Zusammenfassung
Diese Untersuchung folgte der Absicht, einen analytischen Zugang zu Politikfeldern zu entwickeln, der ein wichtiges, wiewohl zumeist unterbelichtetes Element politischer Ordnungsmacht zum zentralen Bezugspunkt erklärt: realitätskonstituierende, in staatliches Handeln eingeschriebene Deutungsleistungen. Politiken, so die Beobachtung, berufen sich auf generalisierte, mit Wahrheitsansprüchen versehene Interpretationen gesellschaftlicher Entwicklungs- und Wirkungszusammenhänge. Die Prämissen, Axiome und Annahmen, die jeweilige Interventionsformen über ihren Gegenstand enthalten, bezeichne ich als implizite Theorien; Theorien also, die nicht als solche deklariert werden. Ihre Relevanz für die Untersuchung von Politiken sehe ich zum einen in der Definitionsmacht gesellschaftlicher Wirklichkeit (bestimmen sie doch darüber, was und wie etwas wahrgenommen wird), zum anderen in den praktischen, wirklichkeitsverändernden Folgen, die sie zeitigen.
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Literatur
Bourdieu ( 1979, S. 228) spricht in diesem Zusammenhang von Ausübungen. Handlungen und Praxisformen gerieten als Theaterrollen, wie Ausführungen einer Partitur oder wie Anwendungen eines Plans in den Blick.
Die Transaktionskostenanalyse, als gegenwärtig einflußreiche Theorierichtung innerhalb der Ökonomie, versucht dieses Phänomen mit dem Herbert Simon zugeschriebenen Begriff der bounded rationality analytisch zu domestizieren: Auch Entscheidungen von Unternehmen seien notwendig suboptimal, weil es aus anthropologischen Gründen nicht möglich sei, alles Wissenswerte zu wissen. Indem die begrenzte Rationalität unternehmerischen Handelns konzediert wird (der intellektuelle Engpaß der menschlichen Spezies mithin irrationale Entscheidungen hervorrufen kann), verteidigt die Transaktionskostenanalyse freilich die Existenz eines universalen, personenungebundenen Rationalitätsprinzips (vgl. Granovetter 1985, 1992; Schmid 1988 ).
Viele Erscheinungen der Technikgeschichte bis in die Gegenwart passen nicht zu dem Ideal des homo oeconomicus, sondern mehr zu einem Menschenbild, in dem der Spieltrieb - auch als verbissene Leidenschaft -, der Hang zum Imponiergehabe und zum Wettkampf, ohne daß es dabei immer um klare wirtschaftliche Vorteile ginge, einigen Raum einnehmen. (Radkau 1989, S. 53, Hervorh. v. Autor; vgl. auch Allen 1983 ) Die Bedeutung des Spieltriebes läßt sich auch an der Entwicklung des Automobils zurückverfolgen. Seine bis heute bestimmenden Leistungsparameter, etwa Schnelligkeit und auf die Überwindung großer Distanzen ausgerichtete Energiereserven, wurden im Rahmen von Autorennen benötigt und für alle Verwendungskontexte festgeschrieben (vgl. dazu Härd/Knie 1993 ).
Eine etwas andere, im Falle mittelständischer Unternehmen freilich seltenere Anordnung ergibt sich, wenn Hochschulen ihrerseits wirtschaftliche Partner suchen.
Auch zu Universitäten bestehen solche Dienstleistungsbeziehungen. Hier treten sie nicht selten an die Stelle unternehmensinterner Forschungs-und Entwicklungstätigkeiten (vgl. Feller 1990, S. 329 ).
Daß betriebliche Aufgabenstellungen, die als lebenswichtig gelten, universalen Lösungen und allgemeinen Ratschlägen Betriebsfremder unzugänglich sind, schränkt zwar den möglichen Einfluß (wissenschaftlicher) Dritter auf die Unternehmensentwicklung ein. Auf der anderen Seite aber sind es gerade diese Kontextbindung und Nicht-Substituierbarkeit technischer Kompetenz, die die Existenz von Unternehmen stabilisieren. Der Wert erfahrungsgestützten betriebsspezifischen Könnens begründet die Kontinuität von Zuliefererbeziehungen, er schützt Anbieter kundenspezifischer Lösungen in gewissem Umfang vor Preiskämpfen und erleichtert die Entstehung vertrauensvoller Beziehungen untereinander (vgl. aus historischer Perspektive Herrigel 1990, S. 402 f.).
… but the rate of interaction with science varies considerably amongst scientific fields and amongst technologies. (Pavitt 1987, S. 184; vgl. auch Nelson 1987, S. 98) Eine nicht unplausible Erklärung für die unterschiedliche Kommunikationsdichte zwischen Wissenschaft und Technik setzt an dem Entwicklungsstadium von Technologien an. So vertritt Langrish (1974, S. 616) die These, daß sich nach der Institutionalisierung von Technikfeldern wissenschaftliche und wirtschaftliche Kompetenzen auseinander entwickeln (vgl. auch Nelson 1990, S. 199 f.).
So wird etwa von Junne (1989) und Porter (1991) die These vertreten, daß gegenwärtig zwei nationale Strategien technischen Wandels zu beobachten seien. Die in der Bundesrepublik dominante Praxis bestünde darin, die Wettbewerbsfähigkeit jeweiliger Branchen durch die Integration neuer Technologien zu verteidigen, wogegen in den USA eine Verlagerung der Produktionsressourcen von traditionellen zu neuen Industriezweigen stattfinde (kritisch dazu Sabel u.a. 1987, S. 4–12).
An den Entwicklungswegen der großen traditionsreichen Unternehmen wird die konstitutive Verbindung zwischen Produzent und seinem Produkt einerseits und jener zwischen Produkt und gesellschaftlichen Entwicklungsphasen andererseits unmittelbar anschaulich. Das, was etwa für VW und das Automobil als Massenverkehrsmittel oder für Siemens und die Elektrifizierung gilt, strukturiert ebenso die Geschichte und Zukunft kleiner und mittlerer Unternehmen (vgl. auch Hausen/Rürup 1975, S. 19).
Eine sehr instruktive Darstellung über das Verhältnis von Elektrizitätslehre und Technik findet sich bei Stichweh (1988).
Daß unternehmensübergreifende Forschungs-und Entwicklungskooperationen staatlich gefördert werden, steht dazu nicht im Widerspruch, sondern bestätigt dies eher. Eingedenk steigender Entwicklungskosten, so die Überlegung, gelte es Unternehmen davon zu überzeugen, Konkurrenz durch Kooperation zu ersetzen.
Hervorgehoben wird dieser Aspekt in der Regionalökonomie. Sabel ( 1989, S. 3) betont die Bedeutung der Region als ökonomischer Handlungseinheit bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts und behauptet ihre Wiederkehr in Gestalt flexibler Spezialisierung. Alfred Marshall, so Sabel, spoke of Sheffield and Lancaster, for example, as ‘industrial districts’ to emphasize that the matrix of production there was an area, not a firm. Zur Debatte über industrial districts bzw. networks vgl. die von Pyke/Sengenberger (1992) sowie Grabher (1993) herausgegebenen Sammelbände. Allen (1983), der solche regionalen Prozesse der collective invention am Beispiel der Hochofenentwicklung im 19. Jahrhundert untersucht hat, stellte wider Erwarten fest, daß technische Verbesserungen in der Eisenerzeugung nicht geheimgehalten, sondern der örtlichen Konkurrenz (mit Stolz!) zugänglich gemacht worden waren.
So ist die langjährige wie ergebnislose Diskussion zwischen den Vertretern von demand-pull- und technology-pusha-Ansätzen nur vor dem Hintergrund zu verstehen, daß Technikerzeugung und Techniknachfrage entlang formaler Unternehmensgrenzen konzeptionalisiert werden. Betrachtet man dagegen technischen Wandel als organisationsübergreifenden Interaktionsprozeß, in dem Anbieter und Nachfrager wechselseitig Einfluß aufeinander nehmen, so erscheinen derartige Unterscheidungen eher artifiziell (vgl. auch Mowery/Rosenberg 1982, S. 235, sowie den interessanten Beitrag von Sabel 1991 über verschwimmende Grenzen zwischen Unternehmen sowie zwischen Unternehmen und Gesellschaft).
Davon ausgenommen sind solche Konsultationen, die Hochschulen in ihrer Eigenschaft als akademische Forschungseinrichtung ansprechen bzw. gesetzlich vorgeschrieben sind.
Auf jeweils spezifische Weise reflektieren natürlich alle wissenschaftlichen Disziplinen die Problemstellungen der gesellschaftlichen Handlungsfelder, auf die sie sich beziehen. Was die Technikwissenschaften ebenso wie die Medizin oder die Betriebswirtschaft jedoch beispielsweise von der Politologie zu unterscheiden scheint, ist die weitgehend ungebrochene Bereitschaft, an gemeinsamen Zielvorstellungen und Gütekriterien festzuhalten.
Während Offe - in ungebrochener Tradition deutschen Staatslehredenkens, einleitend demonstriert an Hermann Hellers anspruchsvollem Staatsbegriff - angesichts akuter […] Problemlagen und Krisentendenzen keine Alternative zum spezifisch staatlichen Modus der Einwirkung von Gesellschaft auf sich selbst zu erkennen vermag, plädieren Grimm (1985), Mayntz (1987) und von Beyme (1991) für eine weniger dramatische Sichtweise. Die Enttäuschung über die Grenzen staatlicher Steuerungsfähigkeit sei überhaupt erst vor dem Hintergrund der in den sechziger Jahren entstandenen Steuerungserwartungen an den Staat zu verstehen. Die faktisch verringerte Gestaltungsmacht des Staates müsse, so Grimm ( 1985, S. 104), im Zusammenhang mit der wachsenden Aneignung staatlicher Regelungsfunktionen gesehen werden.
Die Verflechtungen zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Staat ist im Hinblick auf die Institutionalisierung einzelner Technikfelder (vgl. etwa van den Daele u.a. 1979) wie auch die Entstehung von Technologieförderungsprogrammen des Bundes Ende der sechziger Jahre (Neuendorff o.J., S. 153–167) beschrieben worden.
Die Zeitschrift der amerikanischen Gesellschaft für Technikgeschichte, Technology and Culture, etwa hat sich diesem Thema intensiv gewidmet; vgl. auch Rosenberg 1982 und die dort zitierte, bis in die sechziger Jahre zurückgehende Literatur sowie Mowery 1983a, 1983b; Nelson 1986, 1989 und Pavitt 1987, 1991.
Schumpeter etwa, dessen Werk so häufig als Beleg für den wirtschaftlichen Stellenwert technischer Innovationen angeführt wird, bekennt sich in den Konjunkturzyklen zu einem inkrementalen Technikbegriff und zitiert wiederum aus Gilfillans be-reits 1939 publiziertem Werk The Sociology of Invention: Was man als eine wichtige Erfindung bezeichnet, ist ein fortgesetzter Zuwachs kleiner Einzelheiten, der wahrscheinlich weder einen Anfang noch eine Vollendung, noch feststellbare Grenzen hat. (zitiert in Schumpeter 1961, S. 238 f.)
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Hofmann, J. (1993). Handlungspraktische Sinnbezüge als Gegenentwürfe technologiepolitischer Theoriebildung. In: Implizite Theorien in der Politik. Studien zur Sozialwissenschaft, vol 132. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-94245-6_8
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