, aber als ein von Gott geschaffener Epochenwechsel vom Überfluß zum Elend. Die Hoffnungslosigkeit, die aus dieser Interpretation resultierte, wirkte sich lähmend auf die Aktivitäten der Menschen aus (P.R. Greenough, a.a.O., S. 180f.).
Comment by T. Brun zum Artikel von R. Dirks (Fußnote 4 ), S. 34.
R. Firth, a.a.O., S. 66.
P.R. Greenough, a.a.O., S. 266ff.
C. Lévi-Strauss, Das Rohe und das Gekochte, Frankfurt 1976.
Das gilt nicht für Wildbeuter. Sie stehen daher nach Auffassung aller anderen — vielleicht auch nach ihrer eigenen Auffassung — der Natur näher.
G. Wiegelmann, Alltags-und Festspeisen, Marburg 1967, S. 6f. Ein gutes Beispiel dafür ist die Kartoffel.
Jedem Leser fallen hier sofort Beispiele von Tieren ein, die eine Vorratshaltung betreiben (z.B. Eichhörnchen). Hier wie bei allen anderen Abgrenzungen zwischen Mensch und Tier kommt es aber weniger auf die objektiven Unterschiede an als vielmehr auf die von einer spezifischen Kultur definierte Trennungslinie.
N. Elias, Über den Prozeß der Zivilisation, 2 Bde., Berlin 1969.
Zitiert nach W. Abel 1972, S. 49; Hervorhebung durch mich. Die Beispiele bei anderen Autoren lassen sich beliebig vermehren. Siehe z.B. H. Medick, Teuerung, Hunger und „moralische ’Ökonomie’ von oben“, in: Beiträge zur historischen Sozialkunde, 15, 1985, S. 43; U.-C. Pallach (Hrsg.), Hunger, München 1986, S. 121.
U.-C. Pallach, a.a.O., S. 7.
C. Turnbull, The Mountain People, New York 1972; deutsch: Das Volk ohne Liebe. Der soziale Untergang der 1k, Reinbek 1973.
C. Turnbull, a.a.O., S. 21f.
F. Barth, On Responsibility and Humanity: Calling a Colleague to Account, in: Current Anthropology, 15, 1974, S. 99–102; More Thoughts on the Ik and Anthropology, in: CA, 16, 1975, S. 343–358 (mit Beiträgen von P.J. Wilson, G. McCall, W.R. Geddes, A.K. Mark und einer Antwort von C. Turnbull); J.C. Winter/B. Groth/H. Hoff/R. Vossen, Der soziale Untergang der Ik (Nord-Uganda). Eine kritische Auseinandersetzung, in: Internationales Afrikaforum, 12, 1975, S. 344–358; B. Heine, The Mountain People: Some Notes on the Ik of Northern Uganda, in: Africa, 55, 1985, S. 3–16.
P.J. Wilson, a.a.O., S. 343f.
R. Firth, a.a.O., S. 85 (Übersetzung durch G.S.).
Davon geht im übrigen auch Hobbes aus. Der Krieg aller gegen alle ist nicht der Krieg zwischen Individuen, sondern zwischen Familien.
P.R. Greenough, a.a.O., S. 215–225.
R. Firth, a.a.O., S. 65 (Übersetzung durch G.S.).
C. Turnbull, a.a.O., S. 61.
H. Popitz, Über die Präventivwirkung des Nichtwissens, Tübingen 1968.
C. Tumbull, Rethinking the Ik: A Functional Non-Social System, in: C.D. Laughlin und I.A. Brady (Hrsg.), Extinction and Survival in Human Populations, New York 1978, S. 49–75.
B. Heine, a.a.O.
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© 1989 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen
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Spittler, G. (1989). Einleitung. In: Handeln in einer Hungerkrise. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-94357-6_1
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
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